Menschenrechte als Leitlinie unseres Handelns

Eine gemeinsame Vision für die Welt (Teil 1)

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Blick auf die United Nations Plaza und das Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York
United Nations Plaza und das Hauptquartier der Vereinten Nationen

BERLIN. (hpd) Wir benutzen das Wort "Menschenrechte" relativ häufig und versuchen damit, unsere Sicht auf die Welt zu begründen. Doch was genau ist unter dem Begriff zu verstehen und wie hat er sich entwickelt? Herbert Nebel versucht in der heute beginnenden dreiteiligen Serie die Fragen zu beantworten. Im ersten Teil schaut er auf die Geschichte zurück.

Menschen haben die Fähigkeit, über ihr eigenes Dasein und über ihre Umwelt nachzudenken, Ungerechtigkeiten zu empfinden, Gefahren zu vermeiden, Verantwortung zu übernehmen, Zusammenarbeit anzustreben und moralisches Empfinden, das ethischen Grundsätzen folgt, zu zeigen. Sie haben das Bewusstsein, dass die kulturelle Vielfalt als Quelle von Austausch, Innovation und Kreativität sinnvoll und notwendig ist, jedoch eine Berufung auf diese Vielfalt nicht auf Kosten der Menschenrechte und Grundfreiheiten erfolgen darf. Die Stellung der Frau ist häufig ein Gradmesser für die Bewertung der sozialen Verhältnisse einer Gesellschaft.

Das Zusammenleben in einer Gemeinschaft erfordert eine gemeinsame Basis an Grundwerten. Das Internet, die Globalisierung und Migrationsströme in unvorstellbarem Ausmaß ließen unsere Welt zu einem Dorf schrumpfen. Demzufolge brauchen wir einen Grundkonsens über Werte und Normen, der unabhängig von Kultur, Religion oder Nationalität gilt. Für unsere globale Gesellschaft ist ein solcher gemeinsamer Wertekanon durch die Menschenrechte definiert, die – in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen – als Bezugspunkt die Menschenwürde haben. Die Menschenrechte sind zum einzig universell anerkannten Wertesystem der Gegenwart aufgestiegen.

Die "Menschenwürde" geht von der Gleichheit aller Menschen aus, billigt ihnen Rechte zu aber verlangt auch, dass grundlegende Rechte anderer zu beachten sind. Konstitutiv für die Menschenwürde als oberstem Prinzip ist seine allgemeine Verbindlichkeit. Sie kann nicht zu- oder aberkannt werden, sie steht jedem Menschen zu und muss geachtet werden.

Hunderte Millionen von Menschen sind weltweit von einem selbstbestimmten Leben in Würde ausgeschlossen. Hunger, keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, leben ohne sanitäre Anlagen, ohne Zugang zu Gesundheits- und Bildungssystemen, Obdachlosigkeit, ohne Arbeit oder Arbeit unter ausbeuterischen Lebensbedingungen ist für diese Menschen die Lebenswirklichkeit.

Ist die Menschenwürde in eine "Werte-Nische" abgeschoben worden weil sie durch einen inflationären und unpräzisen Gebrauch zu einer Trivialisierung der Menschenrechts-Idee geführt hat? Diese Frage muss beantwortet werden, denn es gilt, die offene, auf Menschenrechte für alle basierte Gesellschaft im Innern zu erkämpfen und zu verteidigen, um auch nach außen als glaubwürdiger Fürsprecher der universellen Menschenrechte auftreten zu können. Menschenrechte müssen immer wieder bekräftigt und verkündet werden, denn die Kenntnis der Menschenrechte ist Voraussetzung dafür, dass Menschen sie einfordern.

Der lange Kampf für Menschenrechte – ein Blick zurück

Die Gesellschaft in der Antike beruhte auf Ungleichheit. Griechische und römische Philosophen stellten jedoch Überlegungen an, aus denen später die modernen Menschenrechte entwickelt wurden. Die "alten Griechen" hatten eine "Idee des Menschen". Für sie war der Mensch das Maß aller Dinge und alle Menschen seien bereits durch ihr Menschsein gleich. Und mit der Existenz eines universellen, über alle Ländergrenzen hinweg gültigen Menschenrechts mit gleichen Rechtsansprüchen für alle Bewohner knüpfte das römische Recht an diese griechischen Ideen an.

Menschenrechtsabkommen der UN:

  • Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
  • UN-Antifolter-konvention
  • UN-Behindertenrechts-konvention
  • UN-Frauenrechtskonvention
  • UN-Kinderrechtskonvention
  • UN-Konvention gegen Verschwindenlassen
  • UN-Rassendiskriminierungs-konvention
  • UN-Sozialpakt
  • UN-Völkermordkonvention
  • UN-Wanderarbeiter-konvention
  • UN-Zivilpakt

Menschenrechte in Europa:

  • Europäische Grundrechte-Charta
  • Europäische Menschenrechts-konvention
  • Europäische Sozialcharta
  • Rahmenüberein-kommen zum Schutz nationaler Minderheiten

Im christlichen Mittelalter klafften philosophische Theorien und politische Praxis immer noch weit auseinander. Jedoch führte der Gedanke, dass jeder Menschen ein Abbild Gottes sei und alle Menschen über alle Staatsgrenzen hinweg ein Menschenreich bilden hin zur Erkenntnis eines Völkerrechts und zu einer Universalität des Menschenrechts. Im Mittelpunkt stand nicht mehr der Glaube an Gott, sondern der Mensch als solcher. Diese Fokussierung des Blicks auf den Menschen und die Betonung der Vernunft des Menschen legte den Grundstein für die späteren Gedanken der Aufklärung und die von ihr angestoßenen Umwälzungen.

Humanismus und Aufklärung gelten heute als Wiege der Grund- und Menschenrechte – und damit auch der Gleichheit als verfassungsrechtliches Prinzip. Humanismus wird verstanden als demokratische und aufklärerische Kulturbewegung, deren Grundsätze sich in den Menschenrechten spiegeln und die in Italien während der Epoche der Renaissance ihren Ausgang nahm. Die Aufklärung definiert die wichtigsten Merkmale der Menschenrechte, etwa ihre Unveräußerlichkeit. Sie betonte die Vernunft des Menschen und stellt der religiös verankerten Jenseitigkeit des Menschen seine Diesseitigkeit entgegen. Zum Wesen der Aufklärung zählt die Berufung auf die Vernunft als universelle Urteilsinstanz, der Kampf gegen Vorurteile, die Hinwendung zu den Naturwissenschaften, das Plädoyer für Toleranz in Religionsfragen sowie die Orientierung am Naturrecht. Die Menschenwürde ist ein Bestandteil dieses Naturzustandes und der Staat hat die Aufgabe, die Naturrechte des Menschen zu schützen.

Für Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) ist das Menschenrecht auf Freiheit die Basis des Staates. Für Immanuel Kant (1724–1804) ist das Freiheitsrecht das einzige  Menschenrecht, von dem sich alle anderen Menschenrechte ableiten lassen. Die Wahrung des Freiheitsrechts werde damit zur Legitimation des Staates. Dieses so verstandene Menschenrecht ist für Kant unteilbar und beansprucht eine universelle Geltung für die Menschheit im Ganzen.

Eine der Erkenntnisse der Aufklärung war, dass Menschenrechte nur dann ihre Wirkung und Geltung entfalten können, wenn sie durch Gesetze und Vereinbarungen institutionell abgesichert sind. Umgesetzt wurde diese Erkenntnis im 17-ten und 18-ten Jahrhundert zunächst in England, Nordamerika und Frankreich. Zum Meilenstein in der Geschichte der Gleichheit wurde dann im Jahre 1776 die amerikanische Unabhängigkeitserklärung.

In Deutschland erfolgte die Proklamation der Grundrechte erst 1848 in der Frankfurter Paulskirche. Der Weg in die Demokratie war noch lang. Dennoch brachte auch diese Erklärung neue Impulse im Denken der Menschen. Erstmals tauchte der Gedanke auf, dass soziale Rechte, wie das Recht auf Arbeit, zu den Menschenrechten zählen. Das öffnete den Weg für den Schutz der Arbeiter und für die Bildung von Gewerkschaften. Heute wird der Gleichheitsbegriff immer umfassender verstanden, zum Beispiel als Herstellung gleicher Rechte von Mann und Frau, als Angleichung der Chancen benachteiligter Gesellschaftsgruppen wie behinderter Menschen oder auch als Chancengleichheit bei der (Aus-)Bildung von Jugendlichen aus bildungsfernen Elternhäusern.

Die Aufklärung war auch Voraussetzung für den ökonomischen Aufstieg Europas und Nordamerikas. Dieser Aufstieg fußte auf der Befreiung des Individuums von der Allmacht der Religion, der Freiheit von Wissenschaft und der Übermacht des Staates. Daraus resultieren auch Forderungen an die bürgerliche Gesellschaft nach sozialen Menschenrechten.

Indem man die universellen Menschenrechte lediglich für eine Kulturerscheinung von regionaler Relevanz und Gültigkeit hält, relativiert man sie und macht sie zu einer beliebigen Ansichtssache. Dieser Kulturrelativismus ist eine Geisteshaltung, die zu einer Gleichgültigkeit mit dem Schicksal anderer Menschen führen kann.

Kulturrelativistisches Denken betont immer die Distanz zwischen den Kulturen, anstatt Nähe und Gemeinsamkeiten wahrzunehmen. Anstatt das Augenmerk auf das Verbindende zwischen Menschen verschiedener Kulturkreise zu lenken, werden Differenzen heraufbeschworen als ob es sich bei Menschen eines anderen Kulturkreises um Wesen von einem anderen Stern handeln würde.

Menschenrechte infolge der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft

Die historische Erfahrung systematischer Menschenrechtsverletzungen im Nationalsozialismus und die Zerstörungswucht der ersten Atombomben in Hiroshima und Nagasaki erschütterten die Menschheit derart, dass das dringende Bedürfnis entstand, die Menschen in Zukunft vor derartigem Unrecht zu schützen. Mit diesem Ziel wurden 1945 in New York die Vereinten Nationen als Nachfolgeorganisation des Völkerbundes gegründet. Diese neue Weltgemeinschaft verpflichtete sich in ihrer Charta vom 26. Juni 1945, die Welt vor "der Geißel des Krieges zu bewahren". Sie bekräftigte ihren Glauben an die Würde des Menschen und versprach, bessere Lebensbedingungen für alle Menschen zu fördern.

Kurze Zeit später trat ein Ausschuss von Vertretern der damaligen Mitgliedstaaten zusammen, um einen gemeinsamen Wertekatalog zu erarbeiten. Nach mehr als zweijähriger Arbeit wurde am 10. Dezember 1948 die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" ohne Gegenstimmen angenommen, und es gab erstmals ein Dokument mit einem umfassenden Katalog von unveräußerlichen Menschenrechten, die für jeden Menschen in jedem Land gelten sollen (Universalität).

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte enthält eine so weit gehende Sammlung von Rechten, dass deren Verwirklichung nur in einem sehr langwierigen Prozess denkbar ist. Die dort definierten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte ("Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" der UN) lassen sich nicht sofort verwirklichen, weshalb man nach Pflichten, die unverzüglich umzusetzen und solchen, die schrittweise zu erfüllen sind, unterscheidet. Mit diesem Konzept der "schrittweisen Verwirklichung" wird vor allem den unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten der Staaten Rechnung getragen.

Der Kampf um die Menschenrechte ist zu einer weltweiten Bewegung geworden. Viele Nichtstaatliche Organisationen (NGOs), Gruppen und Bürgerinitiativen erheben mutig ihre Stimme. Durch massive weltweite Proteste und beherzte Handlungen Einzelner konnte schon viel Leid verhindert oder gemildert werden - für politische Gefangene, für rechtlose Frauen, für schutzlose Kinder. Der lange Kampf für Menschenrechte muss in die Gesetzgebungspolitik sowie in die Tagespolitik aller Länder Eingang finden um Realität zu werde. Die Menschen vor willkürlicher Gewalt zu schützen ist ein permanenter Prozess.

Menschenrechte sind Rechte, die allen Menschen allein auf Grund ihres Menschseins zustehen. Menschenrechte sind keine “Bürgerrechte”, sondern stehen jedem Menschen unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit zu. Sie gelten für alle Menschen gleichermaßen.

Niemand darf wegen seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Herkunft, seiner religiösen oder politischen Anschauungen, seiner sexuellen Neigungen, etc. benachteiligt oder bevorzugt werden. Darüber hinaus gebietet der Anspruch auf Gleichstellung die Schaffung von Chancengleichheit und somit das Recht auf die dafür erforderlichen sozialen Leistungen.

Menschenrechte gelten überall und für alle Menschen. Die Universalität der Menschenrechte beschreibt einen umfassenden Geltungsanspruch, der durch Erklärungen und Übereinkünfte zu schützen ist um diese Rechte auch international durchzusetzen.

Menschenrechte werden allgemein verstanden als Abwehrrechte des einzelnen Menschen gegen den Staat zum Schutz seiner Person und seiner Freiheitssphäre. Mit diesen Menschenrechten korrespondiert eine Schutzpflicht des Staates, die auch gegenüber Bedrohungen der Menschenrechte durch dritte Personen besteht. Erst im Zusammenspiel mit dieser staatlichen Schutzpflicht kann ein Menschenrecht vollständig verwirklicht werden.

Menschenrechte sind also egalitär begründete, universell gültige, unteilbare und unveräußerliche Rechte.

(wird fortgesetzt)