Thesen zur Definition und Typologie in politikwissenschaftlicher Perspektive

Populismus – politisches Schlagwort oder wissenschaftlicher Terminus?

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Menschenmassen

BONN. (hpd) Nicht nur in Deutschland mit der “Alternative für Deutschland” (AfD), sondern auch in vielen anderen europäischen Ländern erhalten populistische Parteien bei Wahlen enormen Zulauf. Doch was ist überhaupt mit dem Begriff “Populismus” gemeint? Handelt es sich um ein politisches Schlagwort oder einen wissenschaftlichen Terminus? Dazu äußern sich die folgenden zehn Thesen, die der Extremismusforscher und Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber verfasst hat.

1. “Populismus” ist ein schillernder Begriff, der sowohl als politisches Schlagwort (negativ: konzeptionsloses Buhlen um Massenakzeptanz, positiv: postulierter Einklang mit dem Volkswillen) wie als wissenschaftlicher Terminus (Kategorie im Sinne eines Extremismus “light” oder als Politikstil mit formal-inhaltlichen Merkmalen) genutzt wird.

2. “Populismus” gehört zu den inhaltlich vieldeutigsten Phänomenen, denen eine Reihe völlig verschiedener Bewegungen, Parteien und Politikern zugerechnet wurden und werden: US-amerikanische Farmer-Bewegung, russische Narodniki, autoritäre lateinamerikanische Strömungen, chinesischer Maoismus mit Bauernrevolution, “rechte” Parteien in Europa etc.

3. Angesichts der Unterschiede und Vielfalt der genannten Phänomene kann der Begriff “Populismus” als analytische Kategorie nur genutzt werden, wenn darunter keine politische Ideologie, sondern eine Politikform verstanden wird – also eine Art, wie sich politische Akteure “zu dem umworbenen ‘Volk’ in Beziehung setzen” (Helmut Dubiel).

4. Dieses Verständnis definiert Populismus als eine bestimmte Interaktion, also eine besondere Wechselbeziehung zwischen einem Akteur und seinem Publikum, wobei sich dieser Kommunikationsform die unterschiedlichsten ideologischen und organisatorischen politischen Bestrebungen mit folgenden formal-inhaltlichen Merkmalen bedienen können:

5. Dazu gehört erstens der Bezug auf das “Volk”, das als Einheit verstanden wird, wobei die politischen und sozialen Unterschiede von Einzelnen und Interessengruppen zugunsten der Konstruktion eines allgemeinen, erkennbaren, feststehenden und wahren Volkswillens mit antipluralistischer und identitärer Dimension ignoriert werden.

6. Dazu gehört zweitens der Rekurs auf das Unmittelbare und die direkte Beziehung von dem populistischen Akteur und dem präsenten “Volk”, womit die Bedeutung von Komplexität, Repräsentation und Vermittlung in modernen und pluralistischen Gesellschaften zugunsten des Postulats einer Einheit zwischen beidem ausgeblendet wird.

7. Dazu gehört drittens die Anlehnung an den “Alltags-” bzw. “Stammtisch”-Diskurs, also an real existierende diffuse Einstellungen, Ressentiments und Vorurteile in der Gesellschaft, womit es sich nicht nur um Manipulation im Sinne von Betrug oder Demagogie, sondern um die Thematisierung von realen Empfindungen und Problemen handelt.

8. Dazu gehört viertens die Bildung von konfrontativen Identitäten, welche in einem “Wir” gegen “die Anderen” besteht, wobei mit dem Erstgenannten das “einfache” und “wahre Volk” und mit dem Letztgenannten die “Elite” bzw. “Politiker”, aber auch Angehörige von Minderheiten unterschiedlichster Art gemeint sind.

9. Eine Differenzierung von Populisten kann sich beziehen auf die inhaltliche Ausrichtung (“Links-” oder Rechtspopulismus), auf eine thematische Orientierung (“National-” oder “Sozialpopulismus”) oder die konkrete Trägerschaft (“von oben” durch einen Politiker oder “von unten” durch eine Protestbewegung).

10. Exkurs: Eine Auffassung von Populismus als “Extremismus light” beachtet nicht, dass die Differenzierung von Demokratie und Extremismus auf einer inhaltlich anderen Ebene als die Agitationsform des Populismus liegt. Es kann demnach durchaus demokratische, aber auch extremistische Formen des Populismus geben.