Britische Bildungsbehörde kritisiert jüdische Mädchenschule

Aufklärungsunterricht: Ungenügend

Weil sie den Schülerinnen grundlegendes Wissen über Sexualität, Paarbeziehungen und Fortpflanzung vorenthält, steht eine jüdische Mädchenschule in London in der Kritik der Bildungsbehörde. Nachdem ein Inspektionsteam die Schule im Juni begutachtet hatte, fordert sie in ihrem Bericht umfassende Verbesserungen.

Die Schule namens Beis Ruchel D'Satmar wird von über 800 Mädchen im Alter von drei bis 16 Jahren besucht. Sie ist im Londoner Stadtteil Stamford Hill ansässig, wo die größte chassidisch-jüdische Gemeinschaft Europas lebt.

Im Bericht der britischen Bildungsbehörde Ofsted bemängeln die InspektorInnen, dass das Thema Sexualität im Unterricht komplett ausgeklammert werde. Den Schülerinnen würden nicht einmal die biologischen Aspekte der menschlichen Fortpflanzung vermittelt. Für die Absolventinnen seien deshalb Nachteile bei naturwissenschaftlichen Prüfungen zu befürchten, obgleich die Schule alle anderen Standards des mittleren Bildungsabschlusses in Großbritannien erfülle.

Wohlgemerkt – all dies geschieht mit Wohlwollen der Erziehungsberechtigten. Laut Bericht legen sie ausdrücklich Wert darauf, dass "derartige Belehrungen ausschließlich zuhause durch Eltern und Pflegende durchgeführt werden sollten". Die Folgen dieser Erziehung könnten verheerend sein, nicht nur in Hinsicht auf den künftigen Bildungsweg, wie der Bericht kritisiert. Die Schülerinnen erhielten "nicht die Möglichkeit zur Erörterung einiger bedeutender Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung" und würden auf ein Leben im modernen Großbritannien unzureichend vorbereitet. Der Unterricht in "Relationships, Sex and Health Educations" (RSE) ist dazu da, Jugendlichen die emotionalen, sozialen, körperlichen und gesundheitlichen Aspekte von Sexualität und Beziehungen nahezubringen.

In diesem Zusammenhang bemängelt der Bericht weiter, dass bei den Lernzielen der "Respekt gegenüber Personen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung" und Geschlechtsidentität fehle. Beide Punkte sind Bestandteile des 2010 verabschiedeten "Equality Act", einer Empfehlung für Schulen, um Schülerinnen und Schüler vor Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Herkunft, Behinderung, sexueller Orientierung oder Religion zu schützen. Damit verstoße die Schule gegen die Vereinbarung mit den Behörden. Als weitere Kritikpunkte werden unter anderem eine unzureichende Förderung der Schülerinnen in den ersten Schuljahren und eine mangelhafte Qualität des Unterrichts genannt.

Schule wird nicht zum ersten Mal kritisiert

Es ist nicht das erste Mal, dass Beis Ruchel D'Satmar in der offiziellen Kritik steht. Bereits 2016 hatte ein Inspektionsbericht der Schule eine ungenügende Erfüllung der Standards bescheinigt, 2019 wurde ihr verboten, neue Schülerinnen aufzunehmen. Im gleichen Jahr hatte die Schulleitung den Inspektoren untersagt, sich in einer Rede über spirituelle, moralische, soziale und kulturelle Entwicklung an die Schülerinnen zu wenden.

Welche negativen Folgen eine vollständige Ausblendung der Themen Sexualität und Persönlichkeitswerdung für die Entwicklung von Jugendlichen mit sich bringen kann, illustriert ein weiterer Bericht, den die jüdische Initiative Nahamu bereits im Februar veröffentlichte. Darin kritisiert sie die Praxis der Zwangsehe in jüdisch-orthodoxen Gemeinden. Die verlobten Paare seien nur unzureichend darauf vorbereitet, eine einvernehmliche sexuelle Beziehung zu führen, missbräuchliche Verhaltensweisen in der Partnerschaft würden von ihnen deshalb nicht ohne weiteres als solche erkannt, so die Initiative. Als zusätzliches Problemfeld weist sie drauf hin, dass jüdisch-orthodoxe Schulen in Großbritannien die Belange von LGBTI-Personen in keiner Weise berücksichtigten.

Mit ihrem Bericht hat Nahamu die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Problematik von Zwangsehen in jüdisch-orthodoxen Gemeinden gelenkt. Auch Alastair Lichten, Experte für Schulbildung bei der britischen säkularen Organisation NSS (National Secular Society), sieht hier vieles im Argen. Angesichts der Missstände sei "es umso wichtiger zu gewährleisten, dass alle Kinder, unabhängig von der Religion der Eltern, Zugang zu altersgemäßem, objektivem und inklusivem RSE-Unterricht erhalten".

Unterstützen Sie uns bei Steady!