Kommentar

Die Freiheit der afghanischen Bevölkerung wird erneut von den Taliban zerstört

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Symbolbild
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Die Taliban haben wieder die Macht in Afghanistan übernommen, verzweifelte Menschen versuchen zu fliehen, Bundes- und US-Regierung fahren überstürzte Rettungsmissionen. Eine Einschätzung des aus Mauretanien stammenden säkularen Menschenrechtsaktivisten Mohamed Yahya Ekhou, der selbst von Islamisten bedroht wird.

In den letzten Stunden und Tagen gingen Videos von verzweifelten Afghanen um die Welt, die vor der Scharia zu fliehen versuchten und von den Tragflächen der Flugzeuge fielen, an die sie sich klammerten. Von der Unkenntlichmachung von Frauengesichtern in Zeitschriften und auf Werbeplakaten. All das spiegelt die schmerzhaften Erfahrungen des afghanischen Volkes mit der Herrschaft der Taliban wider. Auch die verschleierte CNN-Korrespondentin in Kabul zeigt, dass Frauen gezwungen sind, Hijab zu tragen. Niemand kann behaupten, dass die Taliban von heute sich von den Taliban von gestern unterscheiden würden. Die Nachrichten aus Afghanistan sind entmutigend. Die Taliban kontrollieren die Hauptstadt Kabul.

Menschenrechtsverletzungen werden zunehmen, wenn die Taliban das islamische Recht, die Scharia, durchsetzen. Sie töten all jene, die mit ausländischem Militär auf afghanischem Boden zusammengearbeitet haben. Die afghanische Jugend wird in eine Krise verfallen. Hunderttausende Menschen mussten aus ihren Häusern fliehen, und viele dieser Binnenflüchtlinge sind in der Hoffnung auf einen sicheren Zufluchtsort in Kabul angekommen, da Flüchtlingsunterkünfte bereits überfüllt sind und Menschen im Freien übernachten müssen. Tausende oder sogar Millionen Afghanen sind in Lebensgefahr.

Sollten wir die Taliban nicht mit allen verfügbaren Mitteln aufhalten? Denn was sie tun kommt einem Völkermord nahe. Die Taliban töten und drangsalieren auf unmenschlichste Weise alle, die gegen die Scharia verstoßen. Gegen Menschenrechtsverletzungen muss mit Nachdruck und Entschlossenheit vorgegangen werden. Die Scharia widerspricht der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und allen internationalen Abkommen, die bedingungslose Freiheit und Grundrechte garantieren.

Das Ziel der Taliban und ihrer Unterstützer ist die Errichtung eines Kalifats von Afghanistan aus, wofür sie bereit sind, das Blut von Millionen Menschen zu vergießen, ihre Rechte und Würde zu verletzen und sie zu unterdrücken. Afghanen fürchten um ihre Freiheit, jetzt, wo die Taliban das Land übernommen haben. Musik, Tanzen, Schönheitspflege, Drachenfliegen, Zigarettenkonsum, Wasserpfeife oder Erholung mögen einfache Zeitvertreibe sein, waren aber der Traum vieler Afghanen nach dem Ende der Taliban-Herrschaft, als sie kurz durchatmen konnten. Diese Freiheit der Afghanen, jung und alt gleichermaßen, wird nun erschüttert. Die Rückkehr der Taliban bedeutet auch die Rückkehr der Unterdrückung und ein Verbot aller Freizeitaktivitäten und persönlichen Freiheiten.

Die Taliban von heute sind die gleichen wie die Taliban von gestern

Die Ausbreitung der Taliban sollte nicht ohne entschiedene und klare Reaktion aller Länder hingenommen werden. Wir alle erinnern uns an die Zeit der Taliban-Herrschaft, als Frauen wegen ihres Lippenstifts ausgepeitscht wurden und junge Männer, weil sie Fußball spielten; wo Frauen nicht ins Krankenhaus gehen durften, weil es keine Ärztinnen gab, weil Frauen nicht zur Universität gehen durften, weil die Schulausbildung von Frauen verboten war. Es war nicht möglich, Hochzeitsfeiern zu veranstalten, weil Musik verboten war... Letzte Woche nun haben die Taliban in Kandahar einen berühmten Comedian getötet. Nizar Muhammad, bekannt als "Khasha Gwan", wurde kaltblütig hingerichtet, weil er das Verbrechen beging, die Menschen zum Lachen zu bringen.

Die Taliban, die seit dem Beginn des endgültigen Abzugs der ausländischen Truppen erhebliche militärische Fortschritte erzielt haben, lassen keinen Zweifel an ihrer Absicht, Afghanistan in einen Staat nach islamischem Recht umzuwandeln.

Angesichts der sich überschlagenden Ereignisse in Afghanistan scheinen die westlichen Mächte bereit zu sein, jedes Leiden des afghanischen Volkes zu tolerieren. Sie begnügen sich mit einer Zuschauerrolle. Die Türkei weitet ihren Einfluss derweil in den islamischen Ländern in der Umgebung und in der Nähe Afghanistans aus, beispielsweise in Aserbaidschan, das sie im militärischen Konflikt von Bergkarabach unterstützte, sowie durch ihre ausgezeichneten Beziehungen zu Pakistan, das die Taliban-Bewegung fördert. Die Taliban in Afghanistan haben in der aktuellen Situation nichts zu befürchten. Weder sind die USA an einer Rückkehr in diese tödliche Region interessiert noch wird Russland sich aufgrund der harmonischen Beziehung zwischen Erdoğan und Putin um die Zukunft dieses Landes sorgen.

Warum warten wir immer, bis die Katastrophe eintritt?

Wenn man liest, was vor Ort geschieht, rückt eine Katastrophe immer näher, die Auswirkungen auf die ganze Welt haben wird, nicht nur auf das afghanische Volk. Es stellt sich die Frage: Was sollen wir jetzt tun? Warum warten wir immer, bis die Katastrophe eintritt, und fordern dann Lösungen?

Meine persönliche Meinung ist: Die westlichen Länder, die sich für die Menschenrechte einsetzen, müssen eine klare Strategie entwickeln, um solche extremistischen Bewegungen zu zerschlagen. Denn das, was jetzt passiert, ist, dass diese Extremisten durch unterlassenes Handeln in ihrem Vorhaben ermutigt werden. Gewalt wird aber nicht die Lösung sein. Wir sehen heute, nach zwanzig Jahren des Einsatzes von Gewalt in Afghanistan, das Resultat – nämlich die Rückkehr zum Ausgangspunkt.

Der Ideologie dieser Bewegungen muss durch die Entwicklung von Lehrplänen und Bildungseinrichtungen entgegengewirkt werden, um eine Generation heranzubilden, die sich dem Extremismus und dem Hass entgegenstellt, und um zivilgesellschaftliche Organisationen und Menschenrechtsaktivisten in Afghanistan zu unterstützen.

Menschenrechte und Freiheit sollten unantastbar sein, und jeder Person, Bewegung, Regierung oder Religion, die versucht, sie zu verletzen oder zu unterdrücken, müssen wir alle entgegentreten.

Übersetzung aus dem Englischen von Luisa Lenneper für den hpd.

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