Das neue Buch von Otfried Höffe

Geschichte politischen Denkens in Portraits

Otfried Höffe, der lange Philosophie an der Universität Tübingen gelehrt hat, legt mit "Geschichte des politischen Denkens. Zwölf Porträts und acht Miniaturen" eine Gesamtdarstellung zum Thema mit Vorlesungscharakter vor. Der durch Lehr- und Publikationstätigkeit ausgewiesene Experte liefert damit einen überaus informativen Überblick, der sich aber nicht immer als wirkliche Einführung lesen lässt und hier und da insbesondere bei der Kommentierung etwas mehr Systematik verdient hätte.

Wie lässt sich Gerechtigkeit umsetzen? Was macht ein Gemeinwesen vorbildlich? Wie legitimiert sich Herrschaft? Oder: Was begründet geltendes Recht? Diese Fragen werden seit Jahrtausenden diskutiert. Der Blick auf die Geschichte der politischen Theorien macht dies deutlich. Einen solchen unternimmt Otfried Höffe, der Philosophie an der Universität Tübingen lehrte, in seinem neuen Buch "Geschichte des politischen Denkens. Zwölf Porträts und acht Miniaturen". Einerseits soll damit an die Herkunft heutiger politischer Theorien, andererseits an Diagnosen und Therapievorschläge von bleibendem Wert erinnert werden. Die einzelnen Kapitel darin gehen zurück auf eine Vorlesungsreihe, die von Platon bis Rawls reichte. Dies macht bereits deutlich: Höffe wählt einen klassischen Ansatz und portraitiert hauptsächlich einzelne Denker. Nach der historischen Chronologie werden diese mit Ausführungen zu Biographie, Grundpositionen und Wirkung dargestellt und kommentiert. Dazwischen finden sich "Zwischenspiele" mit Exkursen zu verschiedenen Themen.

Am Anfang steht bei Höffe erwartbar Platon und danach Aristoteles. Bei dem Erstgenannten geht er auch kurz auf die Kritik von Popper ein. Vor und nach dem folgenden Cicero-Kapitel finden sich kurze Ausführungen zum antiken Kosmopolitismus und dem politischen Denken im Neuen Testament. Letzteres leitet zu Augustinus über. Zum politischen Gehalt seines Denkens bemerkt der Autor angesichts von dessen Relativierung des Diesseits: "Mit Augustinus lässt sich kein Staat machen" (S. 100). Dies erlaubt die Frage, warum er überhaupt aufgenommen wurde. Danach geht es um Abu Nasr al-Farabi, einen islamisch geprägten Denker, was eher selten in Darstellungen zur Philosophie in der westlichen Welt vorkommt. Dieses Portrait wird umrankt von Betrachtungen zum Islam als politischer Religion und dem Gegensatz von geistlicher und weltlicher Gewalt. Anschließend geht Höffe auf Thomas von Aquin, Dante Alighieri und Marsilius von Padua ein, gefolgt von einem "Zwischenspiel" zu Wilhelm von Ockham mit dem politischen Sparsamkeitsprinzip.

Danach behandelt der Autor Niccolo Machiavelli und macht dabei gegen Fehldeutungen klar, dass bezogen auf das Alltagsverständnis "Machiavelli selbst ... kein Machiavellist" (S. 202) war. Thomas Hobbes, Baruch de Spinoza und John Locke folgen. Nach einem Exkurs zur europäischen Aufklärung schließen sich Jean-Jacques Rousseau, Alexander Hamilton, John Jay und James Madison als ein Kapitel und Immanuel Kant an. Bei dem Erstgenannten ist man verwundert, dass dessen ambivalente Einstellung zu Demokratie bzw. Pluralismus nicht näher thematisiert wird. Als überaus begrüßenswert kann die Aufnahme der amerikanischen Denker gelten, werden diese doch in solchen Gesamtdarstellungen häufig ignoriert. Nach einem Exkurs zum Deutschen Idealismus geht es um Georg Wilhelm Friedrich Hegel, John Stuart Mill, Karl Marx und Friedrich Nietzsche. Bei Marx fehlen erstaunlicherweise einige Ausführungen zu dessen politischem Transformationsdenken. Nietzsche wird interessanterweise unter "Antipolitik als Politik" (S. 371) behandelt.

Nach einem Exkurs zum Begriff des Politischen und zur Herrschaftstypologie schließt der Band mit einem Porträt zu John Rawls. Insofern kommt das politische Denken im 20. Jahrhundert nur durch eine Person vor, welche sicherlich von herausragender Relevanz ist. Aber darüber hinaus gab es noch andere für die Gegenwart herausragende Theoretiker in jener Zeit. Doch das ist wohl immer für Gesamtdarstellungen ein Problem: Es muss eine Auswahl getroffen werden. Da gibt es als unverzichtbar geltende Denker wie etwa Platon, Machiavelli oder Marx. Bei Anderen artikulieren sich Vorlieben des Autors wie etwa bezogen auf Hamilton, Kant oder Nietzsche. Höffe ist durch seine jahrzehntelange Lehr- und Publikationspraxis als ausgezeichneter Kenner der politischen Theorien bekannt geworden. Dies merkt man auch diesem Buch an. Manche Denker beschreibt er mehr, mit anderen erfolgen inhaltliche Auseinandersetzungen. Mitunter fehlt es diesbezüglich ein wenig an Stringenz, was sich vielleicht auch durch den früheren Vorlesungscharakter erklärt.

Otfried Höffe, Geschichte des politischen Denkens. Zwölf Porträts und acht Miniaturen, München 2016 (C. H. Beck-Verlag), 416 S., ISBN 978-3-406-69714-2, 27,95 Euro