Homöopathieduell München vs. Berlin?

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Duell um ein hochpotenziertes Nichts.

Vor kurzen titelte eine große Zeitung des konservativen Lagers "Bayern testet Globuli statt Antibiotika – und wendet sich damit gegen Lauterbach". Ist das so? Eher nicht. Es mag zwar für Schlagzeilenmacher einen gewissen Reiz haben, so zu formulieren. Recht betrachtet, gibt es hier aber weder Kausalität noch Koinzidenz der beiden Vorgänge – und ganz sicher nicht in der angedeuteten Richtung.

Denn bereits im November 2019 hatte der Bayerische Landtag auf Antrag von CSU und Freien Wählern mit den Stimmen aller Landtagsfraktionen, ausgenommen der SPD, beschlossen, einen Betrag von 400.000 Euro für eine Studie zur Verfügung zu stellen, die mögliche Potenziale für die Reduzierung von Antibiotikagaben durch gegebenenfalls komplementär (also ergänzend zur Standardtherapie) verabreichte Homöopathika untersuchen solle. Dass Homöopathika eine Antibiotika-Alternative darstellen sollen, ist kein neues Narrativ der Homöopathieszene, mit dem sie immer wieder Interesse zu wecken versucht. Nachdem ein Jahr zuvor ein Versuch gescheitert war, Forschungsmittel hierfür über eine Crowdfunding-Plattform einzuwerben, war es nun offenbar gelungen, das Thema in der offiziellen Gesundheitspolitik zu platzieren.

Das allgemeine Echo hierauf war schon seinerzeit ziemlich verheerend. Bereits vor Beschlussfassung hatte das Informationsnetzwerk Homöopathie in einem Offenen Brief an die Landtagsabgeordneten angeraten, auf eine solche Beschlussfassung zu verzichten, da es keine Anhaltspunkte, insbesondere keine offenen Forschungsfragen gebe, die eine solche Untersuchung irgendwie sinnvoll erscheinen ließen. In einem renommierten Fachjournal für Medizinethik wurde eine Arbeit veröffentlicht, die nicht nur auf die unhaltbaren Prämissen eines solchen Auftrages einging, sondern auch den Einsatz erheblicher öffentlicher Mittel dafür aus ethischer Sicht problematisierte. Dem Vernehmen nach gab es beim Gesundheitsministerium, dem die Umsetzung des Beschlusses oblag, erst einmal ein Aufseufzen.

Was die politisch Verantwortlichen in Bayern nur insoweit beeindruckte, als dass der vorgesehene Betrag auf 800.000 Euro erhöht wurde (was für eine groß angelegte, methodisch einwandfreie und multizentrische Studie allerdings noch ein geringer Betrag ist). Dem wurde entgegengehalten, dass dieses Geld besser bei der ohnehin laufenden Forschung zum Antibiotika-Problem (das ja als eines der großen aktuellen Medizinthemen tatsächlich existiert) oder bei den Aufklärungsprogrammen der organisierten Ärzteschaft (wie es sie auch in Bayern gibt) aufgehoben sei.

Nun mag man nicht unbedingt überrascht davon sein, dass es homöopathieaffine Politiker gibt, die auch geneigt sein mögen, der entsprechenden Lobby ein offenes Ohr zu leihen. Aber ein solches Projekt auflegen? Wie kommt man auf sowas? Gab's einen Hintergrund? Hierzu befragte eine große süddeutsche Zeitung die politischen Protagonisten, den immer noch amtierenden Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses im Landtag und einen damaligen Abgeordneten aus dem CSU-Gesundheitsarbeitskreis, der es immerhin inzwischen bis zum bayerischen Gesundheitsminister gebracht hat.

Es gebe da "Metastudien im HNO-Bereich", Literatur, Quellen. "Das haben wir hier rausgefunden und gegoogelt", hieß es unter Verweis auf "einen Bamberger Arzt als Gewährsmann" vom Protagonisten Nummer 1. Gegoogelt? Als Vorbereitung eines Landtagsbeschlusses über hunderttausende Euro? EINEN Gewährsmann? Der einen Ruf nur in der einschlägigen Szene hat und vorwiegend als Propagandist für Wilhelm Reichs Orgon-Energie hervorgetreten ist?

Sonst noch? Ja, schon. Von dem anderen Protagonisten war zu vernehmen, man müsse bloß mal mit Müttern reden, dann wisse man: Die Sache mit der Homöopathie werde in der "Realität draußen" anders gesehen als von der "veröffentlichten Meinung". Interessant. "Eine Studie" wurde hier auch benannt (eine höchst umstrittene, vorsichtig gesagt), garniert zu allem Überfluss auch noch mit der Verschwörungstheorie, das australische staatliche Forschungsinstitut NHMRC habe 2015 den Entwurf einer Studie zurückgehalten, der angeblich positiv für die Homöopathie ausgefallen sei … Was dann auch noch der Faktencheck des BR kritisch aufgriff. 

So geht also um politische Willensbildung in Fachfragen. Wo doch ein ganzer Schauer von wirklichen Expertenmeinungen teils schon vor dem Beschluss niedergegangen war …

Nachdem der Beschluss und die Verdoppelung des Budgets nun in blau-weißen Tüchern waren, geschah über längere Zeit gar nichts. Dem Vernehmen nach suchte das Gesundheitsministerium händeringend nach einer akademischen Institution für die Durchführung der Studie, schien aber niemanden finden zu können. Derweil arbeiteten die in Deutschland im internationalen Wissenschaftsverbund am Thema forschenden Institute wie das DZIF oder das IMED, die das Geld sicher gut hätten gebrauchen können, weiter intensiv zum Antibiotikathema.

Es geht nun alles seinen nicht mehr aufzuhaltenden Gang

Fast glaubte man schon, die Sache werde im Sande und das Geld sich wieder in den bayerischen Staatssäckel verlaufen. Jedoch, es kam dann doch anders. Im September 2022 (also nahezu drei Jahre nach dem Landtagsbeschluss) tauchte erstmals eine Vorregistrierung der Studie im Registrierungsportal clinicaltrials.gov auf, jedoch lediglich mit der Angabe, dass die Durchführung der Technischen Universität München, Klinikum Rechts der Isar, obliegen werde. Im Laufe des Jahres 2023 wurden die Angaben der Registrierung laufend erweitert, auch zum Studiendesign und der Durchführung. Der Beginn der Durchführungsphase ist aktuell auf den 15. März 2024, die Einbeziehung der letzten Patientin auf den 31. Juli 2024 und das Ende der Datenerfassung auf den 31. Januar 2025 festgelegt. Laut clinicaltrials.gov läuft die Rekrutierung von Probandinnen noch. Was heißt, dass allenfalls Ende 2025, realistisch aber erst im Laufe des Jahres 2026 mit der Veröffentlichung der Ergebnisse zu rechnen ist.

Es geht nun alles seinen nicht mehr aufzuhaltenden Gang. Aber hier kommt es nun doch immerhin zu einer inhaltlichen Verschränkung mit Minister Lauterbachs Projekt, die Homöopathie-Erstattung via Kassen-Satzungsleistung zu beenden. Denn genau diese "Leistungen", die jetzt in der Studie erbracht werden, wären jetzt noch bei ärztlicher Verordnung erstattungsfähig – nach Studienende aber wohl nicht mehr.

Sicher wollt ihr, liebe Leserinnen und Leser, an dieser Stelle mehr dazu wissen, was von der ganzen Sache mit der Studie inhaltlich zu halten ist beziehungsweise wie sie wohl ausgehen wird. Es wird – wie immer – die Studie von den wissenschaftlichen Kritikern zerpflückt und von den Homöopathen gefeiert werden. Business as usual – da bin ich ziemlich sicher. Das Informationsnetzwerk Homöopathie meint dazu, es zeichne sich hier nicht mehr ab als eine weitere einzelne Studie auf dem Berg der vorhandenen, die es bisher selbst in ihrer Gesamtheit nicht geschafft haben, eine belastbare Evidenz pro Homöopathie für irgendeine Indikation hervorzubringen. Was möglicherweise nicht ganz das ist, was sich die Initiatoren eigentlich vorgestellt hatten.

Es gibt auch heute schon ein paar sehr grundlegende Fragen, die der Studie an die Wurzel gehen – zum Beispiel, dass das Studiendesign auf der Annahme beruht, vorbeugend genommene Homöopathie könne Harnwegsrezidive verhindern. Das wäre Prophylaxe. Die aber ist Hahnemanns Homöopathie wesensfremd, denn seine Therapie will auf eine akut "verstimmte geistige Lebenskraft" wirken, deren Art der "Verstimmung" über die akuten Symptome anamnestisch genau erfasst werden will. Obwohl hier explizit nach den Grundsätzen der individualisierten Homöopathie verfahren werden soll (die Studie gehört zur Kategorie IHOM), soll herausgefunden werden, ob die mit Homöopathie vorbehandelten (!) Patientinnen im Vergleich zur Placebo-Gruppe seltener Antibiotika zur Therapie von Harnwegsinfekten benötigen. Wie das mit Hahnemanns Lehre zu rechtfertigen sein soll, entzieht sich zumindest momentan meiner Kenntnis. Aber man lernt ja gern dazu.

Lassen wir das vorerst. Wenn die Studie auf dem Tisch liegt, kann mehr gesagt werden. Vorher nicht, das wäre nicht fair und würde auch den Rahmen dieses Beitrags sprengen (zum Beispiel wirft die Sache auch medizinethische Fragen auf). Man wird sich sicher Mühe geben, es geht um einiges bei diesem öffentlichkeitswirksamen Vorgang. Die externe Studienleiterin wird sicher hochmotiviert sein, ist eine ihrer letzten Veröffentlichungen zur Homöopathie doch gerade wegen gravierender Mängel zurückgezogen worden und eine weitere, bei der sie als Mitautorin zeichnet, steht "under scrutiny", wie es im Englischen so nett heißt. Neue Chance, neues Glück?

Eher nicht. Denn ganz generell sollte man festhalten: Wer ein mystisch-anthropozentrisches "Ähnlichkeitsprinzip" in der Natur ebenso inakzeptabel findet wie die Hypothese, dass durch den "Potenzierung" genannten Vorgang mittels wiederholter Verdünnung und rituellem Schütteln ein nicht näher bestimmtes Agens ("Geistige Arzneikraft", heute gern "Feinstofflichkeit", "Energie", "Schwingung") an Wirksamkeit stetig zunimmt, der wird alle Studien, die statistisch positive Effekte zugunsten der Homöopathie aufweisen, als "falsch positiv" qualifizieren müssen. Oder den Schritt in die Irrationalität hinein tun. Eintrittspreis in diesem Fall: 800.000 Euro.

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