Tagung in Berlin

Humanistische Werte in der Einwanderungsgesellschaft

342d024b-0eae-477f-95bc-e7b82d096430speedport_w_724v_09011603_00_023.jpeg

Dr. René Cuperus, Dr.Ralf Schöppner, Dr. Nicole Immler, Arne Lietz (v.l.n.r.)
Dr. René Cuperus, Dr.Ralf Schöppner, Dr. Nicole Immler, Arne Lietz

Zu einer gemeinsamen Tagung hatten die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Humanistische Akademie eingeladen. Annähernd 100 Gäste trafen zusammen. Es folgten vier Stunden mit Statements und vehementen Diskussionen.

Im ersten Panel warf zunächst Prof. Dr. Riem Spielhaus, Islamwissenschaftlerin von der Georg-August-Universität Göttingen, einen kritischen Blick auf die Debatte um Werte. Diese würden oftmals als Mittel zur Ausgrenzung anderer benutzt, wozu insbesondere die mit ihnen transportierte "Semantik des Eigentlichen" (H. Bielefeldt) beitrage. Demgegenüber verwies sie auf die Bedeutung von konkreten Aushandlungsprozessen im Alltag. Statt von einer Einwanderungsgesellschaft sprach sie von einer postmigrantischen Gesellschaft: Es sei frappierend, dass die zahlreichen Zuwander, die schon seit vielen Jahren in Deutschland leben oder sogar hier geboren sind, in den Einwanderungsdiskursen stets unter "Migranten" mitsubsumiert würden.

Dr. Ralf Schöppner, Foto: © Evelin Frerk

Dr. Ralf Schöppner, Foto: © Evelin Frerk

Dr. Ralf Schöppner, Philosoph und Geschäftsführender Direktor der Humanistischen Akademie, stellte den Gästen einige zentrale Elemente eines zeitgenössischen Humanismus vor. In einem aktuell diskutierten Entwurf des Humanistischen Verbandes stünden Lebensfreude und Selbstbestimmung, "brennen" für eine bessere Welt, Kritik und Toleranz sowie Weltlichkeit im Mittelpunkt. Auch bei ihm war eine Vorsicht zu bemerken, sich unkritisch auf herrschende Wertediskurse einzulassen. Er plädierte dafür, genau zu erkunden, welche neuartigen Integrationsherausforderungen die aktuellen Flucht- und Migrationsbewegungen wirklich darstellen. Humanistische Integration setze zum einen auf an Menschenrechte gebundene Rechtsstaatlichkeit und sozio-ökonomische Integration (Arbeit, Wohnen, Sprache, Beziehung). Zum anderen aber gehe es insbesondere um die wechselseitige Bereitschaft, sich auf gemeinsame Beratungen über Lebensformen und Zusammenleben einzulassen und dabei nicht nur am eigenen Standpunkt zu kleben. Dies sei eine von humanistischen Organisationen zu vermittelnde Kompetenz, in der sich humanistische Überzeugungen und Werte kristallisierten.

Aus der anschließenden Diskussion mit dem Publikum ist besonders hervorzuheben, dass viele Gäste in ihren Redebeiträgen den Wunsch nach einem vehementeren Eintreten für die Werte der deutschen Verfassung bekundeten. Angesichts der offenen Dialogbereitschaft von deutschen Linksliberalen würden sich radikale Islamisten ins Fäustchen lachen. Gewünscht wurde u.a. auch ein resolutes humanistisches Bekenntnis zur Polizei.

Die Historikerin und Kulturwissenschaftlerin Dr. Nicole Immler von der Utrechter Universität für Humanistik berichtete zu Beginn des zweiten Panels von ihren Forschungen zu interkulturellen Diskursen in den Niederlanden. Unter dem Motto "Was der Pluralismus vom Humanismus lernen kann" vollzog sie anhand zweier praktischer Beispiele einen interessanten Perspektivwechsel weg von den Einwandernden hin zu den Einheimischen. Die öffentlichen kollektiven Feiern zum "schwarzen Piet" zeigten einen unterschwelligen Rassismus und die Debatten um z.B. Einwanderer aus Indonesien entbehrten jeglicher Reflektion des eigenen kolonialen Erbes. Auch nach vielen Jahren der Einwanderung seien Einwandernde in den Niederlanden nach wie vor in vielen zentralen gesellschaftlichen Bereichen unsichtbar. Dies sei ein großes Hindernis für Austausch, für wirkliche Interkulturalität und gesellschaftlichen Pluralismus. Den Menschenrechten wies sie die Aufgabe zu, eine "gemeinsame neutrale Sprache" zu sein.

Dr. René Cuperus, Direktor der Wiardi Beckman-Stiftung Amsterdam, einem Think Tank der niederländischen Arbeiterpartei (PvdA), belebte die Diskussion mit seiner These, die Vertreter und Vertreterinnen multi- und interkultureller Konzepte seien "Brandstifter des europäischen Rechtspopulismus". Es handele sich um ein gefährliches Denken der intellektuellen Klasse mit "aggressiven Begriffen" für Eingesessene. Stattdessen plädierte er für eine Leitkultur und den Dreischritt von Assimilation, Partizipation und kultureller/religiöser Freiheit. An erster Stelle steht für ihn die notwendige Anpassung der Einwanderer an die Grundregeln des demokratischen Rechtsstaates und die Einübung in Toleranz. Des Weiteren diagnostizierte Cuperus speziell in den Niederlanden einen Mangel an Respekt für Religion und Tradition, der im Zusammenhang stehe mit der Konfessionsfreiheit als gesellschaftlicher Mehrheit und der seinen Ausdruck auch in verbreiteter Islamophobie finde.

Arne Lietz, Mitglied der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, hob die Bedeutung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften für den Prozess der europäischen Einigung hervor. Er stellte dem Auditorium einen "Aufruf zum aktiven Handeln gegen die weltweite Verfolgung religiöser Minderheiten" vor, unterschrieben von Abgeordneten des Europäischen Parlamentes, die sich ganz unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen verbunden fühlen. Im Gegensatz zu vielen anderen öffentlichen Verlautbarungen zur Religionsfreiheit wird in diesem Aufruf erfreulicherweise auch auf den Schutz der Freiheit, keiner Religion anzugehören, hingewiesen. Ein Punkt, den Lietz auch mündlich nochmals besonders Nachdruck verlieh.

Prof. Dr. Riem Spielhaus, Islamwissenschaftlerin, Universität Göttingen, Foto © Georg-Eckert-Institut

Prof. Dr. Riem Spielhaus, Islamwissenschaftlerin, Universität Göttingen, Foto © Georg-Eckert-Institut

Nicht überraschend stand dann in der Diskussion des zweiten Panels die provokante These von Cuperus im Vordergrund. Viele Gäste äußerten sich zustimmend und dankbar, dass "hier mal jemand die Dinge beim Namen nennt". Der Forderung nach einer Leitkultur wurde in den Beiträgen jedoch auch der Wunsch nach kultureller Vielstimmigkeit und zusammenhaltfördernder gemeinsamer Praxis gegenübergestellt. Tendenziell einig war man sich über die Problematik einer europaweit zunehmenden Kluft zwischen Akademikern und Nicht-Akademikern, begleitet von mangelndem Vertrauen in die sogenannten herrschenden Eliten Ob dem europäischen Rechtsruck allerdings am besten damit zu begegnen ist, Multi- und Interkulturalismus als dessen "Brandstifter" verantwortlich zu machen, oder ob man sich damit nicht vielmehr selbst als "Brandbeschleuniger" betätigt und dem Ressentiment den Persilschein ausstellt, musste an diesem Abend offen bleiben.