Paul Masons "Postkapitalismus"

Kein Kultbuch für eine neue Kapitalismuskritik

BONN. (hpd) Der Journalist Paul Mason begründet in seinem Buch "Postkapitalismus. Grundrisse einer kommenden Ökonomie", warum der Kapitalismus aufgrund von neueren Widersprüchen in einen "Post-Kapitalismus" übergehen müsse und welche konkreten Praktiken das dortige Wirtschaften prägen würden. Auch wenn der Autor eine Fülle von Problemen des gegenwärtigen Wirtschaftens benennen kann, überzeugt seine Darstellung aus unterschiedlichsten Gründen in der Gesamtschau nicht, wobei seine einseitigen und schiefe Fixierung auf die Informationsökonomie einer der größten Kritikpunkte wäre.

Dass der Kapitalismus untergehen wird, ist schon häufiger prognostiziert worden. Der bekannteste und einflussreichste Protagonist dieser Sicht war wohl Karl Marx. Als ein gegenwärtiger Nachfolgern in dieser Frage präsentiert sich Paul Mason, ein vielfach ausgezeichneter englischer Fernsehjournalist, der lange für die BBC und Channel 4 News gearbeitet hat.

Mason bezeichnete sich früher als revolutionärer Trotzkist, heute definiert er sich als radikaler Sozialdemokrat. Demnach hat man es mit seinem Buch "Postkapitalismus. Grundriss einer kommenden Ökonomie" auch nicht mit einer dogmatischen marxistischen Deutung zu tun. Der Autor beruft sich zwar auf den Denker aus Trier, darüber hinaus noch auf einige seiner Nachfolger von Rudolf Hilferding über Nikolai Kondratjew bis zu Rosa Luxemburg, aber ohne dabei bloße Textexegese ohne Wirklichkeitsbezug zu betreiben. Mason stellt drei Fragen: Warum geriet der Kapitalismus in eine Krise? Wie sieht der Postkapitalismus aus? Und wie kommt man dorthin?

Antworten will er in den drei entsprechend ausgerichteten Teilen des Werks geben. Ausgangspunkt und Hauptthese ist dabei: "Der Kapitalismus ist ein komplexes, anpassungsfähiges System, das jedoch an die Grenzen seiner Anpassungsfähigkeit gestoßen ist" (S. 14). Die Finanzkrise von 2008 habe gezeigt, dass das alte Wirtschaftsmodell nicht mehr funktioniere und das Wachstum nicht mehr angekurbelt werden könne, ohne das Finanzsystem noch verwundbarer zu machen. Ein wichtiger Faktor müsse dabei in der Informationstechnologie gesehen werden. Dadurch würden aber auch Bedingungen für eine postkapitalistische Wirtschaft geschaffen. Denn: "Der wesentliche innere Widerspruch des modernen Kapitalismus ist der zwischen der Möglichkeit kostenloser, im Überfluss vorhandener Allmendeprodukte und einem System von Monopolen, Banken und Regierungen, die versuchen ihre Kontrolle über die Macht und die Informationen aufrechtzuerhalten. Es tobt ein Krieg zwischen Netzwerk und Hierarchie" (S. 196).

Die mittlerweile entstandene Informationstechnologieökonomie birgt für Mason aber auch die Potentiale für einen grundlegenden Transformationsprozess für die Wirtschaft. Es könne so eine ganz neue Produktionsweise entstehen, wofür das Internetlexikon "Wikipedia" als Beispiel genannt wird. Dieses stehe für freiwillige Arbeit und kostenlose Nutzung. Genau dies ermögliche denn auch gesamtgesellschaftliche Änderungen, denn: "Eine auf Wissen beruhende Volkswirtschaft kann aufgrund ihrer Tendenz zu kostenlosen Produkten und schwachen Eigentumsrechten keine kapitalistische Volkswirtschaft mehr sein" (S. 234). Daraus ergebe sich die gesellschaftliche wie ökonomische Notwendigkeit zum Übergang. Im Postkapitalismus würde sich dann der Staat auch anders verhalten: "Seine Aufgabe wird es sein, die neuen Wirtschaftsformen zu fördern, bis diese eigenständig funktionieren können. ... Es gibt eine Veränderung, die jede Regierung sofort und kostenlos herbeiführen könnte: Die neoliberale Privatisierungsmaschine muss abgeschaltet werden" (S. 349)

Zwar ist der Autor ein Journalist, es handelt sich aber um kein Reportagenbuch. Auch wenn er beruflich gewonnene Eindrücke referiert, so erhebt sein Buch sehr wohl einen wissenschaftlichen Anspruch. Dies geschieht durchaus angemessen, hat sich Mason doch in Krisentheorie und Ökonomieentwicklung intensiv eingearbeitet. Er macht auch zutreffend auf sozioökonomische Konfliktfelder und alternative Potentiale aufmerksam. Gleichwohl kann seine Darstellung und Lösung nicht überzeugen. Denn so sehr die Entwicklung in Richtung einer Informationsökonomie geht, so wenig lässt sich die Wirtschaft darauf beschränken.

Ähnlich wie manche jüngeren Menschen in den neuen Medien zu leben scheinen, ähnlich ist Mason auf die dortigen Entwicklungen für die Gesamtökonomie fixiert. Hinzu kommt, dass auch eine kommende "postkapitalistische" Ordnung nicht nur auf "kollaborativer Ökonomie" a la Wikipedia funktionieren kann und Änderungen nicht nur von lockeren Kommunikationsnetzwerken, sondern von starken politischen Akteuren ausgehen müssen.

Paul Mason, Postkapitalismus. Grundriss einer kommenden Ökonomie, Berlin 2016 (Suhrkamp), 429 S., ISBN: 978-3-518-42539-8, 26,95 Euro