Streit ums Gipfelkreuz

In Österreich und Italien streitet man derzeit ums Gipfelkreuz. Sind die religiösen Symbole auf Bergen noch zeitgemäß? Traditionalisten empören sich schon allein über diese Frage und verteidigen die Gipfelkreuze als Symbol der christlichen Identität ihres Landes – auch wenn darin immer weniger Christen leben.

Wer im Sommerurlaub in den Alpen wandern geht, kann eine Begegnung mit ihnen kaum vermeiden: Gipfelkreuze. Die meist meterhohen wuchtigen Holz- oder Steinkreuze thronen in den Alpen zu Tausenden an der jeweils höchsten Spitze eines Berges und lassen keinen Zweifel aufkommen, wer in der jeweiligen Region als allerhöchste Gottheit gilt. Allerdings wird diese Gottheit auch in den bekannten Gipfelkreuzregionen von immer weniger Menschen verehrt. Unter anderem deswegen stellt sich die Frage, ob Kreuze als Symbole des christlichen Glaubens und Herrschaftsanspruchs noch zeitgemäß sind.

In Italien und Österreich sorgt genau diese Frage aktuell für einige Diskussionen. Angestoßen hatte sie Ende Juni ein Vertreter des italienischen Alpenvereins, Club Alpino Italiano (CAI). Er hatte öffentlich geäußert, dass seiner Meinung nach keine neuen Gipfelkreuze mehr aufgestellt werden sollten, weil sie nicht mehr zeitgemäße religiöse Symbole auf Bergen seien. Das Thema schwappte über die Berggipfel ins Nachbarland Österreich, wo sich der Präsident des Österreichischen Alpenvereins (ÖAV), Andreas Ermacora, ebenfalls gegen das Aufstellen neuer Gipfelkreuze aussprach – wenn auch weniger aus religiösen Gründen. Es gebe schlicht bereits genug Gipfelkreuze, die auch ersetzt würden, sobald sie morsch würden.   

Obwohl also kein einziges Gipfelkreuz von der Abholzung bedroht ist, sorgten die Äußerungen unter Traditionalisten umgehend für Empörung. Aus Kreisen der konservativen ÖVP und der rechtspopulistischen FPÖ in Tirol war zu hören, Gipfelkreuze "seien ein Zeichen für das christliche Erbe Tirols und daher Teil der Identität des Landes", ein Zeichen der "Dankbarkeit" und "Spiritualität", das "Tradition und Glaube" repräsentiere.

Der Streit um das Thema "Gipfelkreuz" ist nicht neu. Auch in der Schweiz gab es vor mehr als zehn Jahren eine intensive Debatte ums Gipfelkreuz, nachdem ein Bergführer dort mehrere der religiösen Symbole zerstört hatte. Die Frage, ob es sich hierbei um Sachbeschädigung oder Blasphemie handelt, sorgte damals für angeregte Diskussionen. Die Freidenker-Vereinigung der Schweiz (FVS) positionierte sich damals ebenfalls klar gegen das Aufstellen neuer Gipfelkreuze.

"Wir treten in der Schweiz für ein Gipfelkreuz-Moratorium ein, das heißt, es soll auf die Errichtung neuer Kreuze verzichtet werden", erläuterte Kyriacou, Präsident der schweizer Freidenker-Vereinigung, 2016 die Position der Freidenker gegenüber dem hpd. "Es sind zumeist missionarische Gruppierungen, die sich zum Ziel gesetzt haben, möglichst jeden Hügel mit einem Kreuz zu versehen, welche hinter den Plänen für neue Kreuze stehen. Die Berge sollen vor solchen Reviermarkierungen verschont bleiben." Wobei Kyriacou ausdrücklich betonte, dass die Forderung, keine neuen Kreuze zu errichten, eben nicht gleichbedeutend sei mit der Forderung, bestehende Kreuze eigenmächtig zu fällen.

Falls es einen Gott geben sollte – was bekanntlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht der Fall ist – scheint es, als sei er in der Gipfelkreuz-Angelegenheit nicht auf Seiten der Befürworter religiöser Berggipfel-Verzierungen. Er sieht tatenlos zu, wie Gipfelkreuze bei Bauarbeiten beschädigt werden, vom Blitz getroffen werden, unter Schnee und Eis zusammenbrechen oder durch Bergstürze in Tiefe gerissen werden, wie erst im vergangenen Monat das Gipfelkreuz des Fluchthorn in Tirol. Göttliche Begeisterung für Holzlatten auf Naturschönheiten würde vermutlich anders aussehen.

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