Drei offensichtliche Fragen, die noch niemand stellte

Katholischer Krimi in Kärnten

Seit Monaten tauchen in österreichischen Medien Berichte über den einstigen Kärntner Bischof Alois Schwarz und seine als "enge Vertraute" bezeichnete ehemalige Assistentin Andrea Enzinger auf. Die in den Berichten erzählte Geschichte ist komplex und ohne entsprechendes Vorwissen schwer zu verstehen.

Aus diesem Grund lohnt sich ein Blick auf die zeitliche Abfolge der bisher bekannten Geschehnisse in der Kärntner Diözese Gurk-Klagenfurt. Zur besseren Übersicht sind in dieser Abfolge alle bis jetzt bekannten Begebenheiten eingearbeitet, unabhängig davon, wann diese öffentlich bekannt wurden.

Mai 2001: Alois Schwarz wird von Papst Johannes Paul II. zum Bischof der Kärntner Diözese Gurk-Klagenfurt ernannt. Damit verfügt Schwarz über das größte Mensalgut Österreichs. Geschätztes Vermögen: 175 Millionen Euro. (Anmerkung: Ein Mensalgut ist eine Art zweckgewidmetes Vermögen der Katholischen Kirche zum Zwecke der Amtsausführung eines Bischofs. Dieser ist treuhändischer Verwalter, aber nicht Besitzer des Vermögens)

Ende 2015: Unter Bischof Schwarz werden erstmals rote Zahlen geschrieben, genauso wie in den Folgejahren 2016 und 2017.

Anfang 2018: Bischof Alois Schwarz engagiert Privatdetektiv Gert-René Polli, den ehemaligen Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Dieser solle "Schwachstellen in der Diözese aufdecken", kurz nachdem einzelne Diözesan-Mitarbeiter anonyme Briefe an die Presse schrieben, in denen sie die Missstände in der Diözese schildern.

Mai 2018: Alois Schwarz wird von Papst Franziskus überraschend zum Bischof des niederösterreichischen St. Pölten ernannt. Andrea Enzinger, seine Assistentin, bleibt in Kärnten. Zu diesem Zeitpunkt ist sie Direktorin des Bildungshauses St.Georgen/Längsee.

Juli 2018: Diözesanadministrator Engelbert Guggenberger und das Domkapitel – welche seit Schwarz’ Wechsel nach St. Pölten die Diözese leiten – starten Untersuchungen zur Ära Schwarz, in die auch Wirtschaftsprüfer miteinbezogen sind.

August 2018: Andrea Enzinger wird gekündigt.

Oktober 2018: Andrea Enzinger hat die Diözese Gurk-Klagenfurt verklagt, da ihre Kündigung aus ihrer Sicht nicht rechtens sei. Der Prozess beginnt. Richter Helfried Kandutsch gibt direkt zu Prozessbeginn bekannt, Unterlagen wegen des Verdachts der Veruntreuung an die Staatsanwaltschaft Klagenfurt weitergeleitet zu haben. Bis heute ist Enzinger nicht wieder eingesetzt worden.

Dezember 2018: Die Wiener Nuntiatur untersagt Diözesanadministrator Guggenberger und dem Domkapitel die Veröffentlichung ihres Prüfberichts bei einer Pressekonferenz. Die Weisung dazu kam von der römischen Bischofskongregation.

Wenige Tage später setzt sich die Diözesanleitung über die Anweisung hinweg, präsentiert den Prüfbericht bei einem eilig einberufenen "Pressestatement" und macht eine Zusammenfassung des Berichts publik. Gleichzeitig werden Regressforderungen gegen Alois Schwarz angekündigt.

Die Staatsanwaltschaft Graz gibt Ende Dezember bekannt, ein Verfahren gegen Alois Schwarz wegen des Verdachts der Veruntreuung eingeleitet zu haben. Der Fall wurde vorher von Klagenfurt nach Graz weitergeleitet, da die Klagenfurter Staatsanwaltschaft den Anschein von Befangenheit verhindern wollte.

Januar 2019: Auf Geheiß des Papstes reist ein apostolisches Visitationsteam unter Führung des Salzburger Erzbischofs Franz Lackner nach Kärnten, um den Fall aufzuarbeiten. Zuerst sollte nur die Zeit der Sedisvakanz, also die Zeit nach Schwarz' Abgang nach St. Pölten, geprüft werden. Nach öffentlicher und medialer Empörung wird der Prüfauftrag geändert und auf die Amtszeit von Schwarz ab 2008 ausgeweitet.

Die Prüfung durch das Visitationsteam soll bis zu Beginn der christlichen Fastenzeit, also Anfang März 2019, dauern.

Aus dem bereits Bekannten ergeben sich drei Fragen, die in der medialen Berichterstattung unverständlicherweise noch nicht gestellt wurden.

1. Wie ist solch ein Machtmissbrauch möglich?

Das Verhältnis zwischen Schwarz und seiner "engen Vertrauten" Enzinger lässt sich, zumindest theoretisch, in zwei Bereiche aufgliedern: Deren privates Verhältnis und deren Arbeitsverhältnis.

Das private Verhältnis, wie es beispielsweise Schwarz' Studienkollegin Gerda Schaffelhofer medial schilderte, ist hierbei das weniger relevante. Ob ein Zölibatsbruch stattfand und ob der Bischof "Wachs in den Händen von Enzinger" war, spielt keine besondere Rolle.

Viel wichtiger als das Private ist das Verhältnis der beiden in ihren jeweiligen Positionen innerhalb der Diözese und der daraus resultierende Machtmissbrauch.

Laut Prüfbericht "… festigt sich das Bild, dass mit Wissen und Unterstützung von Bischof Dr. Alois Schwarz Andrea Enzinger B.A. MA das Bistum Gurk als Bühne für ihre persönlichen Interessen missbraucht … hat". Weiter heißt es im Bericht: "Dieses Agieren wurde auch beschrieben als 'von Emotionen geleitet', 'unberechenbar', 'nicht kommunikativ' und 'unprofessionell'. Nach den Aussagen der betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern trägt Andrea Enzinger B.A. MA die Verantwortung für ein Arbeitsklima, das … geprägt war von Angst, Intrige und Mobbing."

Hinzu kommt die Einschaltung eines Privatdetektivs durch Schwarz, was einer Bespitzelung der eigenen MitarbeiterInnen gleichkommt.

Bleibt nun die Frage, wie die Diözese jahrelang auf diese Weise geführt werden konnte. Es gab Briefe, die auf die Missstände aufmerksam machten. Die Nuntiatur in Wien und Kardinal Christoph Schönborn wurden, nach Angaben der katholischen Kirche Kärntens, ebenfalls informiert. Passiert ist nichts.

Die Katholische Kirche ist vom österreichischen ArbeitnehmerInnenschutzgesetz und Arbeitsinspektionsgesetz ausgenommen. Eine vernünftige Antwort auf das "Warum?" gibt es nicht. Die Geschichte rund um die Diözese Gurk-Klagenfurt zeigt einmal mehr, dass sich auch geistliche Institutionen dem weltlichen Recht zu beugen haben.

2. Wofür soll die Versetzung gut sein?

Bischof Schwarz wurde von Kärnten nach Niederösterreich versetzt. Die Versetzung erfolgte relativ kurz nach der Einstellung eines Privatdetektivs zum "Aufdecken von Schwachstellen in der Diözese".

Dabei bleibt die Kirchenführung eine Antwort schuldig: Wie soll eine Versetzung auf derselben Ebene – Bischof in Kärnten, Bischof in Niederösterreich – etwas lösen? Da Enzinger dem Bischof nicht nach Niederösterreich folgte, steht die Vermutung im Raum, dass gewisse Missstände zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt waren.

Die Tatsache, dass die Bischofskongregation versuchte, die Veröffentlichung des Prüfberichts zu verhindern, legt folgenden Schluss nahe: Die ganze Geschichte sollte nie an die Öffentlichkeit gelangen. Die Versetzung war kein Lösungsversuch, sondern nur innerkirchliches Vorgehen zum Zwecke der Vertuschung.

Während die Kirche solche "Straf"-Versetzungen durchführt, laufen ihr die Schäfchen unbeeindruckt weiter davon: 2018 traten knapp 60.000 ÖsterreicherInnen aus der Kirche aus. Am stärksten hat sich die Zahl der Kirchenaustritte in der Diözese Gurk-Klagenfurt erhöht.

3. Wieso ein katholisches Visitationsteam?

Indirekt wird die Katholische Kirche – und somit die Diözese Gurk-Klagenfurt - vom österreichischen Staat mitfinanziert. Viele kirchliche Angelegenheiten werden vom Staat bezahlt, etwa der Religionsunterricht oder Konfessionsschulen. Zur Höhe der Zahlungen gibt es nur – teils ältere – Schätzwerte. Alleine im Bildungssektor übernimmt der Staat rund eine Milliarde Euro an Kosten für die Katholische Kirche. Die Kosten für Arbeitsunfähigkeit, Therapien etc. im Zuge des Missbrauchs von Kindern durch die Kirche zahlt diese ebenfalls nicht selbst.

Daneben gibt es noch die direkte Kirchenförderung auf Basis der Wiedergutmachungszahlungen für entzogenes Vermögen während der NS-Zeit. Geschätzte Summe: 45 Millionen Euro pro Jahr. Die Kirche genießt noch viele weitere Steuervorteile und gesetzliche Sonderregelungen.

Aus diesem Grund stellt sich folgende Frage:

Wieso wird die Prüfung der Missstände bei einem staatlich indirekt mitfinanziertem Vermögensgut der Institution überlassen, welche die Missstände verursachte bzw. vertuschte?

Noch unverständlicher wird die Sache unter Miteinbezug folgender Gegebenheiten:

  • Laut Diözesanadministrator Guggenberger sind die Missstände bereits seit 10 Jahren innerhalb der Katholischen Kirche bekannt, wurden aber ignoriert.
  • Die Objektivität von Erzbischof und Untersuchungsleiter Franz Lackner in der Causa ist höchst zweifelhaft.

Fazit

Franz Lackner und sein Team mögen in Interviews und Presseaussendungen von größtmöglicher Transparenz sprechen. Dennoch: Ein Erzbischof prüft die Aktivitäten eines Bischofs, nachdem die Katholische Kirche erfolglos versuchte, die Geschehnisse nicht öffentlich zu machen.

Mit anderen Worten: Katholische Versprechen und Beteuerungen sind in dieser Sache unglaubwürdig.

Immerhin ermittelt auch die Staatsanwaltschaft Graz. Dennoch bleibt die Bestätigung der alten Gewissheit: In Österreich besitzt die Katholische Kirche nach wie vor viel weltliche Macht und damit einhergehende Privilegien. Ein Armutszeugnis für einen modernen europäischen Staat im Jahr 2019.

Allerdings ist es bemerkenswert, dass sich die Diözesanführung gegen die Weisung der oberen Kirchenriegen wandte. Ein Indiz darauf, dass die Kirchenbasis langsam auch genug hat von der üblichen Vorgehensweise des höheren Klerus und der höheren kirchlichen Gremien. Da es ins Gesamtbild passt, sei hier noch die Pfarrerinitiative erwähnt. Diese versucht zumindest, die Glaubwürdigkeit der Katholischen Kirche zu retten. Diese kann zwar aus oben genannten Gründen unmöglich glaubwürdig sein, aber immerhin gibt es Stimmen innerhalb der Kirche, welche die Zeichen der Zeit erkannt haben.

Der Artikel erschien zuerst auf der Webseite der GBS Österreich.