100 Jahre Weimarer Verfassung – das heißt bisher auch 100 Jahre Nichtstun der Regierungen beim Verfassungsgebot der Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen.
Das Bündnis altrechtliche Staatsleistungen abschaffen (BAStA) will Bewegung in die Sache bringen und hat Parteien, Bundes- und Landtagsabgeordnete, Fraktionen, Regierungen, Landesrechnungshöfe und Kirchen mit der Aufforderung angeschrieben, endlich die Initiative zur Beendigung der Zahlungen zu ergreifen.
Die über 50 Antworten fallen zwar differenziert, aber insgesamt gesehen ernüchternd aus. Auffallend ist, dass sich praktisch keine der Antworten mit der Frage befasst, ob es rechtlich zulässig ist, den Verfassungsauftrag zur Ablösung weiter zu missachten.
Die Bundesregierung hat überhaupt nicht reagiert. Ebenso wenig in der Sache die Landesregierungen von Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Saarland.
Die Landesregierungen von Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben immerhin in der Sache geantwortet. Sie haben überwiegend darauf verwiesen, dass es an dem notwendigen Grundsätzegesetz des Bundes zur Ablösung der Staatsleistungen fehlt. Sie lehnen es durchweg ab, selbst über den Bundesrat und gegenüber den Kirchen in dieser Sache initiativ zu werden. Sie verweisen auf die von ihnen mit den Kirchen abgeschlossenen Verträge und die ggf. zu erwartenden hohen Ablösungsentschädigungen.
Die Rechnungshöfe danken zwar für die Hinweise, sehen teilweise auch, dass es ein Problem gibt, betrachten es aber, jedenfalls derzeit, nicht als ihre Pflicht an, die Exekutive zum Tätigwerden zu veranlassen.
Den von uns angeregten Verzicht auf weitere Staatsleistungen lehnen die beiden größeren Kirchen erwartungsgemäß ab. Sie zeigen sich in der Ablösungsfrage zwar gesprächs- und ablösebereit, warten aber auf Initiativen der Politik. Dabei verweist das Kirchenamt der EKD auf die unbedingte Notwendigkeit einer – so die Formulierung – "leistungsäquivalenten" Ablösungsentschädigung.
Die Vertreter der Regierungsparteien CDU/CSU und SPD äußerten sich kaum, und wenn doch, dann sehen sie entweder keinen Bedarf oder wegen der hohen Ablösungsentschädigungen keine Möglichkeit zur Ablösung, sie weisen außerdem darauf hin, dass die Länder kein Ablösungsinteresse bekundet hätten.
Landespolitiker dieser Parteien verweisen vor allem darauf, dass die Bundesebene in der Pflicht sei. Stellvertretend sei hier die Vorsitzende der SPD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, Katja Pähle genannt, die sich wie folgt äußert: "[Einer] möglichen einseitigen Ablösung von Staatsleistungen durch das Land Sachsen-Anhalt muss nach herrschender Meinung ein Grundsatzgesetz des Bundes vorausgehen: der Landesgesetzgeber darf also mithin nicht vorher tätig werden, bevor der Bund die Grundsatzgesetzgebung erlassen hat." Das Bundesministerium des Innern hat demgegenüber in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken am 09.04.2014 darauf hingewiesen, dass es für einen derartigen Gesetzentwurf keinen Handlungsbedarf sieht.
Allein die im Bundestag vertretenen Oppositions-Parteien setzen sich dafür ein, dass abgelöst wird. (Die AfD hatten wir nicht angeschrieben.)
- Linken-Parteichef Bernd Riexinger befürwortet Ablöseinitiativen, wie schon die Linken-Fraktion 2013 und 2017 sie eingebracht habe.
- Grünen-Vorsitzender Habeck und mehrere Landesvorsitzende sprachen sich für Ablöseinitiativen aus, wie es das Wahlprogramm 2017 vorsieht. Der religionspolitische Sprecher der Grünen, Konstantin von Notz, zeigt sich "überzeugt, dass die Politik jetzt in der Pflicht ist, die Debatte neu anzustoßen und nach Einhundert Jahren des Bestehens der Ablösungsverpflichtung das ihrige zu tun."
- Antworten der FDP-Landesebene stehen im Einklang mit Äußerungen ihres Fraktions-Sprechers für Religionsfragen Stefan Ruppert, der sich für Ablösungen ausgesprochen hat .
Ähnlich äußern sich Vertreter dieser drei Parteien auf Landesebene.
Politiker von Kleinparteien sprechen sich deutlich für die Ablösung der Staatsleistungen aus. So der Europaabgeordnete Patrick Breyer von der Piratenpartei und Felix Bölter, der Vorsitzende der Partei der Humanisten, die jeweils auf ihre Parteiprogramme verweisen.
Rechtfertigungen für das bisherige Nichtstun in der Politik:
A)
Es wird behauptet, die Bundesländer (alle außer Bremen und Hamburg) würden mit den Staatsleistungen etwas Gutes tun, weil deren Empfängerinnen etwas Gutes mit dem Geld tun würden. Es sind sogar schon Stimmen laut geworden, dass die Kirchen gerade deshalb die altrechtlichen Staatsleistungen erhalten sollten, weil viel mehr Menschen aus den Kirchen austreten als eintreten und die Zahl der Kirchenmitglieder stetig schrumpft. Dem halten wir entgegen, dass die Kirchen nicht darüber rechenschaftspflichtig sind, was sie mit den 549 Millionen Euro (für das Jahr 2019) tun (Ausnahme: Bayern, wo ausdrücklich Gehälter der höheren Geistlichen und dergleichen bezahlt werden). Die Allgemeinheit zahlt hier für eine besondere Entität. Diesen unhaltbaren Zustand möchten schon die Weimarer Verfassung und das Grundgesetz zu Recht aufheben. Noch nie haben wir die diesem Argument innewohnende Schlussfolgerung gehört, dass es besser wäre, wenn Hamburg und Bremen ebenfalls Staatsleistungen zu zahlen hätten.
B)
Zweitens heißt es, die Ablösung sei zu teuer.
Dazu zweierlei: zum Einen steht nirgendwo, wie hoch die Ablösung zu sein hat. Wirkliche Verhandlungen darüber haben bisher auf keiner staatlichen Ebene stattgefunden. Allerdings sind die jährlichen Beträge für die Staatsleistungen in der Vergangenheit in Baden-Württemberg und Bayern reduziert worden
Die Bundesländer zahlen höchst unterschiedliche Beträge – egal, ob man Zahlungen je Kirchenmitglied, je Bürger/in oder je Einwohner/in zugrunde legt. Es gibt also keine feste oder einheitliche Berechnungsgrundlage, Zum Anderen ist eineAblösung auch gerade aus finanziellen Erwägungen vorteilhaft, weil diese nicht zweckgebundenen staatlichen Verpflichtungen dadurch endgültig dauerhaft beendet werden. Es liegt am Verhandlungsgeschick, zu einer Ablösung zu kommen, die den staatlichen Geldbeutel schont. Die Kirchen dürften da offener sein, als häufig angenommen wird – zumal die Öffentlichkeit die Staatsleistungen größtenteils unlogisch und ungerecht findet, Kirchenmitglieder eingeschlossen.
C)
Letztlich verweisen insbesondere Landespolitiker/innen gerne darauf, dass zuerst der Bundestag ein Ablösegesetz zu verabschieden hat. Dies ist sachlich richtig, dient aber allzuoft als Argument für Untätigkeit. Es gibt allerdings sowohl die Möglichkeit, dass die Bundesländer eine Bundesratsinitiative startenals auch, wie in Bayern und Baden-Württemberg, zu direkten Verhandlungen mit den Kirchen. Diese könnten nicht nur zu einer Reduzierung, sondern auch zu einem völligen Verzicht der Kirchen führen.
Gekürzt von der Webseite von BASTA übernommen.
10 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Solange die Politik religionitisch so dermaßen durchseucht ist und bleibt wie bisher, wird sich an den Staatsleistungen nix ändern - was vorzüglich zu unserer Kirchenrepublik passt.
Roland Weber am Permanenter Link
"Die Rechnungshöfe danken zwar für die Hinweise, sehen teilweise auch, dass es ein Problem gibt, betrachten es aber, jedenfalls derzeit, nicht als ihre Pflicht an, die Exekutive zum Tätigwerden zu veranlassen.&qu
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
" Es sind sogar schon Stimmen laut geworden, dass die Kirchen gerade deshalb die altrechtlichen Staatsleistungen erhalten sollten, weil viel mehr Menschen aus den Kirchen austreten als eintreten und die Zahl der
Wenn ich das richtig interpretiere, dann werden die Kirchen bei exakt Null Mitgliedern 500 Mrd. Euro/Monat oder so bekommen. Gibt es da einen Berechnungsschlüssel, welche Schrumpfung der Mitgliederzahl zu welcher Steigerung der Dotationen führt?
Ich finde, wir sollten immer weiter und immer lauter auf die Pauke hauen und genau diesen Unwillen, das GG umzusetzen, bekannt machen. Allerdings steht dann zu befürchten, dass noch mehr Kirchenmitglieder aus den gierigen Glaubenskonzernen austreten. Was das für Konsequenzen hätte, steht im obigen Zitat. Erneut meine neiderfüllte Hochachtung vor den kirchlichen Gelddruckmaschinen. Aber es stimmt schon, sie wollen nur unser Bestes...
Alexander Micha... am Permanenter Link
Zitat: "(Die AfD hatten wir nicht angeschrieben.)"
91 Sitze hat diese Partei im Deutschen Bundestag. Keine andere Oppositionspartei ist dermaßen repräsentiert. Piraten und Humanisten gar nicht. Die AfD nicht anzuschreiben wird kaum an deren politischen Irrelevanz liegen.
Welches Hindernis lag dann vor?
Thomas B. Reichert am Permanenter Link
Warum soll der Staat den Kirchen (kriminelle Vereinigungen) Geld in den Rachen werfen?
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Wieso lässt man es der Politik ständig durchgehen, dass sie das klerikale Märchen von den irrsinnig hohen "Ablösesummen" als Totschlagargument für ihr Nichtstun anführen?
Im Übrigen haben sich ja speziell die mit finanziellen Mitteln so überreich ausgestatteten Neuen Bundesländer nach dem Anschluss besonders unrühmlich hervorgetan, indem sie mit den Kirchen - gemessen an der Zahl ihrer Kirchenmitglieder - ausnehmend unvorteilhafte Verträge abschlossen, die schon fast den Tatbestand der Untreue erfüllen.
Es ist nicht zu erwarten, dass sich an diesem Verhalten im jetzigen Bundestag etwas ändert, man kann nur hoffen, dass es uns gelingt, die zunehmende Zahl von säkularen Wählern auf das skandalös-speichelleckerische Verhalten ihrer Abgeordneten gegenüber den Glaubenskonzernen aufmerksam zu machen und ihr Wahlverhalten entsprechend zu beeinflussen.
Ralf Fischer am Permanenter Link
Die Problematik der Staatszahlungen an die Kirchen kann man auch so sehen:
Durch Artikel 140 GG ist diese Bestimmung Bestandteil des Grundgesetzes. Ich will in meiner Argumentation – zugunsten der Kirchen – von der Pflicht zur Ablösung erst von dem Zeitpunkt der Verkündung ausgehen.
Die Kirchen, die Länder und der Bund müssen seit dem 25.5.1949 vom Beginn der Ablösung der Staatsleistungen ausgehen, auch wenn die Modalitäten noch nicht klar sind.
Wenn man eine Schuld in Raten ablöst, dann gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Ratenzahlung ohne Tilgung bzw. Ratenzahlung mit Tilgung. Wenn man eine Zahlung ohne Tilgung wählt, dann muss man sicherstellen, dass bei Fälligkeit der Schuld, diese auch getilgt werden kann. Haben die Bundesländer diesbezügliche Rücklagen gebildet? Mir ist nichts darüber bekannt. Also kann man nur von einer Zahlung mit Tilgung ausgehen.
In der Diskussion hört man häufig, man könne die Staatsleistung jetzt nicht ablösen, weil man dann das Zwanzigfache der heutigen Beträge zahlen müsste. Daraus kann man schlussfolgern, dass die „Schuld“ mit 5% verzinst wird. Wie schon oben gezeigt, muss man bei den jährlichen Zahlungen von einem Tilgungsanteil ausgehen.
Hier beginnt eine kleine Rechnung, die jeder Schüler der Sek1 mit einer Tabellenkalkulation erstellen kann:
Wenn die 5% aufgeteilt werden in 4,7% Zinsen und 0,3% Tilgung, dann ist die Schuld nach 61 Jahren getilgt, bei 4,8% Zinsen und 0,2% Tilgung nach 68 Jahren und bei 4,85% Zinsen und 0,15% Tilgung nach 74 Jahren.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Wie gesagt: Ablösung heißt nicht, dass bei Beendigung der Verpflichtung irgendetwas gezahlt werden MUSS. Ob und was gezahlt wird und wie lange, das muss im Ablösegesetz stehen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Zum Sachverhalt müssen einige Fakten bekannt sein: Zum einen wurden 1803 Lehen der Kirche an das Reich zurückgegeben, kein Eigentum. Lt.
Daher wurden reihenweise Konkordate abgeschlossen, um sozusagen einen Dauerauftrag aus den Alimentierungen zu machen. Solange es eine Staatskirche gab, mag dies noch nachvollziehbar gewesen sein.
Doch 1919 wurde die Staatskirche abgeschafft und bisher offiziell keine neue eingeführt. Daher sollten auch alle staatlichen Leistungen an die Kirchen beendet werden. Da die Lehen von 1803 kein enteignetes Eigentum waren, konnte sich auch niemand darauf berufen. Allenfalls auf die Konkordate, die aber keine Rückzahlungsverträge angeblicher Schulden des Staates bei den Kirchen waren.
D. h. der Ablösebefehl der Staatsleistungen kann keine AblöseSUMME beinhaltet haben, da es dafür keinen Grund gab. Aber selbst wenn man annimmt, es gäbe eine Ablösesumme, dann haben sich die Regierungen der BRD der Veruntreuung von Steuergeldern schuldig gemacht, da sie spätestens am 25.05.1949 das Grundsätzegesetz hätte verabschieden müssen und eine ausgehandelte Summe X an die Kirchen hätten auskehren können, um die Ablösung zu vollziehen.
Stattdessen hat jede Regierung seit 70 Jahren (!) diese Zahlungen fortgesetzt und sogar gesteigert, was nicht zu einer Tilgung führte, sondern die Forderung der Kirchen nach dem 20- bis 40-fachen der Dotationen unvermindert im Raum stehen lässt. D.h. es entstand bisher schon und es entsteht immer weiter ein immenser Schaden für den Steuerzahler.
Dieser übersteigt jede Summe, die unter Annahme der Rechtmäßigkeit einer Ablösesumme noch im Jahr 1949 (und nicht bereits 1919) entstanden wäre. Seit Jahrzehnten wäre es kompensiert und würde nicht weiterhin wie ein Ballast vor jedem Steuerzahler hergeschoben. Ein Ballast, der jedes Jahr größer wird, denn mit steigenden Dotationen steigt auch proportional die kirchliche Gier nach einer fetten Ablöse, um sich noch mehr Snickers leisten zu können...
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Ein Paradebeispiel für hin und herschieben von Verantwortung, keiner will den ersten Schritt zur Vernunft tun und so bleibt alles und damit das ganze Unrecht beim alten.
Es wird höchste Zeit für einen Wechsel im Spektrum der Farben, wir haben lange genug nur Schwarz gesehen.