Europa ist innerhalb weniger Jahre zum Tollhaus geworden. Kriege im Nahen Osten, politische Spannungen und Elend auf dem afrikanischen Kontinent lösten Flüchtlingsströme aus, die Europa umgepflügt haben. Und die christliche Moral und Ethik weggespült.
"Trendsetter" dieser amoralischen Entwicklung ist ausgerechnet Italien, der Schoß der katholischen Kirche. Den jüngsten Coup landete dieser Tage der italienische Senat, der kurz vor den Ferien auf Druck von Innenminister Salvini ein irrwitziges Gesetz durchgewunken hat. Ein Gesetz, das die Todesrate im Mittelmeer weiter ansteigen lässt.
Das Machwerk verlangt von den Behörden, Seenotretter mit einer Strafe von bis zu einer Million Euro zu belegen, wenn sie ohne Erlaubnis einen italienischen Hafen anlaufen. Außerdem müssen die Kapitänin oder der Kapitän inflagranti verhaftet werden. Weiter kann das Schiff konfisziert und verkauft werden.
Innenminister Salvini und seinen Vasallen – zu denen auch Abgeordnete der Cinque Stelle gehören – kümmert es nicht, ob das Gesetz möglicherweise die Verfassung oder das internationale Seerecht tangiert.
Hauptsache, der Zampano hat den Applaus eines Großteils der Bevölkerung. Die unmenschliche Politaktion wird ihm helfen, bei den angestrebten Neuwahlen einen erdrutschartigen Sieg einzufahren.
Da fragt man sich, wo das kollektive christliche Gewissen geblieben ist. Einzelne Aufschreie besonnener Italiener verhallen im tosenden Applaus für Salvini. Vor allem aber: Wo bleibt der Aufschrei von Papst Franziskus? Wo bleibt seine Anmahnung der christlichen Barmerzigkeit und Nächstenliebe?
Nur zu gut erinnern wir uns an die vielen Appelle des Pontifex zu Gunsten der weltweiten Flüchtlinge. Wie oft hat er für sie gebetet. Wie oft hat er die Politiker und Gläubigen beschworen, das Elend dieser leidenden Menschen zu beenden.
Hat der Papst Angst vor dem Imageverlust?
Doch jetzt, wenn sich das Drama vor seiner Haustüre zuspitzt? Das Schweigen hat wohl einen einfachen Grund: 80 Prozent der Italiener sind katholisch. Auch die Mehrheit der Abgeordneten. Franziskus hat Angst, den Zorn eines großen Teils der italienischen Bevölkerung auf sich zu laden, der Salvini zujubelt. Angst um seinen Ruf.
Das italienische Phänomen lässt sich auch in den USA beobachten. Dort grassiert es auch bei den Musterchristen, den Frommen aus Freikirchen. Rund 80 Prozent wählten bekanntlich Donald Trump. Einen Mann also, der Frauen verachtet, Flüchtlinge verhöhnt, Hispanos mit Tieren vergleicht, lügt, Verschwörungstheorien verbreitet und rassistische Ideen absondert. Und alles deutet darauf hin, dass sie ihn wieder wählen werden.
Ähnlich verhält es sich in Brasilien, wo christliche Kreise stramm hinter Präsident Bolsonaro stehen. So avancierte die evangelikale Pastorin Damares Alves zur Chefideologin des Machos und führt nun einen Kreuzzug für radikale religiöse, rechtsnationale und erzkonservative Werte.
Sie ist als Ministerin zuständig für "Frauen, Familie und Menschenrechte" und kämpft für ein Brasilien ohne Abtreibungen, gegen den Feminismus und die angebliche Gender-Ideologie. Bei ihrem Amtsantritt gab sie den Tarif durch und verkündete: "Ab jetzt tragen die Jungen wieder Hellblau und die Mädchen Rosa!"
Am Sonntag die Kirchenbank drücken, für die Armen beten und die christliche Barmherzigkeit beschwören, um danach rechtsradikale Narzissten zu wählen, die Flüchtlinge verfolgen, ist für viele Christen heute kein Widerspruch mehr.
Wenn sie sich wenigstens Jesus als Vorbild nehmen würden.
Übernahme mit freundlicher Genehmigung von watson.ch.
13 Kommentare
Kommentare
Andreas Lichte am Permanenter Link
Papa Francesco: «Il sovranismo è un atteggiamento di isolamento. Sono preoccupato perché si sentono discorsi che assomigliano a quelli di Hitler nel 1934. ‘Prima noi. Noi… noi…’: sono pensieri che fanno paura.
Schnellübersetzung (ohne Gewähr), Papst Franziskus: „Der Souveränismus ist eine Haltung der Isolierung. Ich bin besorgt, weil man Aussagen hört, die denen von Hitler im Jahr 1934 ähneln. ‚Zuerst wir. Wir … wir …’: das sind Gedanken, die Angst machen. Der Souveränismus ist Abriegelung.“
Das ist aus einem langen Artikel, in dem der Papst die italienische Politik SEHR HART kritisiert. Hugo Stamm kann wohl kein Italienisch, aber der Humanistische Pressedienst schon. Zumindest ich.
Martin Mair am Permanenter Link
Tja, da ist wieder die Doppelmoral am Werk. Soll nun die Kirche sich auch in tagespolitische Angelegenheiten einmisch - sonst der Standpunkt von Laizisten - oder doch?
Wird nun der Zentralismus der Katholischen Kirche wie üblich kritisiert und dann doch wieder eingefordert?
Zeichnet sich Humanismus nicht durch differenzierte Argumentation und gleiche Massstäbe für ALLE aus?
Andreas Lichte am Permanenter Link
@ Martin Mair, Zitat: "Zeichnet sich Humanismus nicht durch differenzierte Argumentation und gleiche Massstäbe für ALLE aus?" Das hoffe ich doch ... und deswegen habe ich oben kommentiert.
Bruder Spaghettus am Permanenter Link
Was soll solch ein Artikel, in dem der Verfall "christlicher" Moral und Ethik bedauert wird, auf hpd?
Das Sommerloch geht doch auch anders zu füllen, oder?
Olaf Gierhake am Permanenter Link
Ich frage mich folgendes: wie kommt der Autor dieses Artikels auf die Idee, der Papst sei GEGEN das Gesetz? Wieso sollte das Gesetz denn gegen die "christliche Nächstenliebe" verstoßen?
Allein die Humanisten vertreten - natürlich sinnvollerweise - doch die Auffassung, dass Menschen in Not - gleich welchen Weltanschauungsbekenntnisses - in dieser Situation erst mal geholfen werden muss.
Hugo am Permanenter Link
Auch Bischof Bedford-Strohm wurde bereits " zurückgepfiffen" und hat sich gefügt; das zum Thema Prinzipien und Moral.
Jörn Dyck am Permanenter Link
Ich finde, dass der Artikel die Scheinheiligkeit der christlichen „Moral“ gut auf den Punkt bringt. Es wird viel von Barmherzigkeit und Nächstenliebe gefaselt, aber natürlich nur, wenn es einem selber nutzt.
Zweitausend Jahre lang haben die Christen mit größter Anstrengung über Nächstenliebe nachgedacht. Und nun sehen wir das Ergebnis. Nicht gerade beeindruckend.
Natürlich kann nicht die ganze Welt in Italien an Land gehen. Aber das verlangt ja auch niemand. Gemeinschaftliche europäische Lösungen sind gefragt.
streminger am Permanenter Link
Warum hat S. einen Rosenkranz um die Faust?
A.S. am Permanenter Link
Salvini & Co. sind das Resultat, wenn eine allzu aufgeblasene Moral auf Wirklichkeit trifft. Überhöhte Forderungen erzeugen überhöhten Widerstand. Und am Ende sind Maß und Mitte unter die Räder gekommen.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Natürlich hüllt sich der Papst in Schweigen, da seine Religion genauso Faschistoid ist wie
zunächst in Europa mit dem Ziel weltweit eine Diktatur des Glaubens zu installieren.
Wenn unsere gewählten Volksvertreter nicht energischer diesen Bestrebungen entgegen
treten, wird der Klimawandel nicht das einzige substanzielle Problem für die Menschheit sein.
Thomas R. am Permanenter Link
Herr Stamm, ES GIBT KEINE RELIGIÖSE ETHIK und deshalb auch weder religiöse Moral, noch religiöses Gewissen!
Samuel Nagler am Permanenter Link
Der Papst soll sich als Kapitän zur Verfügung stellen. Dann wird Salvini den Sch.... einziehen.
Petra Pausch am Permanenter Link
Italiens Innenminister Salvini gibt sich gerne als gläubiger Christ. Damit hat er den Zorn Franziskus’ auf sich gezogen – und am Ende auch den des scheidenden Ministerpräsidenten Conte.