In ganz Bayern weicht das Tanzverbot auf – in ganz Bayern? Nein – eine fränkische Großstadt leistet erbitterten Widerstand. Genau wie der Bayerische Rundfunk, der sich den Kirchen mitunter mehr anzubiedern scheint als deren eigene Portale.
Das absolute Tanzverbot an Stillen Tagen ist seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2016 Geschichte. Seitdem müssen Ausnahmen möglich sein. Der Bund für Geistesfreiheit München (bfg München), der das Urteil seinerzeit durch alle Instanzen erstritt, arbeitet seitdem unermüdlich daran, das Tanzverbot auch in der Praxis Stück für Stück aufzuweichen. War es am Anfang nur eine einzelne Party im Oberangertheater, waren es dieses Jahr allein in München schon stattliche 47 Veranstaltungen an den stillen Ostertagen. Auch über Münchens Grenzen hinaus ist der örtliche bfg aktiv und versucht die Tanzfreiheit in andere Teile Bayerns zu tragen, beispielsweise nach Nürnberg.
Protestantische Provinzposse
Bis in die Heimatstadt des bayerischen Ministerpräsidenten hat sich das Vorhandensein besagten Urteils jedoch offenbar noch nicht herumgesprochen, denn dort stieß der bfg München auf vehementen Widerstand. Die Körperschaft des öffentlichen Rechts reichte schließlich am Mittwoch vor Ostern eine einstweilige Verfügung gegen die Stadtverwaltung ein, in Kombination mit einer Klage im Falle der Abweisung. Die ist nun aktiv, denn es gab einen Ablehnunungsbescheid für alle 14 Lokalitäten, in denen an Karfreitag hätte getanzt werden sollen. Die formale Begründung: im Sammelantrag sei nicht detailliert genug ausgeführt gewesen, inwieweit sich die Events von gewöhnlichen Tanzveranstaltungen unterschieden hätten.
Das Nürnberger Ordnungsamt befürchtete, es könne ein völlig normales Nachtleben stattfinden. Die Vorsitzende des bfg München, Assunta Tammelleo, kommentiert das trocken mit den Worten: "das würde ja bedeuten, dass diese 14 Clubs das gesamte Nachtleben der Frankenmetropole ausmachen". Dann widersprach sich die Nürnberger Stadtverwaltung selbst, indem sie anbot, eine einzige von den 13 geplanten Veranstaltungen zu erlauben; das lehnte der bfg München ab. "Wir feilschen doch hier nicht um Bürgerrechte", so Tammelleo. Sie nennt das Ganze eine "protestantische Provinzposse".
BR verteidigt Tanzverbot
Doch nicht nur in der Stadt Nürnberg, auch beim Bayerischen Rundfunk (BR) scheinen die Bedeutung von Urteil und Ansinnen, Tanzverbote abzuschaffen, noch nicht angekommen zu sein. In verzweifelter Verteidigung des vermeintlich bedrohten christlichen Abendlandes wärmte Simon Berninger im BR-Newsletter Religion diverse alte, oft genug widerlegte Scheinargumente wieder auf – dass ja alle gerne die freien Tage mitnehmen, dass man ja auch mal nicht tanzen könnte, Toleranz. Doch lesen Sie selbst:
"Dass Ostern ein verlängertes Wochenende beschert, freut sicher alle! Dass da mal nicht getanzt werden darf, mag ungleich weniger Menschen stören. Dass aber ausgerechnet diejenigen, die's stört, mit Toleranz und schwindenden Kirchenmitgliedszahlen argumentieren, lässt aufhorchen. Zumal, wenn dies dann auch als Blaupause für eine strikte Trennung zwischen Kirche und Staat dienen soll.
Als handele der Staat hier im Interesse der Kirche, weil so zu Ostern mehr Menschen in die Kirchen kämen, wenn vorher nicht getanzt werden darf! Wer in die Kirche will, geht in die Kirche und lässt sich nicht von Tanzverboten beeindrucken – und wer mit Kirche nichts am Hut hat, kann an den wenigen Tagen im Jahr auch mal die Füße still halten."
Die Zeilen offenbaren, wie wenig der Autor von der Thematik verstanden hat, was ihn aber nicht davon abhält, sich dazu zu äußern. Denn nichts davon trifft den Kern der Sache.
"Obwohl oder gerade weil die Kirchenbindungszahlen zurückgehen: Wer zugunsten anderer – gar Minderheiten – keine Abstriche bei der eigenen Lebensführung machen will, geht den ersten Schritt in Richtung Intoleranz. Da bleibe ich Karfreitagnacht lieber zu Hause – und tanze an den übrigen Tagen im Jahr, an denen ich die religiösen oder weltanschaulichen Gefühle anderer nicht verletze."
Mit dem selben Argument könnte man für die Gesamtgesellschaft anordnen, dass während des Ramadans tagsüber nicht in der Öffentlichkeit gegessen oder getrunken werden darf. Solches müsste man selbstverständlich im Sinne der Gleichbehandlung auf sämtliche andere Weltanschauungsgemeinschaften ausweiten. Wo soll das hinführen? Es ist ein sehr einseitiger Blickwinkel auf die Toleranz, die stets in beide Richtungen bestehen muss. An dieser Stelle sei das Motto zitiert: "Ich lass dich beten, lass du mich tanzen." Damit ist eigentlich alles gesagt.
Was am Schluss des Textes nicht fehlen durfte: Der Hinweis auf österliche Gottesdienstübertragungen.
"Sie kennen ihre eigene Kultur nicht"
Doch der Autor setzte in einem weiteren Artikel für den BR noch einen oben drauf:
"Auf BR-Nachfrage sagt die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann: 'Diejenigen, die hier tanzen, sind aus dem deutschen Kulturkreis, wie er sich nach 1945 restituierte und entwickelte, herausgefallen. Sie sind schlicht Kulturbanausen. Sie kennen ihre eigene Kultur nicht.'
Der Tanzaufruf zum Trotz der Verbote klinge 'wie ein Aufruf von Corona-Leugnern', sagt Assmann. '100 Prozent Protestverhalten. Da hat sich etwas in der Gesellschaft geändert. Man wittert überall Verbote und Einschränkungen und muss über die Stränge schlagen, als ob sie sich gegen strenge Eltern wehren müssten.'"
Auch die Kulturwissenschaftlerin zeigt hier ein erschreckendes Maß an Unwissenheit gepaart mit wüsten Unterstellungen. Der bfg München besteht seit 1870, damals hieß er noch "Freireligiöse Gemeinde München". Solche Verbände wurden im Nationalsozialismus verboten. Heute setzt sich der bfg München für Bürger- und Menschenrechte ein und kämpft wie erwähnt seit vielen Jahren (bereits lange vor der Corona-Pandemie) vor Gericht – das ihm recht gab. Man muss inhaltlich nicht gleicher Meinung sein, aber man sollte respektieren, wenn andere stellvertretend für eine sich wandelnde Gesamtgesellschaft für deren Bürgerrechte eintreten. Uninformierte Pauschaldiffamierungen sind deplatziert.
26 Kommentare
Kommentare
Roland Fakler am Permanenter Link
Die Tanzveranstaltungen an Karfreitag richten sich nicht gegen die christliche Religion, sondern sie sind eine politische Demonstration, die sich gegen die Privilegierung einer Religion richtet und gegen die Bevormund
Allerdings sind Toleranz und Rücksichtnahme Gebote der Menschlichkeit und Voraussetzung für ein friedliches Zusammen- oder Nebeneinanderleben in einem aufgeklärten, nach vernünftigen Regeln aufgebauten Staat.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Lieber Roland, dein Kommentar trifft den Nagel auf den Kopf, es geht nicht darum Christen
zu bevormunden, sondern um absolute Meinungsfreiheit, welche jeder a priori haben sollte.
Da ist noch viel Aufklärung nötig.
David Z am Permanenter Link
Nun, wenn Sie so argumentieren, ist Ihrer Sache wohl am besten geholfen, wenn Sie sich für die Abschaffung dieses religös bedingten Feiertags einsetzen. Oh, Sie möchten den Feiertag aber nicht aufgeben?
Roland Fakler am Permanenter Link
Feiertage haben wir nicht der größzügigen Gnade der Kirche zu verdanken. Feiertage und Feste gab es schon immer in allen Kulturen.
David Z am Permanenter Link
Feiertage enstehen aus einem sozio-kulturellen und historischen Kontext. Und der Kontext des betreffenden Tages ist nunmal ein religiöser, ob es Ihnen gefällt oder nicht.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Bitte hören Sie auf mit Ihren Unterstellungen und denken Sie über meine Kommentare nach bevor sie voreilige Schlüsse ziehen.
David Z am Permanenter Link
Verstehe. Sie erkennen den Widerspruch also nicht. Schade.
M.S. am Permanenter Link
Ich bin für die Abschaffung des gesetzlichen Feiertages.
David Z am Permanenter Link
Ja, das ist ist zumindest konsequent argumentiert, auch wenn ich diesen Feiertag, wie viele andere, durchaus für erhaltenswert halte.
Roland Fakler am Permanenter Link
@David Z Natürlich sollte dieser Feiertag längst abgeschafft werden. Er würde sich auch gut dazu eignen, an die Millionen Opfer und Verfolgten der Christianisierung zu erinnern.
David Z am Permanenter Link
Warum ist das für Sie "natürlich"?
Roland Fakler am Permanenter Link
Weil das, wie z.B. Maria Himmelfahrt, nur ein Feier- Trauertag für Gläubige ist.
David Z am Permanenter Link
Das sehe ich anders. Ich sehe in dem Feiertag eine Komponente unserer Kultur. Und ja, auch dann, wenn die Kirche aktuell und in der Vergangenheit kritikwürdig ist.
David Z am Permanenter Link
Ich fand die Ruhe hier in Nürnberg eigentlich sehr angenehm. Die Vehemenz, mit der man diesen einen Tag, einer der wichtigsten der christl. Religion, anfeindet, kommt mir doch sehr überzogen vor.
Sind die Kritiker konsequenterweise dann auch für die Umwandlung in einen regulären Arbeitstag?
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
@ David Z: Natürlich nicht, es gäbe viele Anlässe für nichtchristliche Feiertage, welche die Menschheit weiter gebracht haben, denken Sie mal darüber nach.
David Z am Permanenter Link
Es gibt sicher viele andere Anlässe, um einen Feiertag zu installieren. Das ist aber nicht das Thema hier, sonst wäre es elementarer Bestandteil der Kritik.
Stefan Dewald am Permanenter Link
Es ist ein gesetzlicher Feiertag. Dass der historisch-zufällig an einem Tag, der nach dem Mond geht ist, ändert nichts an der weltlichen Bedeutung des Gesetzes dahinter.
David Z am Permanenter Link
Anders herum: erst gab es das religiöse Ereignis bzw die historische Bedeutung, dann den dazu gewährten Feiertag. Beides ist thematisch zweifelos verknüpft.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Eigentlich geht es nicht wirklich um Tanzverbot oder nicht, es geht darum die Macht der Kirchen über die Menschen zu bewahren und diese am Gängelnd zu halten, unter der angeblichen "Kultur", welche jeglichen
Es gibt auch eine Kultur des Fortschritts, welche uns weiterbringt anstatt in überholten Wertvorstellungen zu verharren.
Antimodes am Permanenter Link
Ich bin froh, dass der bfg standhaft bleibt.
Ich persönlich tanze nicht, aber das Verbot nervt mich trotzdem.
David Z am Permanenter Link
Warum?
FrankM am Permanenter Link
da es nicht die Aufgabe des Staates ist, religiöses Verhalten durchzusetzen
Für mich widerspricht das GG Art 140 -> Verfassung 1919 Art. 136:
(4) Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden.
David Z am Permanenter Link
Interessanter Gedanke. Danke dafür.
In wie weit das Nichtausführen von etwas der genannten aktiven kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit entspricht bzw nicht entspricht, wäre zu diskutieren.
FrankM am Permanenter Link
Es geht nicht um ein Nichtausführen von etwas, die Regelungen fordern ein Verhalten das der religiösen Bedeutung der "stillen" Tage entspricht. Daraus ergibt sich dann was alles nicht erlaubt ist.
Der Zwang zu einem Verhalten nach religiösen Regeln ist für mich sehr nahe an einer kirchlichen/religiösen Handlung
David Z am Permanenter Link
Ja, das ist die eine Sichtweise. Die andere ist, das Unterlassen von öffentlichen Feiern nicht als aktive, religiöse Aktion, Handlung, Teilname etc., anzusehen.
Stefan Dewald am Permanenter Link
Wenn es ja nur um ein Tanzverbot gehen würde. Aber die Liste der Verbote legt doch einen Trauerzwang nahe.
https://lachsdressur.de/trauerzwang/