„Es muss ein Miteinander sein“

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Robert Nieporte. Fotos: Fiona Lorenz

TRIER. (hpd) Robert Nieporte ist der Anwalt, der nun die Interessen der ehemaligen Heimkinder vertritt. Der hpd sprach mit dem Juristen über seine Strategie, über das pragmatische Vorgehen von Regierung und Kirche in anderen Ländern, das beharrliche Schweigen der deutschen Kirche, institutionalisiertes Unrecht und welche Anerkennung den Opfern gerecht werden würde.

hpd: Wie kam es dazu, dass Sie mit dem Verein ehemaliger Heimkinder (VeH) zusammenarbeiten, dass Sie das Mandat angenommen haben?

Robert Nieporte: Das hängt zunächst einmal damit zusammen, dass ich einen Mandanten habe, den Sie auch kennen, Herrn Jenö Alpar Molnár. Er hat das Buch geschrieben: „Wir waren doch nur Kinder“. Daher habe ich mich näher mit der Problematik ehemaliger Heimkinder befasst, wir sind somit auch mehrfach zusammen in Österreich gewesen. Wir haben dort Diskussionen geführt, Herr Molnár hat dort Buchlesungen gehalten. Die Podiumsdiskussionen waren gut vorbereitet, wir sind zum Teil auch politisch unterstützt worden. Darüber haben wir versucht, das Thema in die Öffentlichkeit hineinzutragen – denn in Österreich war man noch viel mehr, als ich es eigentlich erwartet hätte, dem Thema zunächst einmal abgeneigt. Das Thema zu forcieren, haben wir als unsere Aufgabe angesehen. Und gleichzeitig kamen wir mit verschiedenen Personen ins Gespräch, unter anderem mit Peter Henselder aus Berlin, der die Veranstaltung in Wien aufgezeichnet hat. Darüber hinaus kamen wir mit verschiedenen Heimkindern aus Österreich zusammen. Das war also gewissermaßen der Aufhänger. Darüber habe ich auch Frau Tschapek-Güntner vom VeH kennen gelernt.

Nachdem der vorherige Rechtsanwalt des VeH in Deutschland sein Mandat niedergelegt hatte und der Rechtsanwalt Witti aus München schon vorher sein Mandat hatte niederlegen müssen, wurde ich von Frau Tschapek-Güntner angesprochen. Wir hatten zuvor mehrfach telefoniert und dabei auch die Situationen in Österreich und Deutschland verglichen. Wir haben Erfahrungen ausgetauscht, die nicht nur ich, sondern auch Herr Molnár und andere Betroffene in Österreich gemacht haben. Über den Austausch mit Frau Tschapek-Güntner habe ich mich von Beginn an auch parallel dafür interessiert, was in Deutschland passiert. In Trier haben wir uns mit unserem kleinen „Runden Tisch“ eingerichtet. Wir haben uns regelmäßig getroffen und besprochen: Was ist die nächste Vorgehensweise? Wen kann man mit ins Boot nehmen? Wie kann man Presse mit einbinden? Das führte zu einem sehr regen Austausch an Gedanken und Informationen.
 

hpd: Wie sieht der „Runde Tisch“ in Trier aus?

Nieporte: Der runde Tisch in Trier ist ein „auf das Mandat begrenzter Tisch“, gewissermaßen eine interdisziplinäre Taskforce mit ein paar Personen, die dazu gehören, die beratend teilnehmen und die das Thema aus ihrer Sicht aufarbeiten. Dazu gehören eine wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Trier, Frau Susanne Backes, der Soziologe Dr. Waldemar Vogelgesang, der den Ausschlag dafür gab, dass das Buch von Jenö Alpár Molnár überhaupt veröffentlicht wurde, Herr Molnár selbst, sein Kollege Herr Fermer und ich. Wir sind ja aus verschiedenen Fachrichtungen und das hilft uns, die Thematik aus verschiedenen Perspektiven zu sehen: auf der einen Seite soziologisch, auf der anderen Seite juristisch. Außerdem haben wir so Tatsachenberichte bekommen – Herr Fermer arbeitet diese sehr gut auf und erhält regelmäßig neue Informationen aus Österreich. Der Trierer „Runde Tisch“ fing damit an, dass wir bei unserem ersten gemeinsamen Treffen zufällig an einem runden Tisch saßen und über kontrovers den Runden Tisch in Berlin sprachen. Die Symbolik hat uns so gut gefallen, dass wir den Begriff für unseren Tisch beibehalten haben.

Den Begriff „ehemalige Heimkinder“ benutze ich allerdings nicht so gerne, weil er eine Retrospektive benutzt, die den Menschen stigmatisiert. Die Betroffenen fühlen sich so und melden sich auch so. Ich habe viele Gespräche geführt, auch am Telefon, die damit begannen: „Ich bin ein ehemaliges Heimkind“ und diese Menschen sehen sich auch in der Rolle der stigmatisierten Personen, die eine Anlaufstelle benötigen, nämlich den Verein ehemaliger Heimkinder.

Über die Opfer hinweg

Das eigentliche Ziel, an den Runden Tisch der Bundesregierung zu kommen, der ja eigens für die Probleme dieser ehemaligen Heimkinder eingerichtet worden ist, hat für die ehemaligen Heimkinder nicht funktioniert. In der Politik wie in der Juristerei gibt es verschiedene Darstellungen sowie Winkelzüge, die unternommen worden sind, um den Einfluss der ehemaligen Heimkinder nicht zu groß werden zu lassen. Wenn man sich die Runde anschaut, stellt man fest: Es sind exakt drei Betroffene darunter, die anderen Teilnehmer haben mit dem Problem per se nichts zu tun. Sie sind eigens für diesen Runden Tisch bestellt worden, sie sollen ihr Statement abgeben, bei der Aufarbeitung mitwirken. Aber es fällt auf - nachdem die Anwälte der ehemaligen Heimkinder am Runden Tisch nicht zugelassen wurden, der Verein dann geklagt hatte, diesen Prozess aber nicht gewinnen und das Ziel nicht erreichen konnte - , dass der VeH am Runden Tisch nicht mit einer entsprechenden juristischen Power, mit juristischem Sachverstand ausgestattet wurde. Den Opfervertretern, die selbst Opfer waren, wurde später jemand zur Seite gestellt zur Klärung juristischer Fragen – das ist aber nicht das Gleiche.

Wenn man sich die Personenzahl am Runden Tisch anschaut, auch, wie viele Juristen an dem Tisch sitzen, so sind das viele. Und gleichzeitig sitzen nur drei Betroffene dabei. Das Thema wird so in wesentlichen Punkten über diese Personen hinweg aufgearbeitet, ohne dass sie eine wirkliche Möglichkeit der Beteiligung hätten. Das kann aus meiner Sicht als Jurist, wenn man ein Opfer vertritt, nicht sein. Eine Aufarbeitung ist nur in gleicher Augenhöhe möglich, die hierfür geschaffene Voraussetzung sehe ich, trotz des Einsatzes insbesondere des Herrn Dr. Wiegand, nicht. Nicht einmal die finanzielle Ausstattung der Vertreter der Betroffenen zur Vorbereitung für den Runden Tisch ist wirklich gewährleistet.

Ich kann gut verstehen, wenn man für das Thema nicht nur mit Bezugnahme auf das Opfer, sondern mit Bezugnahme auch auf die Gesellschaft, die weiterhin in Frieden leben soll und gleichzeitig Aufarbeitung demonstrieren muss, einen Runden Tisch einrichtet und damit aussagen möchte: „Wir kümmern uns um genau dieses Thema.“ Der Runde Tisch begann aber bereits sehr unglücklich, weil den Heimkindern, ich formuliere es mal lapidar, von Beginn an zu verstehen gegeben wurde: „Wir haben zwar hier den Runden Tisch, aber versprecht euch nicht zuviel davon. Eine Entschädigung in Geld wird es nicht geben.“ Es mag ein Missverständnis gewesen sein, ich war bei den Gesprächen ja nicht dabei. Was Fakt ist: Es wurde gesagt, es werde kein Fond eingerichtet. Dann muss man sich aber doch zwangsläufig die Frage stellen: „Wie sollte eine Entschädigung ansonsten vorgenommen werden, wenn nicht über einen Fond? Das hat die Mitglieder des Vereins ehemaliger Heimkinder – wie auch jene, die nicht in dem Verein Mitglied sind – brüskiert. Es mag sein, dass die Absicht des Runden Tisches eine andere war, es mag auch sein, dass die vormalige Rechtsvertretung des VeH nicht sehr glücklich angelaufen ist, dass man deren juristische Vertreter nicht am Runden Tisch haben wollte, aus welchen Gründen auch immer. Aber das Zugehen des Runden Tisches auf die ehemaligen Heimkinder, für die er doch eigens eingerichtet worden ist, hat nicht wirklich stattgefunden.

Aufeinander zugehen

Hinzu kommt, dass gerade diese Opfergruppe sehr misstrauisch ist. Auch emotional hat es der Runde Tisch bis jetzt nicht geschafft, auf die Betroffenen zuzugehen und ihnen zu sagen: „Wir verstehen euer Leiden.“ Die Blockadehaltung des Runden Tisches hat deshalb von Beginn an sehr großen Argwohn erweckt und dass man dann darum gekämpft hat, mit juristischen Mitteln an den Runden Tisch zu kommen, ist aus dieser Perspektive völlig verständlich. Auf der anderen Seite ist für mich nicht verständlich, dass so ein Runder Tisch, der gerade mit anderen als juristischen Mitteln zu arbeiten andeutet, es zulässt, dass es zu einer solchen Entscheidung überhaupt kommen muss. Denn die Entscheidung konnte doch bloß in zwei Richtungen gehen: Entweder das Gericht verwehrt den Zugang zum Runden Tisch oder es sagt: „Ja, ihr habt einen Anspruch auf eine Beteiligung.“ Das hätte dann die Stärke der Betroffenen demonstriert, die aber anderseits dadurch weniger bereit sind, irgendwo nachzugeben und die Vergangenheit wirklich aufzuarbeiten, was sehr wichtig ist. Viele ehemalige Heimkinder sind nicht bereit dazu, viele können es gar nicht. Das gegenseitige Aufeinander-Zugehen muss aber stattfinden. Es geht nicht, dass der Runde Tisch alleine auf die Opfer zugeht und es geht andersherum nicht, dass nur die Opfer auf den Runden Tisch zugehen, sondern es muss ein Miteinander sein. Die Tatsache, dass der Runde Tisch sich überhaupt auf juristische Mittel eingelassen hat, finde ich betrüblich und auch nicht sehr geschickt. Der Versuch, die Teilnahme am Runden Tisch juristisch zu erzwingen, verhinderte ein notwendiges Miteinander.