Wege zur Freiheit

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Berliner Unterwelten/ Fotos (c.) Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) In der unterirdischen Welt Berlins erfahren wir Vieles über die Fluchtwege zu Zeiten der Mauer, ob durch die Kanalisation, via U-Bahn oder mit Hilfe von mutigen Tunnelbauten. Zum Tag der Wiedervereinigung wollen wir an die Hürden und Gefahren erinnern, die aufgenommen wurden, um sich den Weg in die Freiheit zu schaufeln.

 

 

 

Hintergrund

Der „ Berliner Unterwelten e.V.“ wurde von einer Gesellschaft initiiert, die sich 1997 zusammenschloss, um unterirdische Bauten in Berlin zu erforschen und zu dokumentieren. Ein bis dahin noch unbekanntes Terrain, zudem aus sandigem Untergrund, dessen Erkundung auf reges Interesse stößt. Ehrenamtliche Arbeiter verwandelten den Bunker B unter der U-Bahn Station „Gesundbrunnen“ in ein als Denkmal geschütztes Unterwelten Museum. Hier wird nun über die Geschichte Berlins aus der Perspektive von unten berichtet. Dazu gibt es verschiedene Touren im Angebot, ob zum Thema „Ziviler Luftschutz des Zweiten Weltkriegs“, Enttrümmerungsarbeiten in der Nachkriegszeit, ziviler Atomschutz im Kalten Krieg oder über die unterirdische Verkehrsinfrastruktur, die Berliner Stadtrohrpost, die Kanalisation oder die Lagerkeller der Brauereien, die als Erste den Berliner Untergrund baulich nutzten. Es gibt Vieles zu erkunden. Und wenn einem nicht nach Tour ist, kann man sich die Geschichte im unterirdischen auch spielerisch nahe bringen lassen – vom Dokumentartheater. Ein noch tieferes Eintauchen in die Berliner Stadtgeschichte bieten die mehrtägigen Bildungsseminare.

Als Andenken an die Wiedervereinigung am 3.Oktober 2010, begleiteten wir die zweistündige „M-Tour“, die von den unterirdischen Fluchtwegen zur Zeiten der Mauer erzählt.

Erlebnis : Bunker

Die Gittertüren der Zivilschutzanlage Blochplatz werden aufgeschlossen, es geht die Treppen in den Untergrund hinunter, die Decken sind niedrig, es riecht nach Staub und Beton. Alle drei Minuten braust die U-Bahn über unsere Köpfe hinweg.

Seit 1928 existiert dieser Schacht schon, wurde im 2.Weltkrieg als Luftschutzbunker gebraucht- bis zu 8000 Menschen kamen hier unter. Beängstigend der Gedanke mit so vielen Menschen in den niedrigen, dunklen Räumen unter der Erde auszuharren. Damit diese ‚Masse’ bei Stromausfall nicht in Panik geriet, hatte man die Wände mit neonfarbigen Wegweisern versehen die in der Dunkelheit leuchten.
 
In den achtziger Jahren wurde dieser Bunker reaktiviert. Im Falle eines Atomkrieges sollte er dem Bevölkerungsschutz dienen – Aber hätte so ein Bunker die wirklichen Gefahren und Auswirkungen einer Atombombe überstanden?

Ein guter Ort, um sich in die Unterwelten der Fluchtwege zu DDR-Zeiten zu versetzen.

     

Antike Bilder und Landkarten vom geteilten Berlin hängen an den Wänden, Schilder „Französische Zone“, „Demokratische Zone“ begleiten einen durch die unterirdischen Gänge.

Ein Raum voller Atomanzüge, ein Zimmer mit Schlaf- und Sitzmöglichkeiten, sogar Sitze mit Kopfhaltern, oben an den Decken aufeinander gestapelte Wasserkanister versetzen einen kurz in die 1980er Jahre. Die Realschulklasse, mit denen wir unterwegs sind, ist auffallend still – oder einfach nur gut diszipliniert. Zurück zu den DDR- Zeiten:

Die U-Bahn

Der erste legendäre Tunnel, der seit dem Mauerbau 1961 im Untergrund gegraben wurde, war der Spionagetunnel Rudow. Die Amerikaner dachten sie wären schlau und könnten das Telefonkabel anzapfen, das vom sowjetischen Außendienst zur russischen Botschaft nach Berlin führte.. 4.000 Telefonate hörten sie geduldig ab, dann hatten sie die Nase voll von dem Kaffeeklatsch der Russen. Ebenfalls nicht auf den Kopf gefallen, hatten diese Dank einem britischen Doppelgeheimdienstagenten George Blake rechtzeitig Wind von der Sache bekommen und schadenfroh zugesehen, wie die Gegenseite ihre Dollars zum Fenster hinauswarf.

 

Es geht weiter durch die Gänge. Photos zeigen die Mauer, den Grenzstreifen mit dem frisch geharkten Sand, das Asbestbetonrohr oben auf der Mauer. 2.300 Soldaten und 900 Hunde bewachten die Mauer. 4 Millionen Euro hat das Ganze gekostet. Der ein oder andere Leser wird sich erinnern können. Für die nachkommende Generation kaum vorstellbar. Bilder können es einem veranschaulichen, Räume ein leicht bedrückendes Gefühl vermitteln, aber das Kläffen der Hunde, die bedrohliche Stille, die Mopeds der Soldaten – nur in der Fantasie greifbar – wie hat es sich wirklich angefühlt?

Nun stand die Mauer, aber die westliche U-Bahn fuhr 12 Minuten lang durch östlichen Untergrund. Was tun, um diesen letzen Fluchtweg zu verhindern?

Alles verbarrikadieren war die Antwort. Auch die Grenzsoldaten, die den Bereich überwachen, wurden in kleine Bunker mit verschlossenen Fenstern gesteckt - damit sie weder fahnenflüchtig wurden, noch mit Essen oder Zeitungen von den vorbeifahrenden Westlern verseucht wurden. Notausgänge wurden zugemauert, Matten aus Stahl mit Dornen ausgelegt. Geisterbahnhöfe entstanden. Geflohen sind hier nur wenige.

Die Kanalisation

Vorbei an alten Straßenschildern versammeln wir uns vor einem Gullydeckel – Fluchtwege durch die Kanalisation.

Zwei Schüler heben den 60 Kilo schweren Eisendeckel hoch – „Nee – schwer ist das nicht“, löwenstarke Jungs aus Bayern eben. Die erste Fluchthilfegruppe aus Westberlin nannte sich „ Unternehmen Reisebüro“. So genannte Kuriere, Westdeutsche oder ausländische Studenten, nahmen Kontakt zu Fluchtwilligen auf. Dann ging es los. Eine Hauptroute verlief vom Prenzlauer Berg nach Wedding. Zwei hoben den Deckel, die Gruppe kletterte hinein und hinter ihnen wurde das schwere Eisenstück wieder zugemacht - in den meisten Fällen verkantete sich der Deckel, ein Indiz für die Staatssicherheit. In Wedding stand der VW Bus über der Öffnung, mit einem Loch am Boden und die Gruppe landete mit Glück unbemerkt im Auffanglager Marienfeld. Aber auch auf der Westseite war man nicht sicher vor den Spitzeln der DDR. Als Antwort wurden die Kanalwege mit Gittern versperrt – die Flüchtlinge mussten durch die Kloake tauchen oder die Gitter durchsägen. Doch schon bald wurden diese mit Eisenbahnschienen ersetzt. 1962 war die Kanalisation als Fluchtweg nicht mehr denkbar. Immerhin schafften es 400 Leute auf diesem Weg in den Westen.

Der Weg durch den Tunnel

Weiter geht’s entlang Eimertoiletten und hängenden Luftschutzanzügen in den letzen Raum.

Ein Tunnelausschnitt wurde hier provisorisch nachgebaut. Letzte Fluchtmöglichkeit durch den Untergrund war schlussendlich der Tunnelbau. Kein einfaches Vorhaben bei dem sandigen Boden und dem hohen Grundwasserspiegel Berlins. Aber es gab eine günstige Stelle, in der Bernauer Straße. Hier gab es Lehmboden und der Wasserspiegel war niedrig. Dafür war der Grenzstreifen hier ganze 70 Meter breit. Ein mindestens 100 Meter langer Tunnel musste gegraben werden. Zwischen 1962 und 1971 wurden ganze fünfzehn Tunnel gegraben. Nur drei davon waren erfolgreich.

Einer davon wurde von Familie Becker gegraben – von Ost nach West, im Keller wurde angefangen. Die Mutter stand am Fenster oben. Lauerte Gefahr, schaltete sie schnell das Licht aus, im Tunnel war es dann dunkel. Was für ein Moment, als sie sah, wie ein Grenzmast in den Boden einsackte! Aber schnell bewegte dieser sich an den alten Platz. Der Vater und die Söhne hatten den Mast wieder hoch „gehoben“. Die Platzwunde ihres Sohnes wurde versorgt. Nichts wurde bemerkt. Nächste Hürde war auf der anderen Seite an der richtigen Stelle hochzukommen. Sie hatten Glück. 29 Menschen kamen durch ihren Tunnel in den Westen. Neben den Beckers baute Max Thomas einen Rentnertunnel – extra hoch, damit man „erhobenen Hauptes in die Freiheit schreiten kann“, die romantische Variante.

In unserem Bunker wird es stickig, die Schüler fächern sich Luft zu. Wir gehen durch einen großen dunklen Raum mit niedrigen Decken, entlang einer Passage, die der Verkehrsgesellschaft gehört. Schon stehen wir inmitten der U-Bahn Station „Gesundbrunnen“. Ein Mann fragt eine fünfzehnjährige Schülerin nach Feuer und zündet seine Tüte an. Willkommen in die Realität der Gegenwart.

Bernauer Straße

Wir fahren in die Bernauer Straße. Leider sind die Tunnel nicht zugänglich, sei es, dass sie damals zugeschüttet wurden, zusammengebrochen sind oder den Sicherheitsbestimmungen nicht entsprechen. Dafür wurde jetzt von Hasso Herschel, einem der bekanntesten Fluchthelfer erzählt. 5.000 DM zahlte die BBC für ein Photo. So manch einer kaufte sich in Italien ein Hotel von seinen Tunnelgeschäften. Nur Herschel half eifrig weiter, 1.000 Leuten hat er zur Flucht verholfen. Auch der erste Astronaut Wolfgang Fuchs war beteiligt, am Bau des Tunnel 57 – 57 als Zahl der Flüchtlinge, die so in die Freiheit gelangten. Doch es gab auch traurige Geschichten, von Spitzeln, die davon Wind bekamen – so mancher Tunnelhelfer verlor bei einer Schießerei sein Leben.
 

Hier draußen, an der Straßenecke, neben den vorbeifahrenden Autos, ohne Schacht und ohne Tunnel, ist es schwer, die Geschichte zu greifen. Sie entfernt sich weiter und weiter. Dazu kommen ein knurrender Magen und eine trockene Kehle, die einen ins Hier und Jetzt zurück holen.

Ob eingemachter Linseneintopf, Soljanka, Kartoffeln und Currywurst, Sushi oder Hamburger – schön, dass man das heute frei entscheiden darf! Noch besser problemlos mit der U-Bahn quer durch Berlin jetzt nach Hause zu fahren!

Theresa Siess