Keinen „Kniefall vor dem Glauben“

(hpd) Vor wenigen Tagen erschien im Alibri Verlag eine Arbeit, die sich mit den biologischen und kulturellen Grundlagen von Religionen auseinandersetzt. Ziel dieses Buches ist eine naturwissenschaftlich-biologische Definition des Begriffes Religion. hpd sprach mit dem Autor, Andreas Kilian, über seine „Logik der Nicht-Logik“, in der er das Phänomen Religion konsequent den Naturwissenschaften unterordnet.

Was treibt einen Biologen und Naturwissenschaftler dazu, sich mit Religionen zu beschäftigen?

Ich beobachte schon seit Jahren in öffentlichen Diskursen mit den Kirchen aber auch bei Vorträgen im wissenschaftlichen Umfeld, dass viele Naturwissenschaftler auf religiös motivierte Publikumsfragen sehr diplomatisch antworten. Rhetorische Fragen nach der Seele oder Gott werden mit einem „Ja, es könnte so sein...“ beantwortet. Da ärgert man sich schon, denn jeder Naturwissenschaftler, der sich dem Prinzip von Ursache und Wirkung bewusst ist, kann nicht nur sagen, wo die Grenzen der Wissenschaft und ihrer Aussagekraft liegen, er kann auch sagen, was wissenschaftlich und logisch gesehen unmöglich ist. Viele meiner Kollegen üben hier einen Kniefall vor dem Glauben und den Religionen aus, der wissenschaftlich gesehen weder notwendig noch wünschenswert ist. Hier gilt es, saubere Grenzen zu ziehen und nicht zu versuchen, dem Aberglauben eine pseudowissenschaftliche Hintertür offen zu halten.


In ihrem Buch „Die Logik der Nicht-Logik“ präsentieren Sie eine biologische Definition des Phänomens Religion. Was war Ihre Intention, ausgerechnet eine Definition zu erarbeiten?

Nicht nur von Seiten der Religionsvertreter, sondern auch von Wissenschaftlern werden häufig alle möglichen Begriffe durcheinander geworfen. Da werden Wörter wie Wissen, das Glauben, der Glaube, Spiritualität, Religiosität und Religion nahezu synonym verwendet. Dies ist entweder eine Fahrlässigkeit oder ein absichtliches Verwirrspiel, damit die Interpretationshoheit bei den jeweiligen Experten bleibt. Definitionen sind zwingend notwendig, um unter gleichberechtigten Gesprächspartnern wissenschaftlich exakt arbeiten zu können. Ohne Definitionen gibt es keine ernst zu nehmenden interdisziplinären Diskussionen. Wer wissenschaftlich diskutieren will, der muss auch exakt sagen können, worüber er redet.


Sie reden von einem Verwirrspiel?

Für mein Dafürhalten werden manche wissenschaftlichen Ergebnisse religiös überinterpretiert. Mit dem Begriff religiös wird zugleich suggeriert, dass auch die Religionen natürliche Ursachen hätten und zwingend notwendig sind. Dies ist aber nicht so, und es wäre wissenschaftlicher, absichtliche oder unabsichtliche religiös motivierte Interpretationen ganz außen vor zu lassen.


Haben Sie ein Beispiel für dieses Hinein-Interpretieren?

Nehmen wir unsere eigene Erfahrung. Jeder hat als Kind Angst vor etwas gehabt, was unter dem Bett auf uns lauerte. Wenn wir uns heute daran erinnern, so stellen wir fest, dass wir eigentlich gar nicht wussten, wovor wir Angst hatten. Es war ein unbestimmtes Gefühl. Wir suchten nach Ursachen für unsere Angst und empfanden „Mächte“, die wir als Auslöser akzeptieren konnten. Erst später, als uns gesagt wurde, dass es sich um Gespenster oder Monster handeln würde, haben wir uns Gespenster und Monster aus dem zusammenphantasiert, was wir an Bildern oder im Fernsehen gesehen haben. Man hat uns die Begriffe dafür nahe gelegt. Das Gleiche haben wir auch mit unseren Vorstellungen im religiösen Kontext gemacht. Wissenschaftlich exakt wäre es zu sagen, dass Kinder sich irgendwelche Vorstellungen machen, weil evolutiv entstandene Lernprogramme in diesem Alter aktiv werden. Die religiösen Interpretationen des „Gesehenen“ legen wir ihnen in den Mund. Wissenschaftliche Definitionen und ein konsequenter Sprachgebrauch können hier weiterhelfen, die Welt etwas naturalistischer zu sehen und anschließend auch so zu interpretieren.

Sie rufen ihre wissenschaftlichen Kollegen zu einem neuen Sprachgebrauch auf?

Nicht nur Wissenschaftler. Wir alle verwenden recht häufig unreflektiert diesen religiösen Sprachgebrauch. Wir übernehmen damit aber nicht nur einzelne Begriffe, sondern auch die Gedankenwelten und Argumentationsebenen, die sich hinter diesen Begriffen verbergen. Wir akzeptieren damit auch die religiöse Denkweise und Interpretationen unserer Welt und lassen dies durch das Hintertürchen in unser Denken. Und was noch viel schlimmer ist, wir erziehen unsere Kinder in diesen Gedankengebäuden, und wundern uns anschließend, warum in jeder Generation wieder Götter durch die Welt spuken.

Und um diesem Dilemma vorzubeugen, empfehlen sie eine intensive Auseinandersetzung mit den Bedeutungen unserer Begriffe?

Ich möchte, dass möglichst viele Menschen anfangen, die Wörter, die sie tagtäglich verwenden, zu hinterfragen und zu definieren. Wer sich selbst die Mühe macht, versteht auch die Zusammenhänge und Grenzen. Er ordnet seine Begriffe in sein eigenes Konzept der Welt ein und fängt an, seine und andere Perspektiven kritisch zu hinterfragen. Wer versucht, den Begriff Religion zu definieren, der rüttelt von alleine an einem Weltbild, welches von den meisten Menschen kritiklos übernommen wird.

Wem würden Sie eine Beschäftigung mit ihrer Definition empfehlen?

Wer interdisziplinär arbeitet, weiß, dass die gleichen Begriffe in anderen Fachdisziplinen oft extrem unterschiedlich verwendet werden. Definieren hat also Zukunft. Ich würde mich daher freuen, wenn Schülerinnen und Schüler Definieren im Unterricht als Methode erlernen würden. Insbesondere eine Definition des Begriffes Religion würde ich im Biologieunterricht und in der Verhaltensforschung begrüßen.

Wo die Religionen im Unterricht zeigen, dass sie sich nicht auf einen gemeinsamen Unterricht, eine gemeinsame Ethik, gemeinsame Wertvorstellungen und eine gemeinsame Kultur einigen können, wo der Religionsunterricht unsere Gesellschaft trennt und aufspaltet, wo die Vertreter der Religionen die unüberwindliche Trennung demonstrativ vorleben, da sollten die Schülerinnen und Schüler das Gemeinsame aller Religionen im Biologieunterricht definieren lernen.


Warum stellen Sie ausgerechnet eine biologische Definition vor?

Weder die Theologie noch die Religionswissenschaften haben es bis heute fertig gebracht, sich auf eine allgemein anerkannte und wissenschaftlich akzeptierte Definition des Begriffes Religion zu einigen. Woran arbeiten sie eigentlich die ganze Zeit, wenn sie nicht sagen können, was das ist, woran sie arbeiten? Ich bin kein Theologe und kein Religionswissenschaftler. Wenn ich den Begriff definiere, dann aus meinem Fachgebiet heraus, also biologisch.

Was ist das Besondere an einer biologischen Definition dieses Phänomens?

Eine Definition sollte von möglichst vielen Menschen verstanden werden können, nachvollziehbar sowie überprüfbar sein. Daher schlage ich eine explizite Realdefinition vor. Religion spiegelt sich im menschlichen Verhalten wider und ist daher auch durch die Humanethologie zu beschreiben. Zudem bietet sich die Biologie an, weil sie einen größeren Rahmen um alle anderen wissenschaftlichen Disziplinen, wie Neuroethologie, Medizin, Psychologie etc., spannt, in den diese Ergebnisse integriert werden können. Außerdem ist es – soweit ich weiß – die erste biologische Definition des Begriffes Religion. Damit werden Religionen nach dem Wunsch von Edward O. Wilson in die Naturwissenschaft eingeordnet.

Und die Evolution der Religion bieten Sie gleich mit an?

Ich maße mir nicht an, die Evolution der Religionen bis ins Detail gelöst zu haben. Ich mache Diskussionsvorschläge. Aber wenn sie sich bemühen, die Begriffe zu definieren und zwischen den evolutiv entstandenen biologischen Voraussetzungen, den kulturellen Einflüssen und den spezifisch religiösen Parametern zu unterscheiden, dann bringen sie automatisch eine logische Reihenfolge ins Spiel, wie sich bestimmte Sachverhalte in der Evolution abgespielt haben könnten. Meine Interpretation ist hoffentlich biologisch plausibel. Ich lade alle Wissenschaftler herzlichst dazu ein, meine Erklärungen und Definitionen zu diskutieren und gegebenenfalls zu verbessern.