Selbstbestimmung nur durch private Schulen?

hpd-schule-verwendet.jpg

Schulklasse / Fotos © Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Um es gleich vorab klarzustellen: Nichts gegen alternative Pädagogik und ihre emanzipatorische Erziehungsmethoden. Im Gegenteil, insbesondere das Prinzip der Selbstbestimmung ist in jeder Hinsicht zu fordern. Nur die implizit im Artikel von Theresa Siess dargestellte Gegensätzlichkeit von Selbstbestimmung und öffentlichen Schulen sowie die daraus angedeuteten pauschalen Vorzüge der sogenannten freien Bildungsträger müssen hinterfragt werden. Man soll das Kind nicht mit dem Badewasser ausgießen.

Ein Beitrag von Rudy Mondelaers

Selbstbestimmung und Demokratie

Zunächst zum Begriff. Die Selbstbestimmung als erstrebenswertes Erziehungsprinzip beinhaltet eine Reihe von didaktischen Methoden, die Kinder zu vollwertigen demokratischen BürgerInnen erziehen sollen. Die Demokratie wird und kann nur durch seine vernunftbestimmten freien Citoyens und Citoyennes selbst gestaltet werden. Diese ihre Freiheit aber haben sie als gesellschaftliche Subjekte auszuüben. Und hier entstehen die ersten Begriffskontroversen.

Ganz deutlich meine Meinung: Selbstbestimmte Autonomie basiert nicht auf einer von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen losgelösten Freiheit. Diese begriffliche Zuspitzung tangiert erneut die alte Verständniskontroverse zwischen Freiheit als nur individuelles privates Recht und als auch kollektives, sozial bedingtes Recht. Sie beinhaltet leider ideologische Prämissen, die bis jetzt auch in humanistischen Kreisen nicht eindeutig bestimmt sind. Für mich gilt aber die letztere, die erweiterte Begriffsbestimmung von Freiheit und daher auch von Selbstbestimmung.

Trotzdem, klar ist: Selbstbestimmung ist eine existenzielle Bedingung für die Demokratie und daher ein durch die Demokratie zu verwirklichendes Recht für alle. Das haben die Bildungsstrukturen zu garantieren.

Eine andere kontroverse Prämisse in diesem Kontext ist, ob Bildung ein öffentliches Gut ist? Dazu die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“, verkündet von den Vereinten Nationen im Jahr 1948: „Jeder hat das Recht auf Bildung." Die Bildung ist unentgeltlich, zum Mindesten der Grundschulunterricht und die grundlegende Bildung (Artikel 26). Bildung darf in diesen Bereichen also keine Ware werden.

Die Frage, die sich nun stellt, ist, ob diese zwei grundsätzlichen menschenrechtlichen Prämissen unter den heutigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen durch private Schulen verwirklicht werden können?

Prinzipiell leitet sich aus diesen gesetzten Bedingungen ab, dass erzieherische und didaktische Prinzipien bzw. Trägerstrukturen in einer demokratischen Gesellschaft keine Privatsache sein können, weil sie eigentumsbedingt eng mit den jeweils vermittelnden privaten Werten und Interessen verknüpft sind. Sie bilden die Wurzel der Verhaltensweisen ihrer Bürger, die in einer Demokratie eine gesellschaftliche Orientierung zu besitzen haben. Daher auch die allgemein anerkannte Notwendigkeit staatlicher Kontrolle der Lehrpläne und der personellen Ausstattung. Daher auch seit der Französischen Revolution, das von religiösen Erziehungszielen zu befreiende öffentliche, staatliche Bildungswesen. Daher auch die Notwendigkeit des grundsätzlichen Widerstands gegen die auf religiöse Werte und Erziehungsprinzipien basierenden und daher der Selbststimmung prinzipiell entgegengesetzten Bildung und Bildungsträger. Das öffentliche Bildungswesen hat historisch unterlegt, sui generis die besten Potenziale um die Selbstbestimmung zu verwirklichen.

Bildungsfreiheit und Religionsfreiheit

Die konkrete Ausgestaltung der Bildungssysteme unterliegt allerdings genau wie die Entwicklung der Prinzipien der Demokratie und die der Erziehung bzw. Didaktik einem durch das jeweilige ideologische Kräfteverhältnis bestimmten historischen Prozess. In ihm wurde seit der Französischen Revolution die ursprüngliche aufklärerische Freiheitsidee in allen entstandenen Demokratien um die Elemente der Religionsfreiheit und der Bildungsfreiheit erweitert. Beide legen einen Kompromiss mit den Kirchen zugrunde.

Das in Artikel 7, Absatz 4 des deutschen Grundgesetzes ausdrücklich gewährleistete Recht zur Errichtung von privaten Schulen gehört so zwar de facto zu den Grund- und Menschenrechten und wird in Deutschland nochmals zusätzlich legitimiert durch die Lehre aus der Nazifizierung der Schulen im 3. Reich, ist aber nur die Wiederaufnahme des historischen Kompromisses mit den Kirchen.

Das Recht auf freie Trägerschaft in der Bildung soll im Wesen die überkommene religiöse Erziehung gegen die prinzipiell auf Aufklärung ausgerichtete Erziehung im staatlichen Bildungswesen schützen bzw. ihr Denkmonopol wieder herstellen. Durch die Hintertür also, im Kopf der Menschen, die Trennung von Staat und Religion wieder aufheben. Oder anders noch: Die mögliche Selbstbestimmung der Kinder durch offenbarte Dogmen ersetzen. Wie im Mittelalter Mönche auszogen, um durch Gründung neuer Klöster den Heiligen Geist wiederzubeleben, so verlassen jetzt Eltern oder Lehrer die Staatsschulen für neue Klöster (in Berlin gibt es sogar eine private evangelische Schule mit dem Namen „Graues Kloster).

Die so gewollte Verwässerung der ursprünglichen Inhalte des demokratischen Bildungswesens auf Basis einer verengenden Auslegung des Begriffes Freiheit und zugunsten der freien (religiösen) Trägerschaft, konstituiert allerdings einen Widerspruch. Der zwischen dem Verfassungsgebot der freien Zugänglichkeit der Bildung für alle Kinder und der Gewährleistung der freien (selektiven) Wahl von Trägern, Erziehungsmethoden und Personal. Genau wie die Kirchen auf der Basis des Prinzips der Religionsfreiheit, wollen die sogenannten freien Bildungsträger einerseits frei von staatlichen Einflüssen sein, andererseits verlangen sie vom Staat jedoch finanzielle und rechtliche Unterstützung. Beide Forderungen sind verfassungsmäßig kaum zu rechtfertigen und schließen sich gegenseitig aus. Dieser Widerspruch ist die Achillesferse des privaten Schulsystems.

Schulen gehören zur zentralen öffentlichen Infrastruktur einer Gesellschaft. Was und wie flächendeckend gelernt, erzogen wird, ist nicht nur eine individuelle, private Entscheidung, sondern ist demokratisch zu legitimieren und auch zu kontrollieren. Nur so kann das Prinzip der Selbstbestimmung seine demokratische Wirkung erzielen.

Andererseits bestimmt das Bundesverfassungsgericht: „Die Privatschule muss allgemein zugänglich sein, zwar nicht in dem Sinne, dass sie wie die öffentliche Schule jeden Schüler bei Erfüllung allgemeiner Voraussetzungen aufnehmen muss, wohl aber in dem Sinne, dass sie grundsätzlich ohne Rücksicht auf deren Wirtschaftslage besucht werden kann.“

Warum dies aber, wie bei den Kirchen, durch staatliche Finanzierung zu garantieren ist, ist zumindestens fragwürdig. Wenn es die Trennung von staatlichen und privaten Schulen gibt, dann können die Eltern nichtprivater Schüler nicht zur Finanzierung der Ausbildung der privaten Schüler verpflichtet werden. Um so mehr, da das Schulgeld für private Bildung noch bei der Steuererklärung geltend gemacht werden kann und wie später gezeigt wird, diese Eltern eher zu den Besserverdienenden gehören.