Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien

(hpd) Der Politikwissenschaftler Tim Spier fragt danach, inwieweit rechtspopulistisches Wahlverhalten durch immaterielle und materielle Deprivation erklärbar sei. Nach einer hochkomplexen sozialwissenschaftlichen Untersuchung bejaht er die damit verbundene Frage einschränkend, hätte aber den eigenständigen Anteil von rechtsextremistischen Einstellungen noch stärker berücksichtigen können.

Seit Jahren können Parteien wie die Dansk Folkeparti in Dänemark, die Freiheitliche Partei Österreichs, die Fremskrittspartiet in Norwegen, die Front National in Frankreich oder der Vlaams Belang in Belgien in ihren Heimatländern Wahlerfolge verbuchen. Für sie hat sich mittlerweile die Sammelbezeichnung „rechtspopulistisch“ eingebürgert, wobei das genaue Verständnis des Begriffs etwas diffus bleibt. Ähnlich verhält es sich auch mit der Erklärung der Zustimmung zugunsten solcher Parteien. Auch hier dominiert eine etwas allgemeine Deutung, die diese Voten als Reaktionen von „Modernisierungsverlierern“ interpretiert. Doch ist dies auch empirisch belegbar? Der Frage geht der Politikwissenschaftler Tim Spier in seiner Studie „Modernisierungsverlierer? Die Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien in Westeuropa“ nach. Ihr Ziel ist in den Worten des Autors „die Analyse rechtspopulistischer Elektorate und die auf diese gerichtete Überprüfung der Modernisierungsverlierer-Theorie anhand aktueller Bevölkerungsbefragungen“ (S. 27).

Inhaltlich gliedert sich die aus der Dissertation hervorgegangene Arbeit in fünf große Teile: In der Einleitung nimmt Spier eine Definition seiner Arbeitsbegriffe Populismus/Rechtspopulismus vor, skizziert kurz die Entwicklung der gemeinten Parteien und präsentiert Fragestellung und Untersuchungsdesign. Danach rekonstruiert er das „Modernisierungsverlierer“-Verständnis aus der bisherigen Literatur und deutet es als einen Integrationsversuch mit messbaren Indikatoren. Dem folgend präsentiert der Autor ausführlich seine Datenbasis aus Bevölkerungsumfragen im Kontext des European Social Survey und schlüsselt unabhängige, intervenierende und Kontrollvariablen auf. Erst danach fragt er in der Einzelbetrachtung wie im Zusammenwirken nach dem Einfluss der Modernisierungsverlierer-Indikatoren auf das Wahlverhalten. Und schließlich widmet Spier sich noch der Modernisierungsverlierer-Effekte durch rechtsaffine Einstellungen wie politische Unzufriedenheit, Xenophobie, Autoritarismus und Missanthropie.

Zwei Dimensionen der Deprivation

Als Fazit formuliert er: „Zunächst konnte empirisch bestätigt werden, dass verschiedene Modernisierungsverlierer-Indikatoren in der Tat die Wahl rechtspopulistischer Parteien positiv beeinflussen. Man kann zumindest zwei Dimensionen der Deprivation unterscheiden, die eine derartige Wirkung aufweisen. Einerseits eine materielle Dimension, die sich vor allem über den sozioökonomischen Status einer Person ergibt, andererseits eine immaterielle Dimension, die insbesondere in einem Ausschluss von sozialer Teilhabe im Sinne sozialer Exklusion besteht“. Zum Einfluss „rechtsaffiner Einstellungen“ heißt es: „Deprivationsfaktoren auf der Ebene der sozialen Lage setzen sich also in politische Unzufriedenheit, Xenophobie und Misanthropie um und bewirken darüber eine erhöhte Tendenz zur Wahl rechtspopulistischer Parteien.“ Und weiter: „Deprivation in der sozialen Lage von Modernisierungsverlierern führt zur Ausbildung rechtsaffiner Einstellungen, die wiederum die Wahrscheinlichkeit erhöhen rechtspopulistische Parteien zu wählen“ (S. 270f.).

Spiers Arbeit beeindruckt allein schon durch den souveränen Umgang mit sozialwissenschaftlicher Methodik und die immer wieder auszumachende selbstkritische Reflexion seines Vorgehens. Der Autor neigt auch nicht zur Überbewertung seiner eigenen Forschungsergebnisse: So bemerkt er zwar einerseits, die „Modernsierungsverlierer-Theorie“ lasse sich „empirisch bestätigen“, formuliert aber auch andererseits, sie könne nicht das „Phänomen vollständig ... erklären“ (S. 271). Entsprechend benennt Spier auch eine Reihe von Forschungsdesideraten. Die Wahl rechtspopulistischer Parteien durch Angehörige der „hochqualifizierten intermediären Industrieberufe“ gebe etwa Anlass zur Vermutung, „dass es über die Deprivation hinausgehende Gründe gibt“ (S. 272). Sie könnten auch in rechtsextremistischen – Spier spricht von „rechtsaffinen“ - Einstellungen unabhängig von sozialen Bedingungsfaktoren liegen. Möglicherweise sind sie nicht das folgenreiche Ergebnis von Deprivation, sondern die originäre Basis für deren Deutung.

Armin Pfahl-Traughber

Tim Spier, Modernisierungsverlierer? Die Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien in Westeuropa, Wiesbaden 2010 (VS – Verlag für Sozialwissenschaften), 302 S., 39,95 €