"Das Beste wäre, es bräuchte uns nicht ..."

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Urkunde / Fotos (c) DGHS / Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Auf ihr 30-jähriges Bestehen blickt die Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS) zurück und das ist für den einen eine kurze und für den anderen eine lange Zeit. Für einen 30-jährig jungen Gast des Abends sein ganzes bisheriges Leben, im Gegensatz zu einem anderen Teilnehmer: Im 82. Lebensjahr nahm Dr. Pieter Admiraal am Ende der Veranstaltung die Ehrenmitgliedschaft der DGHS entgegen.

Die Festveranstaltung fand am vergangenen Samstag im Palace Hotel Berlin statt. Sie war öffentlich, lediglich um Teilnahmenstätigung wurde vorher gebeten. So haben sich an diesem Abend Menschen zusammengefunden, die sich in der Hilfe zu einem selbstbestimmten und menschenwürdigen Sterben einig sind. Darunter einige der rund dreißigtausend DGHS-Mitglieder wie auch die Delegierten aus allen deutschen Bundesländern. Engagierte, Betroffene, Freunde trafen mit dem Präsidium der DGHS feierlich zusammen.

Grußbotschaften

Eine Anzahl von Grußbotschaften nahmen einen großen Teil des Abends ein. Vorgetragen, manchmal launig und schwerelos scheinbar wie im Handumdrehen hier am Rednerpult entstanden oder auch "nur" verlesen, reflektierten sie ähnlich Szenen eines Dokumentarfilm die - und ich sage jetzt einmal kurze Zeitspanne der letzten 30 Jahre - Entwicklungen, Einflussnahmen und Entscheidungen - juristisch wie politisch in ihren Auswirkungen auf die Gesellschaft.

Beispielbild
Dr. Margrit Weibel
So zeigten sich im Laufe dieses Abends europäisch-unterschiedliche Mentalitäten. Italien beispielsweise - wird dort keine Stimme laut, die nach einer humanistischen Sterbebegleitung ruft? Gilt eher das Gebot des Verschweigens - oder hängen speziell in katholischen Ländern "(...) die allermeisten Menschen fast leidenschaftlich an ihrem diesseitigen Leben - auch dann noch, wenn dieses seine Qualität so gut wie ganz verloren hat?" Diese Frage stellt EX International in "einem offenen Brief an eine nachdenkliche Minderheit". „Das Beste wäre, es bräuchte uns nicht zu geben...“ sagte Dr. Margrit Weibel, in ihrer Rede zum Festakt.

Anders in Belgien mit ADMD-L. Dort gab es im Jahr 2009 ein 20-jähriges Jubiläum zu registrieren und gleichzeitig die erfolgreiche Legalisierung der Euthanasie in Luxemburg zu zelebrieren und sich auf den inzwischen verstorbenen Gründungsvaters Dr. Henri Clees zu besinnen, der sich mit seinem Wort "wir sprechen offen" sich für ein selbstbestimmtes Sterben in Würde einsetzte und die Verwirklichung seines Zieles nicht miterleben konnte.

Nein, nein, die 17 Grußworte passieren nun nicht Revue. Zauberhaftes, Gedanken, Realisiertes und Zukunftweisendes steuerten die Verfasser bei und dieses, so versprach es die DGHS wird im kommenden Jahr nachzulesen sein. Wie selbstverständlich begegnet man darin dem weltweit geläufigen Begriff "Euthanasie - sanfter Tod", der uns Deutsche häufig noch zusammenzucken lässt.

Es sprachen: Aycke Smool, RtD-Europe / Jacqueline Herremans, ADMD Belgien / Dr. Jean-Emanuel Strasser, ADMD Suisse romande / Christophe Schlitz, ADMD-L / Rowena Ironside, Dignity in Dying UK / Dr. Margrit Weibel, EX International / Saskia Frei, EXIT dt. Schweiz / Ole Peder Kjeldstdli, Foreningen Retten Til en Verdig Dod / Monika Hendlmeier, bfg Bayern / Dr. Volker Mueller, DFW / Philipp Möller, Giordano Bruno Stiftung / Prof. Frieder Otto Wolf, amtierender Präsident HVD-Bundesverband / Flemming Schollaard, En Vaerdig Dog, Dänemark.
 

In Hinblick auf die besondere deutsche Thematik Auszüge aus zwei schriftlichen Grußworten.

30 Jahre Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben e. V. (DGHS)

„Seit ihrer Gründung 1980 ist die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben eine gewichtige Stimme in einer kontrovers geführten öffentlichen Debatte, die auch parlamentarisch quer zu gängigen Frontlinien verläuft. Denn die DGHS berührt mit ihrem Einsatz für ein lebenslanges Selbstbestimmungsrecht Themen, die ethisch hoch sensibel und rechtlichen Regelungen nur schwer zugänglich sind. Mit Blick auf ein humanes, würdevolles Sterben gibt es letztlich keine rundum überzeugende gesetzliche Lösung, und sie kann es wohl auch nicht geben. Denn der Sterbeprozess ist höchst individuell, und überdies sind die Erwartungen an den medizinischen Fortschritt mindestens so ausgeprägt wie die Befürchtungen. Mit der modernen Medizin verbinden sich lebensbejahende Hoffnungen auf Gesundheit bis ins hohe Alter und nagende Ängste vor einer am Lebensende nicht mehr loslassenden Gerätetechnik. Die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung im vergangenen Jahr war in diesem Zusammenhang eine schwierige Gewissensentscheidung, die jeder einzelne Abgeordnete für sich selbst treffen musste, denn auf ethische Grundsatzfragen gibt es – unabhängig aller Expertenvoten – keine letzten Antworten.
Auch wenn ich selbst, als katholischer Christ, aus tiefer Überzeugung aktive Sterbehilfe ablehne, respektiere ich doch jeden ernsthaften und verantwortlichen Beitrag, den Tod nicht zu verdrängen, sondern anzunehmen, die Endlichkeit alles Lebenden aus der gesellschaftlichen Tabuzone zu holen, und es als gemeinsame Verantwortung zu begreifen, das Leben in den Tod zu begleiten, damit das Sterben ins Leben zurückgeholt wird.“

Prof. Dr. Norbert Lammert
(Präsident des Deutschen Bundestages)

Seit 30 Jahren leidenschaftliche Streiter für ein humanes Sterben

„Leider kann ich heute nicht bei Ihnen sein, um mit Ihnen das 30jährige Bestehen der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben e. V. zu feiern. Ich möchte Ihnen aber meine herzlichsten Glückwünsche aussprechen und Ihre Arbeit ausdrücklich unterstützen.
Die DGHS leistet seit Ihrer Gründung einen wichtigen Beitrag für die gesellschaftliche Debatte über das Recht der individuellen Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger - auch am Ende ihres Lebens. Als Liberale bin ich selbstverständlich der Auffassung, dass jeder Bürger und jede Bürgerin ein unveräußerliches Recht auf ein selbstbestimmtes und würdiges Leben besitzt. Zu diesem Recht auf Selbstbestimmung gehört auch das Recht auf ein würdiges Ende dieses Lebens.
Dank der DGHS kommen viele Menschen in den Genuss einer humanen Sterbebegleitung und Pflege, werden zu anerkannten Schmerztherapeuten vermittelt oder erhalten Hilfe dabei, alle nötigen rechtlichen Dokumente wie Patientenschutzbriefe etc. zu hinterlegen. Die mehr als 30.000 Mitglieder der DGHS haben sich sowohl zur Beteiligung an der gesellschaftlichen Willensbildung zusammen geschlossen als auch zur gegenseitigen Unterstützung in Zeiten schwerer Krankheit und großen Schmerzes.
Die Diskussion um aktive oder passive Sterbehilfe, die von der DGHS immer vorangetrieben wurde, ist zu Recht eine sehr schwierige Diskussion, die mit großer Vorsicht und gegenseitigem Respekt vor dem Glauben und den Befindlichkeiten jedes Menschen geführt werden muss. An einer solchen Debatte hat die DGHS immer respektvoll und maßvoll teilgenommen.
Ich bin froh, dass wir in Deutschland, auch dank des Engagements der DGHS, ein Gesetz zur Patientenverfügung haben, das es jedem Bürger ermöglicht, selbst zu entscheiden, welche medizinischen Maßnahmen ergriffen werden sollen, um sein Leben zu verlängern.
Wir brauchen auch eine Diskussion über Verbesserungen bei der Organtransplantation. Jährlich sterben in Deutschland viele Menschen, die durch eine Organspende hätten gerettet werden können. Gleichzeitig gibt es laut Umfragen eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, die bereit wären, im Falle eines Ablebens mit ihren Organen andere Menschenleben zu retten. Leider scheint der Informationsstand bei den Bürgerinnen und Bürgern über die Notwendigkeit eines Organspendeausweises nicht ausreichend zu sein, um diese Bereitschaft der Organspende auch in den tatsächlichen Besitz eines Spendeausweises zu übersetzen. Bei der politischen und gesellschaftlichen Diskussion dieses Themas wird die DGHS sicher wieder ein wichtiger und konstruktiver Gesprächspartner sein.
Ich wünsche Ihnen für Ihr Jubiläum nur das Beste und weiterhin Energie und Leidenschaft, um auch für die kommenden Jahre für ein selbstbestimmtes Leben und Sterben einzutreten, und die sachliche gesellschaftliche Debatte mit Ihren Argumenten zu bereichern."

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
(Bundesministerin der Justiz)

Nachdenken und Ausblick

Es gab mehr als Grußbotschaften: Eine 200-jährige Violine von erfahrenen Händen geführt und eine wunderbare Präsidentin, Frau Elke Baezer, Schweizer Staatsbürgerin, begleitete die Gäste durch den Abend und moderierte. So bot die DGHS auch den Rahmen, um nachzudenken und einen Blick in die Zukunft zu riskieren.

 

Als einer der Gründer und Vorstandmitglied zog Adi Meister mit leiser, unabdinglich fester Stimme, unterstützt von einer Power Point Präsentation, die Bilanz des eingetragenen Vereins: 30 Jahre DGHS

              Adi Meister, Elke Baezer                              Dr. Pieter Admiraal

In Deutschland wurden mit dem Patientenverfügungsgesetz und 2010 mit dem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofes wichtige Schritte erreicht. Und doch nehmen wir im Gegensatz zu unseren Nachbarn immer noch eine Sonderstellung ein: Bei einer langfristigen Begleitung eines leidenden Menschen, der keine Verbesserung seines Zustands erfahren kann und im vollen Bewusstsein und wiederholt seinen Tod wünscht, ist den Ärzten beispielsweise in den Niederlanden, unter Einhaltung vorgeschriebener Punkte, aktive Sterbehilfe erlaubt. Das offene und wiederholte Gespräch ist dabei unabdinglich.

Das Ziel – auch in Deutschland humane Wahlmöglichkeiten zu haben und am Lebensende das volle Selbstbestimmungsrecht zu erreichen – erfordert auch weiterhin von der DGHS den ganzen Einsatz und das Zusammenrücken von Unterstützern und Gleichdenkenden.

E.F.