Die Kirche bangt um ihren Nikolaus

(hpd) Er ist zur wahren Popikone geworden: Der Weihnachtsmann. Im knallroten Kostüm reitet – oder besser fliegt – die beleibte Frohnatur mit dichtem, weißen Rauschebart in seinem von Rentieren gezogenen Schlitten von Kamin zu Kamin, um den Kindern dieser Welt die Weihnachtsgeschenke in ihre Socken zu stecken oder unter dem Weihnachtsbaum zu platzieren. So viel zur Legende.

Dass diese ihre weitläufige Verbreitung nicht zuletzt durch die Werbung eines berühmten amerikanischen Brauseherstellers genommen hat, ist heute kein Geheimnis mehr. Dennoch bekräftigt dieser Umstand viele Menschen in ihrer alljährlich wiederkehrenden Abneigung gegen die „Kommerzialisierung des Weihnachtsfestes“.

Dieser Kommerzialisierung mag man kritisch gegenüberstehen, bedenkt man, dass die Weihnachtssaison im Einzelhandel schon im August mit dem Verkauf von Lebkuchen eröffnet wurde und die heißesten Fragen kurz vor dem Fest eben jene nach den Geschenken sind: Hat man schon alle Geschenke beisammen? Wer bekommt was? Wie viel gibt man für Geschenke aus?

Dennoch erscheint es jedes Jahr aufs Neue irgendwie skurril, wenn man sich voller Freude in die klebrig-süße und freundlich-strahlende Welt des Weihnachtskitsches werfen möchte und kurz darauf mit moralischem Zeigefinger vor dem Verlust der christlichen Werte und dem heiligen Ursprung des Weihnachtsfestes gewarnt wird.

Weihnachten ohne Christkind?

Jahrelang entbrannte dieser heraufbeschworene Streit zwischen „Konsumwahn“ und „christlichem Geist“ in der Frage um die Geschenke. Seit einigen Jahren aber erhärten sich die Fronten jener Konfliktlinie an ganz anderer Stelle. „Weihnachtsmann oder Nikolaus?“ wird zur alles entscheidenden Frage, deren Antwort über Moral, Aufrichtigkeit und Gläubigkeit entscheidet. Denn der Weihnachtsmann läuft gleich zwei wichtigen Figuren des christlichen Weihnachtsfestes den Rang ab: Dem Nikolaus und dem Christkind. Zweifelsohne hat der Bischof von Myra auch jener wohlbekannten Kunstfigur im schicken roten Dress Pate gestanden. Mit seinem christlichen Vorbild hat dieser aber nur noch wenig zu tun (und glücklicherweise hat man auf den stets mürrischen Kinderschreck Knecht Ruprecht gleich ganz verzichtet).

Dass der Weihnachtsmann außerdem in der Nacht vor Weihnachten kommt und nicht mehr wie der Nikolaus am 6. Dezember, setzt dem ganzen natürlich die Krone auf. Schließlich kann ein rauschebärtiger Mann im roten (oder eben braunen) Gewand ja nicht gleich zweimal Geschenke verteilen und zugleich wirkt der fröhliche Weihnachtsmann mit seinem dicken Sack voller Geschenke auch irgendwie authentischer, als das ungriffige und metaphysische Christkind – denn wer hat als Kind schon wirklich verstanden, wie die kleine Gipsfigur aus der Familienkrippe all die großen Pakete unter den Baum gelegt haben soll?

Verfolgt man nun diese Debatte – und das muss man zwangsläufig, denn in irgendeiner Form wird sie immer wieder mal ausgefochten – könnte man das Gefühl bekommen, dass sich die Bevölkerung in zwei Gruppen teilt: Jene, die den wahren Glauben bewahren und jene, die sich einem ketzerischen Konsumwahn freiwillig ausliefern. Doch damit schießt man glatt an der Realität vorbei.

Warum der Weihnachtsmann cooler ist als Nikolaus

Im Kern aber geht es wohl um die Frage: Ist es legitim, ein hedonistisches Weihnachtsfest zu feiern, aus keinem anderen Grund als der puren Freude an den vielen kleinen und großen Spielereien? Und das, ohne dabei dem christlichen Schöpfungsmythos von der unbefleckten Empfängnis zu gedenken, ohne den - eben nicht - obligatorischen Kirchgang, ohne Beten, ohne heilige Lieder, ohne Krippenspiel, ohne Jesusbaby, ohne Nikolaus und die Ruten von Knecht Ruprecht?

Was viele seit langem wissen muss endlich einmal klar ausgesprochen werden: Weihnachten ist in der Sphäre der Popkultur angelangt. Viele Menschen freuen sich über farbenfrohe Dekorationen im tristen Wintergrau, über heimische Weihnachtskomödien im TV, trällern rockige Christmassongs im Autoradio mit und ernähren sich über Monate von Lebkuchen, Bratäpfeln, Marzipan und Schokoweihnachtsmännern. Weihnachten wird gefeiert wie Karneval, Halloween oder Mardi Gras.

Die Helden eines säkularen Weihnachtsfestes heißen Freude, Freunde und Familie, sie heißen Rudolph, Frosty und Grinch, Frank Sinatra, Bing Crosby und Barry White, Ebenezer Scrooge, Chevy Chase und Tim Allen. Statt nach Myrrhe und Weihrauch riecht die säkulare Weihnachtszeit nach Zimt, Maronen und Glühwein. Warum? Weil es Spaß macht, einen Heidenspaß!

Wer mit Freude Weihnachten feiert, sich über Weihnachtsferien freut, das gute Abendessen genießt, sich drei Tage lang von einem proppenvollen TV-Programm verwöhnen lässt, wer die Winterzeit dazu nutzt, sich Zeit für seine Lieben zu nehmen oder auch etwas Gutes zu tun oder sich ethischen Fragen zu widmen, der soll das tun und sich damit wohlfühlen, ohne sich in ein christliches Korsett zwingen zu lassen.

Der Weihnachtsmann ist Teil einer stetig wachsenden Fantasy-Geschichte mit zahlreichen Facetten. Er ist die Symbolfigur eines popkulturellen Winterfestes, an dem jeder nach Belieben teilhaben kann – oder auch nicht – und das jeder mit seinen individuellen Werten, Wünschen und Erwartungen begehen darf und soll.

Sascha Schmidt