LONDON. (hpd) Warum Kulturrelativismus Grundrechte von Bürgerinnen ignoriert, IslamkritikerInnen über Rechtspopulisten aufgeklärt werden müssen und was hinter dem Begriff Ex-Muslime steckt. Ein Interview mit Maryam Namazie, Humanistin, Menschenrechtsaktvistin, Sprecherin der Ex-Muslime in England.
Warum finden Sie es notwendig zu betonen, dass jemand „Ex-Muslim(a)“ ist ? Der Council of Ex-Muslims in England ist mittlerweile eine bekannte Institution und ist vernetzt mit ähnlichen Gruppierungen weltweit.
M.N.: Ich habe, offen gesagt, selbst Probleme mit dem Begriff Ex-Muslime.
Ich lehne jede Form von „Identität“, die sich konstruiert aus Ethnizität, Geschlecht oder Religion ab. Die menschliche Identität ist die wichtige, sie trennt uns nicht voneinander sondern verbindet uns. Es soll hier also keine neue Identität zu all den anderen Millionen bereits existierenden Identitäten geschaffen werden. Erst recht keine, die aus Ablehnung einer anderen besteht. Jedoch ist es tatsächlich genau in diesem Fall wichtig, ein politisches Statement abzugeben.
In Ländern wie Iran kann das „Bekenntnis zum Atheismus“, der Austritt aus der muslimischen Gemeinde, eine Verurteilung zum Tode zur Folge haben, da sie als Apostasie betrachtet wird.
Selbst in Europa werden teilweise Menschen bedroht, die aus religiösen Gruppen austreten wollen. Also bedeutet es eine Form des Widerstandes, offen zu verkünden: Ich bin nicht (mehr) gläubig. Es ist vergleichbar mit der Notwendigkeit für homosexuelle Menschen, laut und vernehmlich zu verkünden, dass sie homosexuell sind und ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wahrnehmen.
Sowohl Religionszugehörigkeit als auch sexuelle Orientierung sind Privatangelegenheiten - es sei denn, es ist wichtig, ein Statement diesbezüglich abzugeben, um auf Ungerechtigkeit oder Diskriminierung hinzuweisen bzw. diese zu verhindern.
Deshalb ist das „Label“ Ex-Muslim derzeit noch wichtig.
Der Kampf um die Einhaltung der Menschenrechte hat heute so viel Relevanz wie vor 20 Jahren, wenn nicht noch mehr. Wo sehen Sie Gefahren und wo sehen Sie Hoffnung, sowohl in Europa als auch global?
M.N.: Der Kampf um die Menschenrechte, die Bürgerrechte, ist tatsächlich eine globale Angelegenheit. Speziell im Hinblick auf die islamische Bewegung aber auch auf andere Gruppen.
Leider sind es nicht nur rechte Gruppierungen und rechtspopulistische Organisationen, sondern auch zum Teil linke Gruppen, die so tun, als wären die hart erkämpften Rechte etwas, das nur für einige Menschen Geltung hat, etwas, das einem Kulturrelativismus geopfert werden dürfe.
Aber Menschen in Nahost oder Nordafrika haben den gleichen universalen Anspruch auf die Einhaltung der Menschenrechte wie Menschen in Europa.
Was zum Beispiel die Widerstandsbewegung in Iran deutlich aufzeigt in ihrem Kampf um Freiheit und Gleichberechtigung, ist der Anspruch den alle Menschen haben. Sie wollen als BürgerInnen des 21. Jahrhunderts leben und sie sind bereit, dafür zu kämpfen.
Es ist also eine ungeheuerliche Anschuldigung, zu behaupten, die Menschen wollen Islamismus. Als ob Sakineh Mohammadie Ashtiani gesteinigt werden wolle. Wenn das der Fall wäre, warum würde sie dann um ihr Leben kämpfen, warum würde ihr Sohn, ein Lastwagenfahrer, der nie aus Iran rausgekommen ist, offene Briefe schreiben?
Ich denke, alleine dieses Beispiel zeigt bereits, wie vernetzt unser aller Bedürfnisse sind und wie wichtig Solidarität ist.
Wenn das derzeitige Regime in Iran einem anderen weichen wird, wird das große Folgen haben, auf globaler Ebene. Es ist eine Chance für Säkularismus und Gleichberechtigung und würde der eigentlichen Revolution, die damals, 1979, brutal unterdrückt wurde, endlich den Raum geben, den sie damals verlor.
Maryam Namazie kämpft an vielen Fronten. Richtungsweisend war ihr Seminar am 26.1.2011 in London: „Feinde, nicht Verbündete“, in dem sie über die Gefahren der rechtspopulistischen Meinungsmache aufklärte, ohne sich dabei mit jenen zu verbünden, die von diesen kriminalisiert werden.
Die Fragen stellte Susan Navissi
Übersetzt aus dem Englischen