Die mangelnde Legitimation des Islam

(hpd) Die Islamwissenschaftlerin Barbara Köster präsentiert die Ergebnisse einer neuen Forschungsrichtung, welche die historische Authentizität vieler Aussagen zur Frühgeschichte des Islam in Frage stellt. Auch wenn man der rigorosen Verwerfung nicht pauschal zustimmt, zeigt sich doch deutlich das mangelnde sichere Wissen über die Entstehungszeit dieser Religion und damit auch für die Legitimation von deren sozialen Geltungsansprüchen.

Die Entstehungs- und Frühgeschichte von Religionen ist häufig von Legenden und Mythen geprägt, welche sich nach einer kritischen Betrachtung historisch nur selten belegen lassen. Lange Zeit ging man davon aus, dass dies beim Islam anders sei. Einerseits handelt es sich um eine relativ junge Religion, existiert für die Zeit von deren Herausbildung doch scheinbar eine Fülle von Quellen. Andererseits ist das bisherige Wissen um die Frühgeschichte des Islam auch von Erkenntnissen geprägt, die weder für Mohammed noch seine direkten Nachfahren als schmeichelhaft bezeichnet werden können. Doch betrachtet man sich die Grundlagen des bisherigen Wissens, so zeigt der kritische Blick: All das, was wir zu wissen glauben, beruht auf islamisch geprägten und nicht zeitgenössischen Quellen. Mittlerweile hat sich im Bereich der Islamwissenschaften eine Außenseiterposition herausbildet, welche bisherige Gewissheiten über die Entstehungsgeschichte des Islam in Frage stellt. Diese Theorien will die Islamwissenschaftlerin Barbara Köster vorstellen.

In ihrem Buch „Der missverstandene Koran. Warum der Islam neu begründet werden muss“ beschreibt sie die Auffassungen von gegenwärtigen Forschern wie Christoph Luxenberg oder Karl-Heinz Ohlig: „Sie stellen den Islam in einen engen Zusammenhang mit dem Christentum, wobei besonders das frühe syrische Christentum eine Rolle spielt. Später hat er weitere, vor allem persische Einflüsse in sich aufgenommen, bevor er schließlich am Ende des 8. Jahrhunderts als eigenständige Religion gelten konnte“ (S. 12). Die zwanzig Kapitel des Buches behandeln die unterschiedlichsten Aspekte aus der Entstehungs- und Frühgeschichte des Islam: Es geht um die Geschichte und Geschichten vom Propheten Mohammed, den Mythos Mekka und die Legende von der Auswanderung, wobei jeweils immer nach der historischen Belegbarkeit gefragt wird. Gleiches gilt für die Darstellungen und Erörterungen zur Geschichte von den Eroberungen bis nach Spanien hinein, das Verhältnis von Jesus und Mohammed oder die Diskussion um die Kopftuch-Frage mit dem Verweis auf den Koran.

Historische Legenden aus einem Erzähler-Repertoire

Hinsichtlich der historischen Legenden über den Islam formuliert Köster eine eindeutige Botschaft: „Die Geschichtlichkeit seiner Entstehung, auf die er sich ausdrücklich beruft, ist widerlegt. Die Tradition ist nicht Geschichte, sondern besteht aus Geschichten und Anekdoten aus einem Erzähler-Repertoire. Das Leben des Propheten ist ein Produkt dichterischer Freiheit. ... Die Auswanderung von Mekka nach Medina hat nicht stattgefunden. Die vier rechtgeleiteten Kalifen hat es nicht gegeben. Es gab keine arabischen Eroberungen unter dem Banner des Islams“ (S. 121). Und weiter heißt es: „Die Hauptaussagen des Islams sind zweifelhaft. Koran und Sunna, die Basistexte zur Legitimation ‚religiöser Regeln’ sind auf andere Weise entstanden als geglaubt. Die Person eines arabischen Propheten mit dem Namen Mohammed ist unhistorisch, dafür der Koran historisch. Die koranische Botschaft ist nicht arabisch. Die Sunna basiert auf der Interessenpolitik verschiedener Personen und Gruppierungen. Der Islam entstand nicht auf der Arabischen Halbinsel“ (S. 243).

Köster zieht demnach symbolisch einen großen Strich durch das bisherige Bild von der Entstehungs- und Frühgeschichte des Islam. Dabei kann sie sich auf neuere Forschungen etwa zur Quellenkritik der muslimischen Texte oder einer Sprachanalyse des Koran ebenso stützen wie auf den Vergleich der überlieferten muslimischen mit den nicht-muslimischen Texten derselben Zeit oder auf unterschiedliche archäologische und numismatische Belege. Ob aber daraus direkt so rigorose Aussagen wie „hat es nicht gegeben“ oder „ist unhistorisch“ ableitbar sind, kann doch auch hinterfragt und kritisiert werden. Gleichwohl wirft Köster der etablierten und traditionellen Islamwissenschaft zutreffend vor, allzu naiv und unkritisch das islamische Bild von der Frühgeschichte der Religion reproduziert zu haben. Unabhängig davon, wie man zu ihrer Deutung der gemeinten historischen Epoche steht, lässt sich angesichts des mangelnden historischen Wissens um sie wohl kaum eine Religion mit einem derart breiten sozialen Geltungsanspruch inhaltlich legitimieren.

Armin Pfahl-Traughber

 

Barbara Köster, Der missverstandene Koran. Warum der Islam neu begründet werden muss, Berlin 2010 (Verlag Hans Schiler), 270 S., EUR 34,00.