Hawking, Gott (?) und der Urknall

HEIDELBERG. (hpd/sk) Am Freitag, den 06. Mai 2011, veranstalteten die Säkularen Humanisten Rhein-Neckar einen Vortrag mit Rüdiger Vaas über das Thema „Hawking, Gott (?) und der Urknall“ im Deutsch Amerikanischen Institut (DAI) in Heidelberg. Die Veranstaltung war eine erfolgreiche Zusammenarbeit von vier Organisationen aus dem säkularen Spektrum in Baden-Württemberg. 

Bericht von Reinhold Schlotz

 

Der Vortrag war die dritte Veranstaltung 2011 der Säkularen Humanisten GBS Rhein-Neckar e.V. –Regionalgruppe des Förderkreises der Giordano Bruno Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Bund für Geistesfreiheit Heidelberg, Humanistischem Verband Baden-Württemberg und der GWUP-Die Skeptiker.

„Spontane Erzeugung ist der Grund, warum etwas ist und nicht einfach nichts, warum es das Universum gibt, warum es uns gibt. Es ist nicht nötig, Gott als ersten Beweger zu bemühen, der das Licht entzündet und das Universum in Gang gesetzt hat.“

Mit dieser Aussage sorgten der Kosmologe und Astrophysiker Stephen Hawking zusammen mit seinem Koautor, dem Physiker Leonard Mlodinow, in ihrem Buch „Der große Entwurf“ vor allem in theologischen Kreisen für Unruhe. Um zu verstehen, warum der derzeit wohl bekannteste Astrophysiker und langjährige Inhaber des einst von Sir Isaac Newton und Paul Dirac besetzten Lucasischen Lehrstuhls für Mathematik an der Universität Cambridge zu einer solchen Aussage kommen kann, bedarf es einer tieferen Einsicht in die physikalischen Zusammenhänge von Raum und Zeit, d.h. in Struktur und Entwicklung des Universums.

In einem ca. 90minütigen Vortrag ist es dem Philosophen und Wissenschaftsjournalisten Rüdiger Vaas gelungen, einem Publikum von ca. 120 astronomisch interessierten Zuhörern einen erstaunlich detailreichen Überblick über dieses sowohl komplexe als auch komplizierte Thema zu vermitteln.

Was ist die Bedeutung von „Urknall“?

Warum zieht sich das Universum mit seinen gigantischen Massen von Sternen, Galaxien, Galaxienhaufen und kosmischem Staub nicht in sich zusammen, wenn Materie sich über die Naturkraft der Gravitation gegenseitig anzieht? Mit der Allgemeinen Relativitätstheorie (ART) gelang Albert Einstein im Jahre 1915 eine Beschreibung des Universums, die bis heute als die Beste, mit den gemessenen Daten übereinstimmende, physikalische Theorie gilt. Die ART verknüpft den dreidimensionalen Raum mit dem Parameter der Zeit zu einer vierdimensionalen Raumzeit, wobei die Gravitation als eine geometrische Krümmung dieser Raumzeit beschrieben wird. Einstein ging zunächst von einem statischen Universum aus, das dann aber eine Komponente enthalten musste, die der globalen gravitativen Anziehung so entgegenwirkt, dass es zu keiner Schrumpfung des Universums kommt, d.h. dass es statisch bleiben kann. Seine Theorie enthielt also eine entsprechende Komponente, die „kosmologische Konstante“, die er später als die „größte Eselei“ seines Lebens bezeichnete, als der Astronom Edwin Hubble im Jahre 1929 die Expansion des Universums erkannte. Das Universum erwies sich also nicht als statisch, sondern als dynamisch, es dehnt sich aus und wird ständig größer. In der Rückextrapolation bedeutet dies, dass das Volumen des Universums in der Vergangenheit kleiner und, wenn man weit genug in die Vergangenheit zurück geht, in einem einzigen Punkt, wo Raum und Zeit gegen null gehen, komprimiert war. Die ART sagt an diesem Punkt unendliche Werte für Energie, Dichte, Druck, Temperatur und Krümmung voraus, was einem Zusammenbruch der bekannten Naturgesetze gleichkommt. Die mathematischen Gleichungen der ART besitzen an diesem Punkt eine Singularität und legen somit die Gültigkeitsgrenze der ART selbst fest.

Maßgeblich beteiligt an der Interpretation dieses Szenarios war der belgische Astronom und katholische Priester Georges Lemaître, der als einer der Ersten auf diese Singularität hingewiesen hat und die Entstehung des Universums als ein singuläres Ereignis aus dem Zerfall eines „Uratoms“ zu erklären versuchte. Der Vatikan, unter dem damaligen Papst Pius XII, akzeptierte Lemaîtres Theorie und sah darin die theologische Auffassung bekräftigt, die Welt sei einem göttlichen Schöpfungsakt entsprungen. Später forderte Papst Johannes Paul II während einer Konferenz für Kosmologie im Vatikan Stephen Hawking dazu auf, „den Urknall nicht weiter zu erforschen, da dieser doch der Moment der Schöpfung und damit das Werk Gottes sei“. Später bemerkte Hawking hierzu: „Ich war froh, dass er nicht bemerkt hat, dass ich bei der Konferenz bereits ein Papier mit einer These darüber präsentiert hatte, wie das Universum entstanden ist“.

Naturwissenschaftler lassen sich selbstverständlich nicht von der Theologie vorschreiben, wie sie ihre Wissenschaft zu betreiben haben (dieses Zeitalter haben wir „Aufklärung und Säkularisierung sei Dank“ hinter uns) und es ist das Anliegen der Kosmologen, die Urknall-Singularität in ihren Theorien zu vermeiden, da es sehr fraglich ist, ob sie einem physikalischen Sachverhalt entspricht. Unbestritten ist, dass sich unser Universum vor 13,7 Milliarden Jahren in einem heißen, komprimierten Zustand befunden haben muß, wobei die gesamte Energie in einem mikroskopisch kleinen Volumen konzentriert war, d.h. das gesamte Universum befand sich in einem Zustand, in welchem die Gesetze der Quantenphysik eine tragende Rolle spielen. Die Quantenphysik sagt die stetige Erzeugung/Vernichtung sogenannter virtueller Teilchen aus dem Vakuum voraus (z.B. virtuelle Photonen, Elektron-Positron-Paare), was auch experimentell bestätigt werden konnte (Lamb-Shift, Casimir-Effekt). Auch das Universum könnte aus einer Vakuumfluktuation entstanden sein, wie Stephen Hawking es eindeutig formulierte: „Obwohl wir noch keine vollständige Quantentheorie der Gravitation haben, wissen wir, dass der Ursprung des Universums ein Quantenereignis war“.

Inzwischen gibt es eine Reihe experimenteller Tatsachen, mit welchen eine vollständige Quantentheorie der Gravitation in Einklang stehen muß, z.B.:

  • das kosmologische Verhältnis der Elemente Wasserstoff/Helium und Lithium, die während einer frühen Phase des Urknalls entstanden sind (Primordiale Nukleosynthese).
  • die Struktur der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung, wie sie von den Satelliten COBE und WMAP vermessen wurde und derzeit vom europäischen Satelliten PLANCK mit höherer Präzision vermessen wird.
  • die Bildung und Verteilung der Materie (Galaxien, Galaxienhaufen, Dunkle Materie, kosmischer Staub) im Universum, wie sie heute beobachtet werden.
  • die 1998 entdeckte beschleunigte Ausdehnung des Universums, die die Existenz einer „dunklen Energie“ nahelegt.
  • die Physik „Schwarzer Löcher“, deren Existenz z.B. im Zentrum von Galaxien nachgewiesen wurde.
  • die Werte der Naturkonstanten (z.B. Stärke der vier Naturkräfte, Lichtgeschwindigkeit, Massen der Elementarteilchen, u.a.), die in ihrer Gesamtheit eine Welt wie die unsrige ermöglichen.

Neben Stephen Hawking gibt es eine Reihe brillanter Theoretiker, die unterschiedliche Ansätze einer Theorie der Quantengravitation und -kosmologie verfolgen. Die bekanntesten Ansätze gehören zu der Klasse der Stringtheorien; ein anderer Ansatz wird z.B. als Schleifen-Quantengravitation bezeichnet. Ein Hauptanliegen aller kosmologischen Ansätze ist, die Urknall-Singularität der ART zu vermeiden, wobei es z.B. Fragen zu lösen gilt, wie „ob die Zeit einen Anfang hat“ (Anfangskosmologien) oder „ob unser Universum nur eines von vielen innerhalb eines Multiversums ist“, welches dann ewig besteht (Ewigkeitskosmologien)? Unser gewohnter Begriff der Zeit wird in solchen Theorien besonders strapaziert, wenn z.B. von negativer Zeit und imaginärer Zeit die Rede ist, was eine Herausforderung nicht nur für „normal Sterbliche“, sondern auch für den einen oder anderen Experten sein dürfte.