OSLO. (hpd) Der norwegische Attentäter Anders Breivik galt zunächst als christlicher Fanatiker. Zur Frage, ob auch bewusst christliche Attentäter künftig denkbar wären, äußerst sich in einem Kommentar der Theologe Heinz-Werner Kubitza.
Der Kelch ist noch einmal an ihnen vorübergegangen. In heller Aufregung befand sich die fromme evangelikale Szene weltweit, als die Nachrichtenagenturen die Meldung verbreiteten, der norwegische Attentäter Anders Behring Breivik sei ein „christlicher Fundamentalist“. Konnte das sein? Einer der Ihren ein Massenmörder, getrieben möglicherweise von einem christlichem Fanatismus? Evangelikale weltweit werden wohl selten so gespannt und auch verwirrt auf weitere Meldungen gewartet haben. Die evangelikale Nachrichtenagentur IDEA brachte trotz Sommerpause drei Artikel. Wäre Breivik tatsächlich bekennender Christ gewesen, hätte dies einen schweren Schlag für die christlichen Kirchen weltweit und für die Evangelikalen im Besonderen bedeutet.
Hartmut Steeb, Generalsekretär der Evangelischen Allianz, der Dachorganisation der Evangelikalen in Deutschland, kontaktierte sofort seinen Glaubensfreund Rolf Elkenes in Oslo und konnte bald erleichtert mitteilen, dass Breivik keiner evangelikalen oder pietistischen Gemeinschaft angehörte.
Erleichterung im evangelikalen Lager, als auch das 1500-Seiten-Pamphlet Breiviks eher eine Mischung aus Fremdenhass, Rechtsradikalismus und dumpfen Bedrohungsängsten ans Licht brachte. Inzwischen sahen sich weltweit evangelikale Organisationen genötigt, sich von dem Anschlag zu distanzieren. Gordon Showell-Rogers, Chef der Weltweiten Evangelischen Allianz, verurteilte religiöse motivierte Gewalt auf das Schärfste. Die Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) in Deutschland sah in dem Anschlag gar „eine besonders schändliche Form der Gotteslästerung“. Für Pfarrer Hempelmann, Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW), ist die Bezeichnung „christlicher Fundamentalist“ für Breivik irreführend. Sein Bezug auf Religion sei nur ideologisches Beiwerk.
Damit hat Hempelmann vermutlich Recht. Dennoch versteht sich der Osloer Attentäter zumindest auch als Christ und Mitglied einer christlichen Kultur- und Wertegemeinschaft. Er selbst macht die Unterscheidung zwischen einem kulturellen und einem religiösen Christen und schreibt. „Ich und viele andere wie ich haben nicht notwendigerweise eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus und Gott. Wir glauben aber an das Christentum als kulturelle, soziale und moralische Plattform. Das macht uns zu Christen."
Aus dem rechtslastigen Zusammenhang gerissen (und natürlich nur dann) klingt das tatsächlich eher nach einer Verlautbarung der EKD als nach einer radikalen christlichen Splittergruppe. Wenn er sich nur als „kulturellen Christen“ versteht, dann, so denkt man unbewusst weiter, meint er es ja mit seinem Christentum ohnehin nicht so ernst.
Ist ein christlicher Attentäter denkbar?
Die Evangelikalen und die Kirchen haben noch einmal Glück gehabt. Es stellt sich aber dennoch die Frage, ob grundsätzlich auch ein christlicher Attentäter künftig denkbar wäre. Für gläubige Christen, deren Glaube sich zumeist einseitig auf einen liebenden Gott und einen liebenden Gottessohn kapriziert, scheint dies undenkbar. Und selbst ein Theologe wie der Münsteraner Prof. Hermut Löhr ist laut IDEA (27.7.2011) der Meinung, „Breiviks Bluttaten ließen sich nicht mit einem fundamentalistischen Verständnis des christlichen Glaubens begründen. Es gebe keine Texte in der Bibel, die ein solch wahlloses Hinmorden rechtfertigen könnten. Wer seine aggressiven Gewalttaten auf Bibeltexte beziehen wolle, werde der christlichen Botschaft nicht gerecht.“
Doch so einfach ist das nun wirklich nicht. Als Theologe wird auch Löhr wissen, dass sich im Alten und Neuen Testament sehr viele Texte finden, die von einer ungezügelten Gewaltvorstellung geprägt sind. Der liebende Gott dagegen ist jüngeren Datums. Der Psychologe Franz Buggle spricht in seinem Buch „Denn sie wissen nicht, was sie glauben“, von über 1000 Stellen, die nach unserem heutigen Verständnis gewalttätig und menschenverachtend sind. Angriffskriege werden vom alttestamentlichen Gott gefordert und gerechtfertigt, auf göttliches Geheiß der Bann, also die fast völlig Vernichtung vollzogen. Andersgläubige werden blutig verfolgt und umgebracht, die religiöse Intoleranz ist eine Grundkonstante aller alttestamentlichen Schriften. An über 100 Stellen im Alten Testament fordert der alttestamentliche Gott direkt dazu auf, Menschen zu töten. Von den Christen auch heute noch gefeierte Glaubenshelden wie Josua oder David erweisen sich, legt man ein heutiges Verständnis zugrunde, als Kriegsverbrecher durch höhere Weisung.
Und selbst das Neue Testament gibt sich nicht so friedlich, wie sich ein frommes Bibelkränzchen das wünschen würde. Der Jesus der Evangelien hat neben seiner frohen, aber irrealen Botschaft eines angeblich unmittelbar bevorstehenden Gottesreiches auch viele Drohungen im Gepäck. Ständig spricht er von der Hölle, vom Gericht und vom Teufel, traditionelle Vorstellungen, von denen er sich offenbar nicht hat verabschieden können. Andersdenkende werden als „Natterngezücht“ bezeichnet und verunglimpft, obwohl er doch an anderer Stelle selbst mahnt, dass schon ein schlechter Gedanke eine Todsünde sei. Der Prediger der Feindesliebe gibt sich dann in Jerusalem selber militant, was wohl auch zu seinem schnellen Ende dort geführt hat.
Genug Anhaltspunkte für Gewalt
Der christliche Antijudaismus nimmt vom Neuen Testament aus seinen Ausgang, und es sollten in den folgenden Jahren fast immer Christen sein, die die Juden verfolgten. Das letzte Buch des von Christen so einseitig verstandenen Neuen Testaments bringt dann noch einmal eine ganze Fülle an Beispielen für die Vernichtung Andersgläubiger, den Auswuchs einer perversen Phantasie, die heute selbst vielen Christen peinlich ist.
Die heiligen Schriften der Christen bieten nun wahrlich genug Anhaltspunkte und Beispiele für ein gewalttätiges Vorgehen gegen Andersgläubige. Weil heutige Christen diese Stellen aber unbewusst meist überlesen, glauben sie schließlich selbst an den von ihnen geschaffenen lieben Gott, den guten Vater, den Schützer und Behüter. Sie glauben an einen Wellness-Gott. Dass dieser Gott aber, hätten ihre heiligen Schriften Recht, am Ende alle Vertreter der nichtchristlichen Religionen und sogar viele der Christen in die ewige Vernichtung schickt, wird in frommen Gebeten ausgeblendet. Man selbst, so meint man, gehöre ja ohnehin nicht zu den Opfern. Und diese hätten es eben nicht anders verdient.
Frühere Generationen hatten noch ein anderes Gottesbild. Sie hatten mit dem zürnenden und zur Vernichtung aufrufenden Gott kein Problem. Für ihn gingen sie in den Kampf gegen die Ungläubigen, mit dem Segen der Kirche, und sie wussten sich in Übereinstimmung mit Gottes heiligem Willen. Sie haben die Bibel nicht falsch verstanden, sie haben nur andere Stellen in ihr richtig verstanden.
Es ist Blauäugigkeit anzunehmen, Gewalt sei dem Christentum und der Bibel im Grunde wesensfremd. Die heiligen Schriften und 1500 Jahre Kirchengeschichte belegen das Gegenteil. Und auch wenn das Christentum heute durch die Aufklärung und ihre Werte (die keine christlichen Werte waren) geläutert worden ist, und es für die meisten Christen als nicht hinnehmbar erscheint, dass Andersgläubige verfolgt oder sogar umgebracht werden. Niemand kann ausschließen, dass am Sprengstoff, den die biblischen Schriften in so großem Maße bereithalten, sich nicht doch christliche Attentäter ideologisch ausrüsten, so wie es so viele in der Vergangenheit auch schon getan haben. Solange Aufrufe zu Mord und Gewalt sich in heiligen Schriften finden, und diese nicht im Giftschrank der Geschichte zumindest Jugendlichen und Heranwachsenden entzogen werden, muss man mit allem rechnen.
Dr. theol. Heinz-Werner Kubitza ist Autor des Buches „Der Jesuswahn. Wie die Christen sich ihren Gott erschufen. Die Entzauberung einer Weltreligion durch die wissenschaftliche Forschung“ www.jesuswahn.de