ROSSDORF/HAMBURG. Die Gesundheitsreform 2007 sieht vor, dass es den gesetzlichen Krankenkassen möglich ist, Wahl-Tarife anzubieten, die Kosten
für besondere Therapierichtungen (wie Naturheilverfahren, Homöopathie und anthroposophische Medizin) erstatten. Hierüber zeigen sich die Hersteller so genannter alternativer Arzneimittel natürlich erfreut. Auch die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) bewertet es als positiv, dass mit der in der Gesundheitsreform getroffenen Regelung nicht mehr diejenigen Mitglieder einer gesetzlichen Krankenkasse belastet werden, welche die "besonderen Therapierichtungen" aus guten Gründen ablehnen, etwa weil es keine anerkannten Wirkungsnachweise für sie gibt oder weil damit pseudowissenschaftliche, esoterisch-okkultistische Lehren gefördert werden.
"Die Tendenz der weiteren Entwissenschaftlichung des öffentlichen Lebens in Deutschland ist dennoch bedenklich", so der Geschäftsführer der GWUP, Amardeo Sarma. Nach wie vor hätten die "besonderen Therapierichtungen" keinen anerkannten Wirkungsnachweis erbracht. Ferner verleite diese Regelung der Gesundheitsreform die Verbraucher noch mehr als bisher, unter der Autorität einer gesetzlichen Regelung anzunehmen, es läge doch einen derartiger vertrauenswürdiger Wirkungsnachweis vor. So werde der Schutz der Versicherten seitens ihrer Krankenkassen vor unseriösen Angeboten schleichend ausgehöhlt. Mit Blick auf den Verbraucherschutz sei auch prinzipiell abzulehnen, dass Krankenkassen für unbelegte und damit nutzlose Verfahren Geld ausgeben, so Sarma.
Die GWUP hatte sich schon 2001 ausführlich zur Homöopathie geäußert: „Die Tatsache, dass einige Krankenkassen die Kosten für mehrere der oben beschriebenen Heilmethoden erstatten, obwohl sie völlig verschiedene, teils widersprüchliche Grundlagen haben und jede von ihnen die Physik als grob unvollständig hinstellt, erweckt den Eindruck, dass die uns Wissenschaftlern selbstverständliche Forderung, ein System müsse nach innen und außen stimmig sein, bei den Entscheidungen der Politik und der Krankenkassen über die Finanzierung der besonderen Therapierichtungen keine Rolle spielt. Womöglich sind die Krankenkassen heute kaum noch Solidargemeinschaften auf dem Fundament schulmedizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern vielmehr Konsumentenvereinigungen auf Glaubensbasis."
Hinsichtlich der Einführung der neuen Regelungen in der Gesundheitsreform für die „besonderen Therapierichtungen" ist die klassische Frage des „Cui bono?" (Wem nützt es?) zu beantworten.
Besonders hervorgetan hat sich in dem Bemühen der offiziellen Anerkennung dieser so genannten „Naturheilverfahren" ein Hamburger Versicherungskaufmann, Thomas Martens, der 1984 die „Securvita - Gesellschaft zur Entwicklung alternativer Versicherungskonzepte mbH" gründete.
Das Kerngeschäft ist die „Erkämpfung von Freiräumen für besondere Therapierichtungen", die von der Securvita vom Lübecker Sozialgericht bis zum Bundessozialgericht durchgeklagt wurden. Auch sonst war man recht prozessfreudig und traf sich beispielsweise mit ÖKO-Test 2003 mehrmals vor Gericht.
Als die gesetzlichen Rahmenbedingungen in der Krankenkassenreform eine eigene Krankenkassengründung erlaubten, wurde neben der GmbH 1996 eine Betriebskrankenkasse (BKK) als Körperschaft des öffentlichen Rechts gegründet und mittlerweile befinden sich unter dem Dach der Securvita-Holding AG neben den beiden genannten Firmen noch eine Versicherungsmakler GmbH, ein Finanzdienstleister mit einer Investmentfirma (Aktienfonds Green Effects) und ein Angebot von Studienreisen „zu Kultur und Medizin".
Die Securvita ist u.a. mit Greenpeace verbunden (die ehemalige Greenpeace-Geschäftsführerin Birgit Radow ist die Vorstandssprecherin und der ehemalige Greenpeace Pressesprecher Norbert Schnorbach Pressesprecher der Securvita-Gruppe). Bereits 1999 forderte die seinerzeitige Vorsitzende Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) Angelika Zahrndt eine „Wende in der Gesundheitspolitik" und die Zulassung von Naturheilverfahren. Und so wie der BUND heute seinen Mitgliedern die Securvita als Versicherung empfiehlt ist der Bundesgeschäftsführer des BUND, Dr. Gerhard Timm, Mitglied des Kuratoriums der Zukunftsstiftung Gesundheit, die sich wiederum in der Obhut der GLS Treuhand befindet, einem Unternehmen der GLS Gemeinschaftsbank eG , die „erste ethisch-ökologische Bank in Deutschland", die der BUND wiederum seinen Mitgliedern unter dem Motto "Besser leben - Bankwechsel" als Bank empfiehlt.
Diese weitgehende Vernetzung zeigt sich nicht nur in der Zusammensetzung der Gremien der „Zukunftsstiftung Gesundheit" sondern auch beispielsweise in der Mitgliedschaft in Aufsichtsgremien des (bis 2006) Aufsichtsratsvorsitzenden der GLS-Bank, Dr. Henner Ehringhaus, der nicht nur Leiter des WWF World Life Fund for Nature war, sondern ebenfalls (unter anderem) bei der Weleda AG, der New Energies Invest AG, im Förderverein Ökologische Steuerreform tätig war und Gründer der Verbraucherorganisation foodwatch ist.
Dieses Umfeld, in dem sich sie Securvita befindet, verbindet sich durch wohlmeinende Zeitungsartikel in denen die Firma empfohlen wird, bis hin zu einem Artikel über den Firmengründer in dem viel über das Sponsoring für den Fußball-Club FC St. Pauli die Rede ist.
Mittlerweile tritt die Securvita in einem Verbund mit Organisationen an, die „zusammen rund 2,6 Millionen Mitglieder vertreten: B.A.U.M., Bioland, BUND, Demeter, Deutscher Hausfrauen-Bund, Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union, Deutscher Tierschutzbund, Deutsche Umwelthilfe, foodwatch, GLS-Gemeinschaftsbank, Germanwatch, Greenpeace Deutschland, Mehr Demokratie, NABU, Netzwerk Recherche, Securvita, Transparency International Deutschland, WWF Deutschland und Zukunftsstiftung Landwirtschaft in der GLS Treuhand.
Kritik an der Securvita ist selten (SWR-Infomarkt vom 9.3.2006) und bei allen Berichten über die Firma oder ihren Gründer wird eines nie erwähnt, dass Securvita, GLS, Weleda, foodwatch, etc. zum Weltverständnis der Anthroposophen gehören. Entgegen der Darstellung im Rheinischen Merkur: „Wir fremdeln nicht" und in dem eine ganze Reihe von Firmen und Einrichtungen der Anthroposophen benannt werden, findet das in den Selbstdarstellungen der Firmendarstellungen noch keine entsprechende Offenheit.
Aus dem „weltweiten Adressenverzeichnis Anthroposophie" findet man bei der Suche nach Geld und Versicherung auch die Nennung der Innungskrankenkasse des Hamburger Handwerks, dort, wo auch die Securvita ihren Sitz hat. Diese IKK-Hamburg hat Homöopathie im Leistungsangebot und teilt mit: „Anthroposophische Medizin jetzt auf IKK-Card: Das Modellprojekt der IKK Hamburg endet mit einem Erfolg: Seit dem 1.1.2006 übernimmt die IKK ganz normal Kosten für anthroposophische Behandlungen und Therapien."
Im Unterschied zu der Prozess-Strategie des Securvita, die auf dem Sozialgesetzbuch V, § 2, Abs. 1 beruht: „Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen", geht die IKK einen geräuschloseren Weg („getrennt marschieren,...") eines zeitlich befristeten Pilotprojektes, das wissenschaftlich begleitet und bewertet werden muss.
Die Ergebnisse des Pilotprojektes seien eine „Lang anhaltende Besserung" des Gesundheitszustandes der Patienten. Die wissenschaftliche Studie stand unter der Leitung von Professor Stefan N. Willich vom Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité Berlin und Dr. Helmut Kiene vom Institut für angewandte Erkenntnistheorie und medizinische Methodologie (IFAEMM) in Freiburg. Der dadurch erzeugte Eindruck wissenschaftlicher Objektivität und Neutralität ist allerdings ein Fehlschluss.
Das Institut an der Charité hat einen Forschungsbereich Komplementärmedizin und schreibt: „In großen Studien mit bisher 500.000 Patienten werden die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit von Homöopathie und Akupunktur bei Patienten mit chronischen Erkrankungen untersucht. Mit Veröffentlichung der ersten Ergebnisse in hochrangigen Zeitschriften werden durch unsere Projekte weltweit Standards für methodisch anspruchsvolle klinische Untersuchung von komplementärmedizinischen Richtungen sowie eine Basis für adäquate gesundheitspolitische Konsequenzen etabliert. Der strikte Dualismus zwischen Schulmedizin und Komplementärmedizin weicht der Erkenntnis, dass der Patient einen Anspruch auf beides hat und nachdrücklich fordert." Der Nachweis der „hochrangigen Zeitschriften" wird allerdings nicht geführt.
Das IFAEMM in Freiburg gehört nicht zur Universität Freiburg. Das „Institut steht in Fortführung des medizinisch-sozialen und wissenschaftlichen Impulses von Gerhard Kienle (1923-1983) - Anthroposoph, Begründer des Gemeinschaftskrankenhauses Herdecke und der ersten deutschen Universität in freier Trägerschaft (Witten/Herdecke) und Wegbereiter für die gesetzliche Anerkennung und Akzeptanz komplementärmedizinischer Methoden und einer pluralistischen Konzeption der Medizin."
Und die Ergebnisse der wissenschaftlichen IKK-Studie wurde im Merkurstab veröffentlicht, der „Zeitschrift für Anthroposophische Medizin" herausgegeben von der Medizinischen Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft in Dornach / Schweiz und der Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland.
Die IKK-Studie wurde angeregt durch Peter Meister, dem Präsidenten des „Europäischen Verbraucher Verbands für Naturmedizin" und Mitglied im Vorstand des „Dachverbandes Anthroposophischer Medizin in Deutschland" D.A.M.I.D.
Auch dort wird - wie schon bei der IKK-Studie - im Zirkelschluss ein Binnenkonsens vorgeführt, indem nicht unabhängige Gutachter prüfen, sondern gleich gesinnte Kollegen. So wird bei D.A.M.I.D. unter der Information Fakten zum Wirksamkeitsnachweis ein Interview mit Dr. Harald Matthes veröffentlicht, der als leitender Arzt am Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe fachkundig den Unterschied zwischen „Wirkung" (Konventionelle Medizin) und „Wirksamkeit" (Komplementärmedizin) erläutert. Wiederum fehlt die Information, dass dieses Krankenhaus explizit anthroposophisch ausgerichtet ist.
Dieser Binnenkonsens hat die gleiche Logik, als würden - beispielsweise - die Berliner Taxifahrer gegenseitig ihre Autos auf Verkehrssicherheit prüfen und sich dann technisch glaubwürdig zertifizieren, dass ihre Fahrzeuge nachweisbar tip-top in Ordnung seien.
Im Gesundheitsbereich haben die Anthroposophen mit Begriffen wie „Sanfte Medizin", „Besondere Therapierichtung", „Naturheilkunde" ein Image aufgebaut, das - in Parallele zu dem musischen, künstlerischen, humanen Image der Waldorfschulen - ein Heil(ung)sversprechen suggeriert. Der Nachweis dafür wurde bisher nicht erbracht.
CF