NEW YORK. (rd/hpd) Der Beobachter der IHEU bei den Vereinten Nationen, Austin Dacey, hatte in letzter Zeit häufig schlechte Nachrichten für die Religionsfreiheit in der UN zu vermelden. Jetzt kann er etwas Positives berichten. Entsprechend den Bestimmungen des ICCPR gibt es ein Recht auf Blasphemie.
Nachdem ich in den vergangenen Jahren bei den Vereinten Nationen die Debatten zur Religion und Meinungsfreiheit verfolgte, habe ich mich daran gewöhnt, schlechte Nachrichten weiterzugeben, wie etwa ein Dezennium an Resolutionen des Menschenrechtsrats und der Generalversammlung, welche „die Diffamierung der Religion bekämpften.“ Nun, da es gute Nachrichten gibt, wurden diese kaum bemerkt.
Ende letzten Monats veröffentlichten die UN eine neue Stellungnahme in Bezug auf die freie Meinungsäußerung im Rahmen internationaler Gesetze. Sie besagt, dass Gesetze, die Blasphemie einschränken, als solche mit den allgemeinen Menschenrechtsstandards inkompatibel sind.
Die Stellungnahme kam vom Menschenrechtskomitee, dem Gremium aus achtzehn unabhängigen Experten, die damit beauftragt wurden, Beschwerden hinsichtlich des Internationalen Pakts über Bürgerliche und Politische Rechte (ICCPR, International Covenant on Civil and Political Rights), das Menschenrechtsabkommen von 1966, das für Meinungsfreiheit und Ausdrucksfreiheit sorgt, sowie für andere fundamentale Rechte zu bewerten. Die Allgemeinen Kommentare des Komitees verkörpern verbindliche Interpretationen der Vorschriften des ICCPR. Anders als die weit veröffentlichten Resolutionen, die vom Menschenrechtsrat und der Generalversammlung produziert werden, sind die Vorschriften des ICCPR für seine über 165 Mitglieder juristisch bindend.
Die detaillierte Stellungnahme (General Comment No. 34), die 52 Paragraphen umfasst, ist das Ergebnis von zwei Jahre dauernden intensiven Debatten unter den Repräsentanten der Regierungen und Bürgerrechtsorganisationen. Der vorherige Kommentar des Komitees bezüglich freier Meinungsäußerung von 1983 umfasste lediglich vier Paragraphen. Zusätzlich zur Aufnahme von Dingen wie Verrat, Diffamierung von Staatsoberhäuptern, „Erinnerungsgesetzen“, die eine offizielle Geschichtsversion in Kraft setzen und Bloggerrechten. Der Kommentar 34 staucht religiöse Redebeschränkungen zusammen. Nicht nur, indem geltend gemacht wird, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung eine Grundlage einer freien und demokratischen Gesellschaft ist, wie auch in Bezug auf den Schutz und die Förderung anderer Rechte. Es bezieht sich auch explizit auf die Werte der Gewissensfreiheit und Gleichberechtigung vor dem Gesetz.
Laut Paragraph 48 „sind Verbote von Darstellungen mangelnden Respekts vor einer Religion oder anderen Glaubenssystemen, einschließlich Blasphemiegesetzen, mit dem Vertrag inkompatibel, außer in den bestimmten Umständen, wie sie in Artikel 20, Absatz 2 des Vertrags vorausgesehen sind.“ Der Artikel 20, Absatz 2 ruft Staaten dazu auf, Folgendes zu verbieten: „Die Verfechtung nationalen, rassistischen oder religiösen Hasses, welche zur Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt anstiftet.“ Der Kommentar verlangt mit Bedacht, dass keine Restriktion die Garantien des Abkommens auf Gleichberechtigung vor dem Gesetz (Artikel 26) und der Freiheit des Denkens, des Gewissens und der Religion (Artikel 18) verletzen darf.
Auf diese Weise wäre es für ein solches Gesetz unzulässig, zugunsten oder zuungunsten einer oder bestimmter Religionen oder Weltanschauungssysteme oder deren Anhänger untereinander oder religiösen Gläubigen oder nicht Gläubigen zu diskriminieren. Auch wäre es nicht zulässig, dass solche Verbote benutzt würden, um Kritik an religiösen Führern oder Kommentare zu religiösen Doktrinen und Glaubensdogmen zu verhindern oder zu bestrafen.
Gesetze gegen Blasphemie oder „religiöse Beleidigung“ (die weltweit gefunden werden, einschließlich bei der Hälfte der Mitgliedsstaaten des Europarats) sind grundsätzlich diskriminierend gegenüber Säkularisten und religiösen Abweichlern. Sie diskriminieren, indem Säkularisten keine juristische Zuflucht haben – noch haben sollten -, wenn die Worte von Gläubigen ihre moralischen Gefühle beleidigen, noch können Schwule die Herausgeber des Leviticus wegen des spirituellen Affronts ihnen gegenüber, den es sicherlich darstellt, vor Gericht bringen. Zweifler und andere heterodoxe Gläubige haben andererseits einen Artikel 18, der ihnen das Recht gibt, gemäß ihrem Gewissen zu leben und reden, selbst wenn das die Orthodoxen beleidigt.
Der Paragraph 32 des neuen Kommentars warnt Staaten davor, eine enge Auffassung so genannter öffentlicher Moral anzuwenden, um Redefreiheit einzuschränken, und schließt Gesetze effektiv aus, die sich auf eine bestimmte Glaubenstradition beziehen: „Das Konzept der Moral entstammt vielen sozialen, philosophischen und religiösen Traditionen; in der Konsequenz müssen Beschränkungen [...] zum Zwecke des Schutzes der Moral auf Prinzipien basieren, die nicht ausschließlich aus einer einzigen Tradition abgeleitet werden.“
Diese Empfehlungen implizieren, dass Kontroversen bezüglich Blasphemie nicht nur Konflikte zwischen „Redefreiheit“ und Glauben darstellen, sondern Zusammenstöße zwischen konkurrierenden Gewissensansprüchen. Diese Haltung wird auch von der International Humanist and Ethical Union verteidigt.
Die Botschaft des Allgemeinen Kommentars Nr. 34 ist nicht nur eine klare Verurteilung der Blasphemiegesetze in Ländern wie Pakistan, welches, obwohl es den ICCPR 2008 ratifiziert hat, weiterhin für Blasphemie und das „Beschmutzen“ des Namens des Propheten Mohammed die Todesstrafe verhängt. Der Kommentar weist ebenfalls die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg zurück, welches österreichische, britische und türkische Gesetze gegen Blasphemie und religiöse Beleidigung stützt, indem es ein sui generis (einzigartiges) Recht auf „Respekt vor den religiösen Gefühlen Gläubiger“ heraufbeschwört.
Die bedeutendste Enttäuschung des Kommentars besteht in meinen Augen im Fehlen des Bezugs auf Volksverhetzungsgesetze, welche in vielen Ländern als faktische Beschränkungen von Blasphemie und Sakrileg fungieren. Theoretisch können wir einen Unterschied darin machen, einen Glauben zu prügeln oder seine Anhänger zu prügeln. Jedoch könnte „Verfechtung religiösen Hasses“ ohne einen präzisen internationalen Maßstab alles bedeuten, von der Provokation drohender Gewalt gegen Individuen bis zum effektiv nicht nachprüfbaren Standard, durch religiöse Feindseligkeit motiviert zu sein, wie unter dem Crime and Disorder Act Großbritanniens 1998. Urteile gegen Autoren und Aktivisten wie Paul Giniewski in Frankreich, Lars Hedegaard in Dänemark und Elisabeth Sabaditsch-Wolff in Österreich zeigen, dass Volksverhetzungsgesetze auch in liberalen Demokratien reif für Missbrauch sind.
Bürgergesellschaftsaktivisten haben nun endlich die juristische Befugnis der Vereinten Nationen an ihrer Seite, wenn sie auf Regierungen Druck ausüben, ihre Verpflichtungen, die sich aus den Abkommen ergeben, einzuhalten und der Kriminalisierung von Blasphemie ein Ende zu setzen.
Austin Dacey
Übersetzung: Fiona Lorenz
Austin Dacey ist Repräsentant bei der UN für die IHEU und Autor von The Secular Conscience: Why Belief Belongs in Public Life („Das Säkulare Gewissen: Warum der Glaube in das Öffentliche Leben gehört“) und The Future of Blasphemy: Speaking of the Sacred in an Age of Human Rights(in Kürze, dt. „Die Zukunft der Blasphemie: Vom Heiligen sprechen in einer Zeit der Menschenrechte“).
Zuerst am 11.8.2011 veröffentlicht auf der Seite von religiondispatches.org