Christen sollen Partei ergreifen

ROSTOCK. (hpd) Am letzten Dienstag gründete sich in Rostock ein Arbeitskreis Christinnen und Christen in der SPD Mecklenburg-Vorpommern. Prominenter Teilnehmer bei einer davor durchgeführten Podiumsdiskussion war Wolfgang Thierse, Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken und Bundestagsvizepräsident. Bei der Gründung wurde ein fünfköpfiger Sprecherkreis gewählt.

Rund zwei Dutzend Genossinnen und Genossen nahmen an der Veranstaltung teil. Der künftige Arbeitskreis der Christinnen und Christen in der SPD Mecklenburg-Vorpommern soll unter anderem dazu dienen, in regelmäßigen Abständen über aktuelle politische Entwicklungen auf Grundlage des christlichen Glaubens zu diskutieren, hieß es. Mit dem neu gegründeten Arbeitskreis in der SPD Mecklenburg-Vorpommern fehlt nun lediglich in Rheinland-Pfalz eine landesparteiliche Vereinigung des Arbeitskreises Christinnen und Christen in der SPD. Ein weiterer Arbeitskreis „Kirche und SPD“ in Bayern wurde am 23. Juli vom Landesvorstand der BayernSPD anerkannt.

Die Initiative zur Gründung des SPD-Arbeitskreises war von Christopher Denda, Student an der Universität Greifswald und derzeitiger Wahlkampfleiter der Landtagskandidatin Katharina Feike, ausgegangen, hieß es. Denda wurde am Dienstag in Rostock auch in den fünfköpfigen Sprecherkreis gewählt, dem nun außerdem noch Gottfried Timm, Kira Ludwig, Katrin Oxen und Christian Fehlandt angehören.

Thema der rund zwei Stunden langen Podiumsdiskussion im Vorfeld der Gründung war die Frage: „Welchen Einfluss hatte das Christentum auf die (Wieder-)Gründung der Sozialdemokratie 1989?“ Neben Wolfgang Thierse, letzter Vorsitzender der in den letzten Jahren der DDR gegründeten SDP, waren Arndt Noack, Pfarrer im Ruhestand und Gründungsmitglied der SDP in Schwante sowie Johannes Kwaschik, ebenfalls Pfarrer im Ruhestand und Schweriner Oberbürgermeister von 1990 bis 2002, die Gäste der Podiumsdiskussion.

Über die Kontakte zwischen der oppositionellen Sozialdemokratie und christlichen Gläubigen in der DDR wurde gesagt, dass kritische Menschen während der DDR-Zeit „eigentlich nur bei der Kirche landen konnten“. Diese seien wie auch die theologischen Fakultäten „Orte der Freiheit“ gewesen, um ohne Restriktionen und Vorgaben denken und arbeiten zu können. Vor und während der Wendezeit waren daher auch „sehr viele Christen“ an der friedlichen Revolution beteiligt. „Gewissensfreiheit wächst aus der Glaubensfreiheit“, hieß es zur Erklärung. Denn letztere gebe die „die Freiheit, sich nicht ständig vor sich selbst rechtfertigen zu müssen.“

Die besondere Rolle christlicher Gläubiger vor und in der Umbruchphase wurde am Beispiel von Dialogveranstaltungen aufgezeigt, wo Pfarrer oft als Moderatoren tätig waren. Auch gaben häufig nur die Kirchen in der DDR den Raum zur Planung und Gründung systemkritischer Organisationen, denn reformorientierte Bündnisse waren an vielen anderen Orten nicht erwünscht.

Jesus: Sozialdemokrat

Die Vereinbarkeit des christlichen Glaubens und sozialdemokratischer Politik wurde ebenfalls betont. „Wenn Jesus heute leben würde, wäre er wohl kaum in einer Partei“, so einer der früheren Pfarrer. „Aber wenn doch, dann wäre er Sozialdemokrat.“ Denn Werte wie Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit fänden sich direkt im Neuen Testament. Deren Einflüsse hätten sich auch auf international bedeutende Prozessen ausgewirkt. So basierten die KSZE und die Ideen der gemeinsamen Sicherheit „direkt auf der Bergpredigt“.

Aufgrund dieser historischen Hintergründe, so führte dann Wolfang Thierse aus, habe die SPD in den neuen Bundesländern bis heute das „Image einer Pastorenpartei“. Auch er betonte, dass die Kirchen zur Zeit der DDR „relative Freiheit in einem Raum der Unfreiheit“ geboten hätten. Nur dort habe Demokratie erlernt werden können, so Thierse.

Im DDR-Sozialismus hingegen waren Glaube und Religion „bestenfalls Privatsache“, welche nach dem Willen der Machthaber „möglichst schnell aussterben“ sollte. Thierse nannte es eine „Pointe der Geschichte“, dass schließlich Pastoren und „ganz stark die Christen“ zur Überwindung der DDR beigetragen haben.

Die antiklerikale Prägung der Arbeiterbewegung und Sozialdemokratie vor Verabschiedung des Godesberger Programms bezeichnete er als „Notwendigkeit gegenüber einem damaligen System der Herrschaft“. Doch erst mit dem Godesberger Programm, das ein „neues, entspanntes Verhältnis zu den Kirchen“ begründete, konnte die SPD zur Volkspartei werden. Er verwies auf eine Parteienstudie von 2009, nach der fast drei Viertel der SPD-Mitglieder heute zu einer Religionsgemeinschaft gehören. Die SPD dürfe daher die 1959 eingeführten Grundsätze nicht wieder in Frage stellen lassen. Und der christliche Glaube motiviere zudem „ganz stark zu sozialpolitischem Engagement“, so Thierse.

SPD: Wurzeln

Er zitierte aus dem aktuellen Grundsatzprogramm der Partei und betonte gegenüber den Zuhörern, die Reihenfolge der dortigen Aufzählung über die Wurzeln der SPD zu beachten: „In ihr arbeiten Frauen und Männer unterschiedlicher Herkunft, verschiedener religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zusammen. Sie verstehen sich seit dem Godesberger Programm von 1959 als linke Volkspartei, die ihre Wurzeln in Judentum und Christentum, Humanismus und Aufklärung, marxistischer Gesellschaftsanalyse und den Erfahrungen der Arbeiterbewegung hat.“
Die Christinnen und Christen in der SPD wären heute kein verlängerter Arm der Kirche, so Thierse weiter, sondern ein „Transmissionsriemen“ welcher christliche Überzeugungen in „Programmatik und Pragmatik“ übersetzen würde. Der christliche Glaube sei „auch Voraussetzung dafür, dass wir Freiheit und Gerechtigkeit richtig gebrauchen“, erklärt er und fragte, wer denn dafür sorgt, dass „Solidarität im Bewusstsein und im Gedächtnis bleibt?“

Es seien die Christen und die Kirchen, welche diese Werte vital halten, da diese sich von ihren Grundüberzeugungen ableiten und sie sich einer entsprechenden Pflege verschrieben haben. Thierse verwies anschließend auf den Satz des Staatsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“

Christinnen und Christen in der SPD müssten sich heute wieder stärker die Frage stellen, welche Vorstellungen vom Menschen die Gesellschaft hat und ihre Positionen stärker einbringen. „Denn ich hoffe, wir sind uns mit den Kirchen dauerhaft einig, dass wir mehr sind als der Markt es will“, kritisierte Wolfgang Thierse das die heutige Lebenswirklichkeit dominierende Bild vom „homo oeconomicus“. Es gelte daher, die Grundüberzeugungen wachzuhalten, von denen Sozialdemokratie lebt. Dazu brauche man die Christinnen und Christen in der SPD, so Thierse. Diese sollten für ihre Überzeugungen und die Sozialdemokratie Partei ergreifen und helfen, „die Fühler in die Gesellschaft auszustrecken.“

Laizisten: säkularistisch

Er ging auch auf den von den SPD-Laizisten aufgestellten Forderungskatalog ein. Der Zusammenschluss der laizistischen Parteigenossinnen und Genossen werde „systematisch von der Giordano Bruno Stiftung vorangetrieben“, sagte Thierse. Die einstimmige Ablehnung eines entsprechenden Arbeitskreises vom Bundesvorstand im Mai 2011 sei „aus gewichtigen Gründen“ erfolgt. Die Laizisten würden ihre Motive verstecken, sagte Thierse. Er zitierte dann die formulierten Forderungen. Mit diesen werde eine „fundamentale Änderung der SPD und des Grundgesetzes“ gefordert, so Thierse. Doch der Staat des Grundgesetzes sei zwar ein säkularer Staat, jedoch kein säkularistischer Staat. Und es spreche für sich, dass der Bundestagsabgeordnete Rolf Schwanitz „ausgerechnet dem ND“ ein kritisches Interview über den Auftritt von Benedikt XVI. im Deutschen Bundestag gegeben hatte.

In Zukunft müsse man über Themen wie Staatsleistungen „aufklären und informieren“, meint Thierse weiter. Auch der Sonntagsschutz müsse noch stärker ein Anliegen werden. Bei der Frage, ob sich der Arbeitskreis als Kampfverband verstünde, erklärte er, dass das „überhaupt nicht der Fall“ wäre. Thierse habe eher den Eindruck, dass die SPD-Laizisten sich so sehen würden. Doch wenn die SPD heute noch ihre antiklerikale Prägung von vor 1959 hätte, „dann wäre die Mitgliederzahl um 75 Prozent niedriger.“ Die SPD habe sich nun jedoch zur Volkspartei entwickelt, was unter anderem durch den „pluralistischen Zusammenhalt mit einem Programm für die ganze Bevölkerung“ deutlich werde.

Arik Platzek