Pfarrische Kandidatensuche

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Schloss Bellevue / Foto: Steuermann (pixekio)

BERLIN. (hpd) Auch wenn die Zeit von dreißig Tagen knapp ist, um KandidatInnen für das Amt des Bundespräsidenten zu suchen und zu benennen, erste Vorschläge/Entscheidungen sind derart indiskutabel, dass einem Säkularen sehr bewusst wird, welch Absonderliches derzeit stattfindet.

Ein Zwischenruf von Horst Herrmann

Hätte es noch eines Beweises dafür bedurft, dass Deutschland ein "christliches" Land ist, in dem Nichtchristen, angefangen von den Muslimen bis hin zu den Atheisten, falls es darauf ankommt, nichts zu sagen haben, so wäre er in diesen unwürdigen Tagen der Suche nach einem Nachfolger für Wulff erbracht worden. Im Ernst: Gauck, Huber, Schorlemmer, Göring-Eckardt, Käßmann, alles Leute, die einen pfäffischen Beigeschmack haben - und nicht nur einen Beigeschmack. Und die sollen uns alle "überparteilich" vertreten? Ich weiß nicht, wie es anderen geht: Von solchen Leuten fühle ich mich nicht vertreten - und werde nie vertreten sein.

Ich bin gespannt auf die Reden eines solchen Staatsoberhaupts. Wie ich es aus Erfahrung kenne, wird die staatstragende Rede immer auch eine mehr oder weniger verbrämte kirchen- und religionstragende Rede sein. "Partnerschaft zwischen Kirche und Staat" heißt das. Trennung von Kirche und Staat? Die sieht zwar unsere Verfassung vor, aber ein Bundespräsident darf ihre Defizite offenbar nicht einmal beherzt genug ansprechen.

In keinem anderen europäischen Land ist es vorstellbar, dass Pfarrer und Bischöfe zu Staatsoberhäuptern avancieren. Deutschland kann sich eine solche Torheit offensichtlich leisten, und niemand von den parteipolitisch ausgerichteten Kandidatensucherinnen und Kandidatensuchern hat etwas dagegen einzuwenden. Was für diese Leute zählt, ist allein die Frage, ob ein Kandidat "näher bei der SPD oder der CDU" steht oder nicht.

Trotz aller Anstrengungen, etwa auf das satte Drittel nicht kirchlich gebundener Bundesdeutscher zu verweisen, sind wir wieder auf den Boden der politisch wirklich relevanten Tatsachen zurück geworfen: Deutschland bleibt nun mal auf Jahrzehnte hinaus ein Nation, in der Berufschristen unwidersprochen als honorige Anwärter auf das höchste Staatsamt gelten dürfen. Und wer nicht pfäffisch reagiert, soll sehen, wo er bleibt. Wie gesagt, einmalig in ganz Europa. Italien, Frankreich, Spanien, Portugal, Irland, Griechenland, also Länder, denen Deutschland gerade in diesen Tagen Anweisungen erteilt, kämen jedenfalls nicht entfernt auf die Idee, auf Berufschristen auszuweichen.

Wohin ist dieses Land gekommen? Kein Heinrich Böll mehr als Gewissen der Nation, kein Walter Jens als Rhetor, kein Schriftsteller, der es uns ersparte, auf Pfarrer zurückgreifen zu müssen.

Und jetzt haben sie einen ausgeguckt, um den Leuten die Ohren voll zu quatschen. Einen Pfarrer, von dem wir noch kein Wort gegen Nazis gehört haben, einen Gottesmann, der ein neoliberales Verständnis von Freiheit vertritt, der Freiheit als die des Bourgeois deutet. Von sozialer Gleichheit als Bedingung wirklicher Freiheit versteht er nicht viel. Kritik am Kapitalismus findet er "albern". Die Entscheidung zur Begrenzung der Laufzeit von AKWs gefühlsduselig. Doch dem Krieg in Afghanistan hat er die Treue gehalten. Warum auch nicht? Auch dieser Christ ist ein Krieger.

Bald werden sich weitere Gruppen abwenden, wenn auch aus anderen Gründen. Vorbildfunktion eines Präsidenten? Ich sehe das nicht "moralisch", sondern pragmatisch: Wer zieht als First Lady ins Schloss? Seine Ehefrau, von der er sich nicht hat scheiden lassen? Seine Geliebte? Die "wahren Christen" werden ihm derlei nicht verzeihen, dem Herrn Pfarrer.