„Da ist wirklich Zorn und Sorge angesagt“

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Frieder Otto Wolf / Foto: Arik Platzek

BERLIN. (hpd) Die von der FDP forcierte und letztlich fast einmütige Entscheidung in den  Bundestagsfraktionen, Joachim Gauck als Bundespräsidenten zu wählen, stößt bei säkularen und humanistischen Organisationen derzeit auf teils starke Kritik.

Frieder Otto Wolf, Vorsitzender des Koordinierungsrates säkularer Organisationen und Präsident des HVD, sprach im Interview über die Frage, ob und wie sich aus seiner Sicht eine humanistische und säkulare politische Praxis tatsächlich durchsetzen ließe.

 

hpd: Hier und da kam immer wieder einmal die Frage auf, ob oder warum Humanistinnen und Humanisten eine eigene Partei gründen müssten. Schaut man derzeit auf die Debatte um die Wulff-Nachfolge, liegt die Idee wieder nah. Ist das aus Ihrer Sicht eine Sache, die notwendig erscheinen sollte?

Prof. Frieder Otto Wolf: Ich neige dazu zu sagen, das beruht auf einem Missverständnis darüber, was eine Partei ist. Eine Partei ist in einem viel höheren Grade eine Institution als eine Organisation und von daher kann man Parteien nicht so einfach gründen. Zum anderen überschätzen diese Ideen den Humanismus. Denn Humanismus ist nicht mit einer konkreten Analyse darüber verbunden, wie unsere Gesellschaft funktioniert. Aber wenn man Politik machen will, braucht man konkrete Vorstellungen darüber, ob unsere Gesellschaft eine Marktgesellschaft, eine kapitalistische Gesellschaft oder eine patriarchalische Gesellschaft ist. Das kann der Humanismus nicht entscheiden.

 

hpd: In Deutschland gibt es jedenfalls seit Anfang an zwei relevante Parteien, die weltanschaulich klar gebunden und damit wohl auch erfolgreich sind: CDU und CSU. Wird das in der Zukunft ein Problem für diese zwei Parteien werden oder bleibt es ein gutes Konzept?

Wolf: Das Problem würde ich anders herum sehen. Es gibt mehrere Parteien, in denen die Festlegung auf eine christliche Religion nicht für das Selbstverständnis konstitutiv ist. Ich denke, das gilt sowohl für die Grünen als auch für die Sozialdemokratie, wie auch für die Linken und die Liberalen – und erst recht etwa für die Piraten. Man kann natürlich den Vorschlag machen, eine humanistische Partei zu gründen. Dann muss man aber begründen, warum das, was Humanistinnen und Humanisten als Gemeinsames vertreten, in keiner dieser vielen Parteien vertreten sein kann. Wenn das der Fall wäre, dann gäbe es hinreichende Gründe, diese schwierige Aufgabe in Angriff zu nehmen. Aber ich glaube, das ist nicht der Fall. Sondern das, was Humanisten als Minima vertreten, kann in diesen Parteien vertreten sein und wird dort vertreten. Wobei man durchaus sagen kann, dass Humanismus in politischer Hinsicht eine Links-Mitte-Veranstaltung ist und das gemeinsam Artikulierte von der liberalen Mitte bis zu radikalen Sozialisten vertreten wird.

 

hpd: Augenscheinlich gibt es hier aber schon erhebliche Differenzen über die Frage richtiger – humanistischer – Politik.

Wolf: Die Differenz bezieht sich hier nicht darauf, ob menschenwürdige Zustände herbeigeführt werden sollen, sondern darauf, wie man das machen kann. Für mich ist es aber grundsätzlich auch eine wissenschaftliche und keine weltanschauliche Frage. Und natürlich auch eine politische Frage, wenn ein bestimmter wissenschaftlicher Rahmen von den verschiedenen Parteien als gültig unterstellt wird.

 

hpd: Die Idee einer eigenen Partei kam auch daher immer wieder auf, dass Anhänger von FDP, SPD oder Grünen meinten, dass das, was sie unter humanistischer und säkularer Politik verstehen, so schnell in den vorhandene Parteien nicht realisiert werden kann. Etwa wegen Mängeln in der politischen Praxis in den Parteien, weil die in den Parteien vorhandenen konfessionell-religiösen Gruppen sich organisiert und über die Jahre in ihrem Interesse die eigenen Anliegen vorangetrieben haben. Und so kamen oder kommen eigentliche SPD- oder FDP-Anhänger vielleicht zu dem Schluss, sich demgegenüber voraussichtlich nicht durchsetzen zu können.

Wolf: Das ist natürlich eine Frage der faktischen Einschätzung, aber die Einschätzung teile ich nicht. Wenn die Humanistinnen und Humanisten in diesen unterschiedlichen Parteien es hinkriegen würden, sich vernünftig zu organisieren, dann hätten sie überall eine Mehrheit. Die christlichen Gruppen sind in all den Parteien außerhalb von CDU und CSU die Minderheiten und ich glaube auch nicht, dass man behaupten kann, diese Parteien seien überwiegend konfessionell gebunden ausgerichtet.

 

hpd: Nach der letzten Bundestagswahl bildete sich auch ein Kreis von Christinnen und Christen unter den Bundestagsabgeordneten in der FDP, dem sich laut dem zuständigen Koordinator knapp die Hälfte der Fraktion angeschlossen hat. Und die FDP war es auch, die jetzt mit ihrer Position den Pfarrer Gauck gegenüber der angeblichen Skepsis in CDU/CSU durchgebracht haben soll.

Wolf: Ich wollte nicht sagen, dass es im parlamentarischen Raum sehr kleine Minderheiten sind. Aber ich würde schon sagen, insgesamt sind es Minderheiten. Das war inzwischen mehrfach zu besichtigen, wie klerikalistische und rechristianisierende Positionen in Gewissensfragen im Bundestag gescheitert sind – wie etwa in der Frage der Patientenverfügung. Und bei der FDP hat es offenbar Umstrukturierungen gegeben, was man auch an der gegenwärtigen politischen Karriere der Partei sieht, wo die Basis nicht mehr wirklich mit der früheren Wählerschaft korrespondiert. In den Umfragen sehe ich aktuell nur noch den Apparat und seinen Anhang, der sich da mit Stimmen widerspiegelt.

 

hpd: Kann das auch ein Ergebnis des Wirkens der zahlreichen Initiativen sein, die sich außerparlamentarisch und außerhalb des traditionellen parteipolitischen Rahmens gebildet haben und aktiv geworden sind, in der Öffentlichkeit und in den Medien wie auch dem Internet?

Wolf: Die neuen Formen der Politik in der ersten Person haben ganz viel – wenn man das so sagen will – spontanes und auch radikal-liberales Potential aktiviert und da hat die FDP keine Schnittmengen mehr. Auch besser gestellte und besser gebildete junge Menschen engagieren sich dort unter freiheitlichen Gesichtspunkten und gehen nicht mehr zur FDP. Früher gingen sie wohl zu den Grünen, die auch anders Politik machen wollten, inzwischen gehen sie zu den Piraten, wenn sie sich überhaupt an parlamentarischer Politik beteiligen wollen und nicht direkt zur Occupy-Bewegung stoßen. Auch wir organisierten Konfessionsfreien haben glaube ich noch Nachholbedarf, um für junge Menschen attraktiv zu werden, die zwar politisiert sind, aber nicht von traditioneller Parteipolitik angesprochen werden.

 

hpd: Hat da also ein Umdenken stattgefunden und findet da noch ein Umdenken statt?

Wolf: Es gibt zwei Dinge, die wir unterscheiden sollten. Zum einen ist da das Versprechen des Neoliberalismus, Freiheit und Wohlstand miteinander zu verbinden, nicht gehalten worden. Das hatte aber sicherlich in den 90er Jahren und um die Jahrtausendwende herum viele Menschen fasziniert. Die sind jetzt mit Recht enttäuscht. Und zum anderen sind die ursprünglichen liberalen Anliegen – gegen sexuelle Diskriminierung oder für Säkularität – anderswo mindestens genauso und zum Teil besser zu finden. Hier sind immer noch die Grünen wichtig, aber auch die großstädtischen und jüngeren Linken. Und selbstverständlich wiederum die Piraten – und eben die nicht-parlamentarisch-parteipolitischen Bewegungen.

 

hpd: Und nun mit Blick auf einen aktuellen Anlass: Wo ließen sich jetzt in Zukunft „ursprünglich liberale Anliegen“ wie Säkularität denn wirklich realisieren, nachdem – wahlweise oder gemeinsam – SPD und Grüne, FDP oder auch CDU/CSU statt einer Frau ohne den traditionell festen Stand in der christlichen Religion uns den liberal-konservativen Pfarrer Joachim Gauck, aufgewachsen in der DDR, als künftiges Staatsoberhaupt beschert haben? Es ist nicht die erste Entscheidung mit symbolischer Wirkung, in der die Parteien auf Bundesebene sich ganz breit pro-kirchlich positionierten. Ich denke da auch an die Reaktionen auf die Einladung Benedikts XVI. in den Deutschen Bundestag.

Wolf: Da ist wirklich Zorn und Sorge angesagt. Zorn über die Anmaßung, mit der auch Joachim Gauck die Berliner Mores hat lehren wollen, indem er die völlig realitätsfremde Initiative ProReli unterstützte, und Sorge über Politiker, die glauben, religiös werden oder ihre Religiosität offensiver vorzeigen zu müssen – obwohl unsere Gesellschaft wirklich immer säkularer wird. Das macht mir wirklich Sorgen – nicht nur, weil daraus erkennbar wird, dass sie den Kontakt zu der Mehrheit der Menschen verloren haben, sondern vor allem, weil ich darin eine Haltung sehe, die in Zukunft harsche Zumutungen, wie sie in Deutschland mit Hartz IV und Niedriglöhnen durchgesetzt worden sind und gegenwärtig dem griechischen Volk aufgezwungen werden, nur noch unter Berufung auf Schuld und Sühne und eine verdinglichte Transzendenz glauben „durchhalten“ zu können.…

 

hpd: Und welche Erwartungen haben Sie selbst gegenüber Joachim Gauck, sollte er schließlich gewählt werden?

Wolf: Dass er zumindest den Mut zur Zurückhaltung und die Klugheit aufbringt, auch in klaren Positionen zu differenzieren und Andersdenkende zumindest zu respektieren. Denn ich fürchte, unsereiner wird oft zu den Andersdenkenden gehören. Ich habe allerdings auch das dumpfe Gefühl, dass Gauck fast alle enttäuschen wird, die ihn jetzt aufgestellt haben: Eine traditionelle bildungsbürgerlich-kulturprotestantische Persönlichkeit wie er kann den großen Krisen und Fragen unserer Zeit immer wieder nur eine stramme Haltung und die Leugnung der Probleme entgegenbringen – und eben deswegen werden ihn Politikerinnen und Politiker wählen, die selber diese Probleme nicht angehen wollen und nur noch an die Notwendigkeit glauben, die „unverschämten Massen“, wie sie sie überall am Werk sehen, von Staats wegen zu unterdrücken.

 

hpd: Weshalb wäre ein vermeintlich Linksliberaler und Konservativer wie Gauck eine maßgebliche Person in der deutschen und europäischen Öffentlichkeit?

Wolf: Dort kann eine autoritäre Religiosität – ich denke immer noch, dass es auch andere gibt, etwa in den lateinamerikanischen Basisgemeinden – nur allzu gut zupasskommen!

 

hpd: Joachim Gauck wird auch ein deutscher Präsident in den globalen Krisen – der Krise der Religion, des Kapitalismus, des Westens – werden. Kann ein konservativer Pfarrer, dessen Leben in der DDR geprägt wurde, hier wirklich angstbefreit und aktuell agieren?

Wolf: Ich kann nur hoffen, dass sich Herr Gauck nicht zu der Rolle hinreißen lässt, einen autoritären „Ruck“ zu „segnen“, der durch Deutschland gehen soll, sobald klar werden wird, dass wir keineswegs die Krise hinter uns gelassen haben. Aber das könnte der großkoalitionäre Konsens werden, den er ab jetzt zu verkörpern beginnt.

 

hpd: Herr Professor Wolf, vielen Dank für das Interview!

Die Fragen stellte Arik Platzek.