„Schöpfungslehre ist Volksverdummung“

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Prof. Gerhard Vollmer / Foto © Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Vom 18. bis zum 20. Mai 2012 treffen sich Skeptiker und andere Freunde des kritischen Denkens aus der ganzen Welt zum 6. Weltskeptikerkongress in Berlin. Im Interview mit dem hpd spricht der Physiker und Philosoph Gerhard Vollmer, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der GWUP, über die Bedeutung des Mottos und der Themen des Kongresses.

hpd: Das Kongress-Motto spricht von einem „Zeitalter der Unsicherheit“. Warum soll gerade skeptisches Denken brauchbare Lösungen gegenüber den vielfältigen Unsicherheiten bieten? Wirft konsequenter Skeptizismus nicht stets noch mehr Fragen auf, statt sicheres Wissen und beste Handlungsoptionen zu liefern?

Prof. Gerhard Vollmer: Sicheres Wissen oder garantiert richtige Handlungen gibt es nicht. Wer sich hingegen naiv oder grob fahrlässig auf vermeintliche Sicherheiten verlässt, wird leicht enttäuscht. Wer das nicht tut, rechnet mit Irrtümern und Fehlern bei sich und bei anderen; er macht sich und anderen weniger Vorwürfe. So wird er weniger enttäuscht und ist eher bereit und in der Lage, aus Fehlern zu lernen. Der normale Skeptiker ist kein Nihilist und kein Agnostiker. Er hält Wissen für erreichbar, aber nicht für garantiert. Allerdings gilt dabei auch Michael Shermers Feststellung: Es ist einfach zu anstrengend, immer kritisch zu denken.

hpd: Skeptiker müssen sich also mehr bemühen, haben aber auch diverse Vorteile. Was sind denn aus Ihrer Sicht zentrale Ursachen der Unsicherheit in unserem Zeitalter, von denen das Kongress-Motto spricht?

Vollmer: Da gibt es mehrere. Zum einen hegte man früher unberechtigtes, aber beruhigendes Vertrauen in den Herrscher, den Arzt, den Pfarrer, die Bibel, Gott. Dieses blinde Vertrauen ist weitgehend verlorengegangen. Des Weiteren erfahren wir durch weltweite Vernetzung viel mehr über Gefahren, Unfälle und Katastrophen in der Welt. Das schürt Ängste. Zudem gilt: Je mehr man hat, desto mehr kann man verlieren und desto mehr verlangt man nach Sicherheit – die es nicht gibt. Deshalb werden ältere Menschen, die einiges zu verlieren haben, immer konservativer. Dazu passt, dass die Deutschen alle möglichen Arten von Versicherungen abschließen: gegen zu schnelles Ansteigen der Benzinpreise, gegen Falschtanken – Benzin statt Diesel –, Funkstille beim Handy, väterliche Ohnmacht im Kreißsaal, Steckenbleiben im Lift, Abstieg des geliebten Fußballvereins. Man möchte die verlorene Sicherheit durch Versicherungen zurückgewinnen.

hpd: Das Thema Kreationismus steht im Mittelpunkt vieler Beiträge auf dem Kongress. Warum?

Vollmer: Der Einfluss des Kreationismus nimmt leider nicht ab, sondern zu. Und er ist schädlich: Er arbeitet gegen die Aufklärung, die wir immer noch, immer wieder, wohl auf immer nötig haben. Also müssen wir tun, was wir können. Und nicht viele Menschen kennen den Unterschied zwischen Kreationismus, Intelligent Design und der kirchlich-religiösen Doktrin. Wer die Bibel für Gottes Wort hält, fällt kreationistischem Gedankengut leicht zum Opfer. Da sind sogar die Großkirchen schon weiter.

hpd: Gläubige meinen hier, die Evolutionstheorie sei wegen noch ungeklärter Fragen nicht besser als diverse kreationistische Schöpfungslehren, und sie fordern, dass sich Kinder und Jugendliche anhand von Nebeneinanderstellungen selbst eine Meinung bilden sollten.

Vollmer: Die raffinierte, geradezu perfide angebliche Gleichberechtigung und deshalb geforderte Gleichstellung von Evolutionstheorie und Kreationismus ist nicht so leicht zu durchschauen. Dem Laien kann man vorgaukeln, es handle sich um zwei konkurrierende Theorien zur Erklärung der Lebenserscheinungen. Für den wissenschaftlich gebildeten Menschen ist es dagegen ganz einfach: Die Evolutionstheorie ist im Wesentlichen richtig, der Kreationismus ist im Wesentlichen falsch! Was richtig und was falsch ist, kann man allerdings nicht der Bibel entnehmen.

hpd: Genau das Gegenteil behaupten führende Politiker aller Parteien in Deutschland und finden für ihre Aussagen stets dankbare Abnehmer in fast allen Medien.

Vollmer: Zu sagen: „Ich weiß es nicht; ich werde aber versuchen, mich kundig zu machen, und bis dahin den Mund halten“ fällt leider sehr schwer. Viele Politiker meinen, zu allen Fragen Stellung beziehen zu müssen und auch beziehen zu können. Leider müssen wir uns in solchen Fällen sagen, dass wir die falschen Politiker gewählt haben, und daran sind wir im Grunde selbst schuld. Beim nächsten Mal sollten wir versuchen, es besser zu machen.

hpd: Kreationismus und Intelligent Design werden ja nicht nur von christlichen Fundamentalisten als ernstzunehmende Erklärungsmodelle beworben, sondern spielen Berichten zufolge wohl auch in muslimischen Communities eine erhebliche Rolle. Weshalb finden die Ideen dort ebenfalls einen Nährboden, obwohl doch der Koran keine ausgewiesene Schöpfungslegende enthält?

Vollmer: Zum einen sind für den Islam auch Altes und Neues Testament heilige Schriften, sind auch Moses, Jesaia, Jesus hörenswerte Propheten – allerdings ist Jesus nicht Gottes Sohn und Mohammed natürlich auch nicht. Zum anderen erscheint ein Gott, der ALLES gemacht hat und erhält, mächtiger und fürsorglicher als einer, der nur die Welt geschaffen hat und sie dann sich selbst überlässt. Der Theologe Teilhard de Chardin meint dazu: Gott macht, dass die Dinge sich selber machen. Ich halte diese göttliche Tätigkeit zwar für überflüssig; aber sie lässt wenigstens die Evolutionsbiologie unangetastet.

hpd: Was ist für die Gläubigen so attraktiv an den Vorstellungen, obwohl der Götterglaube doch meist mit zahlreichen Pflichten und Einschränkungen – also teils erheblichen Kosten – daherkommt?

Vollmer: Das Festhalten an 6.000 Jahren Welt- und Menschheitsgeschichte macht uns wichtig: Wir sind so alt wie die Welt, haben so gut wie alles miterlebt und vieles davon sogar aufgeschrieben! Die Entdeckung einer Milliarden Jahre langen Evolution – Stephen Jay Gould spricht von der Entdeckung der Tiefenzeit – macht uns kleiner, unbedeutender. Sie ist eine der zahlreichen Kränkungen, die wir durch die Wissenschaft erlitten haben.

hpd: In Großbritannien wurde kürzlich festgelegt, dass Schulen in freier Trägerschaft die Finanzierung entzogen werden soll, wenn sie Schöpfungslehren im Biologieunterricht verbreiten. Brauchen wir auch in Deutschland ein Gesetz, das die Evolutionstheorie normativ protegiert?

Vollmer: Die Evolutionstheorie ist nach allen üblichen Kriterien eine solide naturwissenschaftliche Theorie mit großer Tragweite, die beste, die wir zur Erklärung der Lebenserscheinungen überhaupt haben. Man kann sie kritisch prüfen, ergänzen, verbessern. Die Schöpfungslehre ist keine Wissenschaft, sondern nach allen üblichen und bewährten Kriterien falsch, geradezu Humbug und Volksverdummung. Sie darf auf keinen Fall an Schulen oder Hochschulen gelehrt, also als ernsthaft erwägenswert oder gar als wahr hingestellt werden. Es kann aber sehr nützlich sein, sie vorzustellen, um argumentativ zu zeigen, wie viel besser die Evolutionstheorie ist.

hpd: Es gibt allerdings Schulen in Deutschland, in denen das genau anders herum praktiziert wird.

Vollmer: Ich weiß nicht, was in Deutschland mit einer Lehrkraft passiert, die Alchemie statt Chemie oder Astrologie statt Astronomie lehrt, die Erde als Scheibe vorstellt, die Hohlwelttheorie vertritt oder sonst wie gegen den Lehrplan und anerkanntes Wissen verstößt. Deshalb weiß ich auch nicht, ob zur Verhinderung von Schöpfungslehre im Schulunterricht ein Gesetz erforderlich ist. Wenn ja, dann bin ich dafür. Auch im Religionsunterricht sollte die Schöpfungslehre nicht als faktisches Wissen gelehrt werden dürfen.

hpd: Was würden Sie jungen Menschen empfehlen, die sich mit solchen Themen, wie sie auch beim Skeptiker-Kongress im Mittelpunkt stehen, etwas ernsthafter beschäftigen wollen? Muss Wikipedia ausreichen?

Vollmer: Leider gibt es nur wenige Schul- und Lehrbücher, welche die Argumente zugunsten der Evolutionstheorie übersichtlich zusammenstellen. Für den Einstieg empfehle ich Thomas Junkers Buch Die 101 wichtigsten Fragen – Evolution. Unschlagbar gut, aber sehr umfangreich und leider nur englisch, ist The Counter-Creationism Handbook von Mark Isaak.

 

Die Fragen stellte Arik Platzek

Im zweiten Teil des Interviews (auf wissenrockt.de) beantwortet Gerhard Vollmer die Frage, ob die Skeptiker-Bewegung den Auswüchsen der Alternativmedizin allein beikommen kann, warum wir auch in einem Zeitalter der Wissenschaft leben oder wo Skepsis leicht schädlich sein kann.

 

 

Thomas Junker: Die 101 wichtigsten Fragen – Evolution, München: Beck 2011, 160 S., 9,95 Euro

Mark Isaak: The Counter-Creationism Handbook, Berkeley: California University Press 2007, Paperback 330 S.,  20 Euro – Enthält über 400 kreationistische Behauptungen mit Widerlegungen und Literaturangaben.