Endlich vorbei

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Der Tag danach. Fotos: Fiona Lorenz

TRIER. (hpd) Die Piusbrüder waren da, Michel Friedman und Frida Gold auch, und Kindergartenkids wurden von ihren Erzieherinnen hingeführt: zum „Heiligen“ Rock. Der war in Übergröße ausgestellt, einen Monat lang, in der Stadt wimmelte es von Absperrungen, riesigen Zelten, Chormeilen, Kakophonien und „Milljuunen“ kleinen, niedlichen, heiligen Röckchen. Das ist jetzt vorbei. Endlich.

Obgleich dieser maximal 300 m entfernt von der Verfasserin dieser Zeilen ausgestellt war, hatte sie immer wieder andere Prioritäten und hat es nicht geschafft, einen eigenen Blick auf die Reliquie zu erheischen. Aber 550.000 andere Menschen sollen den bekanntermaßen und, vom Trierer Bischof Stephan Ackermann selbst zugegeben, nicht authentischen, da nur ein auf Jesus Christus verweisendes Symbol, „Heiligen“ Rock besichtigt haben. Meist herrschte gähnende Leere vor dem Dom. Nur samstags, da war’s immer voll. Sonntags war es nur ziemlich voll, aber manchmal war sonntags über weite Strecken keiner da oder kaum einer. In der Woche – abgesehen von Schülergruppen und anderen Gruppen – ebenso bzw. sowieso.

Na ja, 550.000 Menschen auf 31 Tage verteilt, machen (aufgerundet) 17.742 Menschen pro Tag. Auf fünf Wochen oder Wochenenden verteilt, wären das rund 110.000 Besucher pro Woche oder Wochenende. Das sind nicht mehr als beim jährlichen Trierer Altstadtfest mit 100.000 bis 120.000 Besuchern an einem Juniwochenende. Es sind weitaus weniger als zur ADAC-Rallye-WM mit regelmäßig über 200.000 Zuschauern, die das Spektakel in Trier jährlich an einem Augustwochenende besuchen.

Die Kirche soll selbst 3,5 Millionen Euro investiert haben in den Spaß (zumindest sah der Bischof vergangenen Freitag so aus, als habe er Spaß an der Angelegenheit, als er mit roten Bäckchen an der Pizzeria in der Dom-nahen Palaststraße stand und mit einem dort sitzenden Priester scherzte). Die 2.400 ehrenamtlichen Helfer investierten ihre Freizeit und Nerven. Wie viel die Stadt investierte, ist unklar. Schließlich wurden in den Monaten vor der Ausstellung Straßen renoviert, Sitzbänke errichtet, die Stadtwerke stellte Busse für Park & Ride, Einzelhändler und Gastronomen verzeichneten Umsatzeinbußen von 20-50 Prozent - wobei Letzteres sich verbesserte, als das Wetter sich verbesserte. Da kehrte dann doch mal ein Pilger (bzw. Besucher) ein. Auch wurde die Polizei aus dem gesamten Umkreis zur „Polizeiwache Heilig-Rock“ zusammengezogen, d.h. uniformierte Beamte aus dem benachbarten Saarland sowie aus Luxemburg, Belgien und Frankreich, gewiss kam die Kirche für dieses Aufgebot nicht auf. An der ebenfalls nervigen und wenigstens umstrittenen ADAC-Rallye-WM (s.o.) verdient die Stadt wenigstens ordentlich, wie ein unabhängiges Institut im Januar 2012 feststellte.

Was ist ein echter Pilger?

Und nicht alle, die einen Blick auf das übergroße Gewand warfen, waren Gläubige. Oder sind Ungläubige und Agnostiker, die mal kurz sehen wollen, worum sich der ganze Zirkus dreht, etwa Pilger? Sind Gläubige, die beim sonntäglichen Brötchenholen die Abwesenheit anderer Besucher grad ausnutzen und mal eben zum Rock reinspringen, echte Pilger? Sind Arbeitnehmer, die von ihren katholischen Arbeitgebern gezwungen werden, den Besuch des Rocks als Fortbildungstag zu nehmen, freie Pilger? Und die ganzen kleinen Kindergartenkinder, denen schon im vergangenen Sommer kleine Röcke um den Hals baumelten, nebst riesigen Buttons, welche verkündeten, „Gott liebt dich“ – selbstbestimmte Pilger? Michel Friedman, der jüdische Fernsehmoderator, pilgerte tatsächlich 18 km von Schweich bis in den Dom und musste wegen des regenbedingten Matsches seine feinen Schuhe gegen ein paar Turnschuhe austauschen.

Es ward ein groß Brimborium gemacht. Im Umkreis von einem Kilometer um das Zentrum stellte man riesige Pilgerzelte auf und Dixi-Klos und Absperrungen. Man errichtete allerorten Chormeilen, auf dass man beim samstäglichen, ansonsten gemütlichen Kaffeetrinken, beispielsweise auf dem Kornmarkt, heimgesucht wurde von Chören, die gewissermaßen im fliegenden Wechsel ihre mehr oder weniger ausgeprägten Künste tirilierten. Gewiss nicht schön waren die sams- und sonntäglichen Gesänge der Pilgergruppen, die sich meist durch verschiedenfarbige Halstücher voneinander abgrenzten, manche auch durch Uniformen, während sie sich vor dem Dom langsam auf den Einlass zu bewegten. Nicht nur einmal war die Verfasserin dieser Zeilen trotz der Entfernung von 150-200 m zu den Singenden gezwungen, ihre dem Dom zugewandten Fenster zu schließen, um sich der Kakophonie zu entziehen. Auf dem Hauptmarkt rockten dauernd Jungbands und boten nicht sonderlich katholisch wirkende Songs wie „Honky Tonk Woman“ dar. An einem regnerischen Freitagabend war sogar Frida Gold im Palastgarten und sang vor 3000 Zuschauern. Den Rock besuchte die Band aber nicht.

Heiland’sches Blut

Auch in größerer Entfernung konnte man die Auswirkungen der Wallfahrt erleben. In der beinahe 2 km vom Dom entfernten Kreuzung Saarstraße/Hohenzollernstraße konnte man am 6. Mai (ein Sonntag) die mittägliche Prozession (inkl. polizeiliche Straßensperrung) einer Gruppe Gläubiger erleben, die mit weinerlichem Singsang irgendetwas über Jesus und die Schöpfung von sich gaben und sich von St. Matthias gen Dom bewegten. Es waren dies die Piusbrüder, die meinten, der Heilige Rock sei „schließlich die heiligste Reliquie, die wir haben. Da klebt das Blut des Heilands dran”, stand im Trierischen Volksfreund. Sie haben anscheinend nicht mitbekommen, dass der Rock nicht wirklich von Jesus stammt. Da, wie man mutmaßt, der derzeitige Papst in Rom sich den Holocaust-leugnenden Piusbrüdern (und -schwestern) annähert, wurden die Piusbrüder (und -schwestern) in Trier vom Bischof Ackermann brav willkommen geheißen.

Absurditäten gab es vieler mehr. Zum Beispiel den „Schaff-Rock“, ein „Mahnmal gegen Arbeitslosigkeit“. Der Bischof, der in diesem Artikel häufig Erwähnung findet, erklärte Mitte April kurz vor dem Abtransport der drei Tonnen schweren Skulptur im Ehranger Hafen, man werde beten und Fürbitten für die Betroffenen (Arbeitslosen) halten, damit sei es jedoch nicht getan. Der Pilgertag, so werden seine Worte bei 16vor wiedergegeben, erhalte eine „politische Note“ und demonstriere die Anliegen der „Aktion Arbeit“, dem Arbeitslosen-Solidaritätsfonds des Bistums. Vollkommen vergessen muss der Bischof haben, dass er doch selbst ganz viele katholische Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit entlassen hat und entlässt. Reihum schloss und schließt der Bischof Ackermann katholische Einrichtungen, wie beispielsweise die Katholische Akademie, aber auch die Hochschulgemeinden in Trier, Saarbrücken und Koblenz, sowie das beliebte Fetzencafé, Triers älteste Studentenkneipe. Jedenfalls steht das „Mahnmal gegen Arbeitslosigkeit“ in Form eines Heilig Rock-Kegels auf dem Vorplatz der Basilika und wurde in den vergangenen Wochen von Pilgern mit zahllosen kleinen silbernen As behängt, so dass es nun glitzert und blinkt und jetzt bestimmt mehr wiegt als drei Tonnen. Ob Arbeitslose durch das Mahnmal Arbeit erhielten oder der Bischof gar selbst den von ihm Entlassenen wieder Arbeit besorgte, ist nicht bekannt.

Einige andere rostige Skulpturen wurden bereits vor einem Jahr an verschiedenen Stellen der Stadt platziert. Liegende Röcke auf runden Podesten, auf denen zu lesen stand: „Und führe zusammen, was getrennt ist“ (übrigens auch das Motto beim Besuch der Piusbrüder/-schwestern). Werden diese in absehbarer Zeit abtransportiert? Der Abbau ist am Tag danach zumindest im Gange, die Stadt wirkt Montagmittag bereits aufgeräumter, wenn auch nicht leerer als an einem Wallfahrtsmontagmittag, was die Anzahl der Besucher angeht.

Der Freiburger Erzbischof und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, pfiff am Sonntag die Veranstaltung mit einer Predigt ab, der Rock wurde inzwischen wieder hinter Schloss und Riegel verwahrt. Nun ist endlich Ruhe eingekehrt, die Domglocken verschießen nicht mehr zu jeder Stunde gnadenlos ihr volles Pulver, es werden keine Messen mehr im fistelhohen, öden Singsang nach außen übertragen, keine Chöre, keine Absperrungen und keine Paulinus-Verteiler trachten danach, einem beim Vorbeihasten ein Exemplar in die Hand zu drücken. Es ist endlich vorbei!

Fiona Lorenz