BERLIN. (hpd) Die Diplom-Politologin Corinna Gekeler arbeitet derzeit an einer Studie zum kirchlichen Arbeitsrecht und seinen Auswirkungen. In MIZ 2/12, die Ende Juli erscheint, spricht sie über den aktuellen Stand ihrer Untersuchung.
Dabei geht es vor allem um die Folgen der besonderen Loyalitätspflichten für die einzelnen Beschäftigten; hier werden auch noch Gesprächspartner/innen oder Hinweise auf einschlägige Fälle gesucht. Am Ende steht die Frage, welche Möglichkeiten existieren, den bestehenden Zustand systematischer Diskriminierung zu ändern. hpd bringt das Interview als Vorabdruck.
Eigentlich ist in Sachen Loyalitätspflicht von Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen doch alles klar: Wer das Grundrecht auf Religionsfreiheit und auf freie Lebensgestaltung in Anspruch nimmt, wird entlassen und daran kann aufgrund des sogenannten kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bis zum Sanktnimmerleinstag nichts geändert werden – was gibt es da denn noch zu erforschen?
Corinna Gekeler: Von wegen „alles klar“! Ein wichtiger Teil meiner Studie befasst sich mit den juristischen und politischen Gestaltungsmöglichkeiten, die einige Rechtsexperten, Gewerkschaftler und Politiker sehr wohl auch beim kirchlichen Arbeitsrecht sehen. Es handelt sich um eine nicht unkomplizierte Sachlage, geprägt von (nicht korrekt umgesetzten) EU-Vorgaben zur Antidiskriminierung, vom nicht in Stein gemeißelten deutschen Betriebsverfassungsgesetz und von kirchenfreundlichen Rechtsauslegungen und keinesfalls selbstverständlich zu gewährenden Sonderrechten. Das zu entwirren und die unterschiedlichen Ansatzpunkte darzustellen, erscheint mir eine lohnenswerte Aufgabe.
Auf welchen Hypothesen basiert Ihre Untersuchung?
Corinna Gekeler: Erstens: Die Privilegien kollidieren mit den Grundrechten auf Glaubens- und Gewissensfreiheit, freie Entfaltung der Persönlichkeit, Freiheit der Berufswahl und Schutz vor Diskriminierung. Sie abzuschaffen ist rechtlich möglich, aber nur mit entsprechendem politischem Willen und der ist ohne öffentlichen Druck nicht zu haben.
Zweitens: Politischer Druck entsteht nur durch Problembewusstsein. Das gibt es zwar zunehmend zum kollektiven kirchlichen Arbeitsrecht, dem sogenannten Dritten Weg, zu dem klassische Gewerkschaftsthemen wie Streikrecht (verboten), Mitbestimmung (stark eingeschränkt) und Tarifrecht (fast nicht vorhanden) gehören. Einschränkungen hinsichtlich der Kirchenmitgliedschaft und des Anspruchs auf einen christlich-loyalen Lebenswandel betreffen das Individualarbeitsrecht und stehen noch zu sehr im Schatten. Obwohl sie Millionen Arbeitssuchenden und Mitarbeitern in unseren Gesundheits-, Pflege-, Sozial- und Bildungseinrichtungen das Leben schwer machen.
Drittens: Problembewusstsein basiert auf Aufklärung. Zum Beispiel ist den wenigsten Leuten bekannt, dass die Kirchen wesentlich mehr ins Privatleben eingreifende Privilegien haben als normale Tendenzbetriebe. Welche weitreichenden Auswirkungen das Loyalitätsgebot evangelischer und katholischer Arbeitgeber hat, wurde noch nie umfassend dargestellt. Das Problembewusstsein ist entsprechend diffus, sowohl bei den unmittelbar Betroffenen als auch bei Politikern, Gewerkschaftlern und in der breiten Öffentlichkeit.
Deshalb erforsche ich die unterschiedlichen Ausprägungen, Handhabungen und Konsequenzen zum Beispiel für Konfessionsfreie, Muslime, Geschiedene, Homosexuelle und, und, und...
Wie gehen Sie vor?
Corinna Gekeler: Ich befrage Experten und Vertreter aus Parteien, Gewerkschaften, Interessenverbänden, EU-Politik, Antidiskriminierungsstellen und juristischen Fachkreisen. Ein anderer Schwerpunkt ist, dass Betroffene zu Wort kommen. Durch Aufrufe und via mein Netzwerk melden sich Einzelpersonen, die mir (auf Wunsch völlig anonym) von ihren jeweiligen Einschränkungen in ihrem Ausbildungs- und Berufsleben berichten. Mal geht es um eine Bewerbungsablehnung aufgrund mangelnder Kirchenmitgliedschaft oder eine Kündigung wegen Kirchenaustritt, oft um diskriminierende Arbeitssituationen und Druck vom Arbeitgeber. Nicht selten geht es um verschwiegene Homosexualität, „wilde Ehen“ (Konkubinat in katholischer Kirchenfachsprache) und „uneheliche“ Kinder.
Was fehlt noch und wie können humanistische Verbände und Leser Sie unterstützen?
Corinna Gekeler: Ich konnte noch längst nicht alle Fachleute sprechen und bin weiter auf der Suche nach Personen, die von ihren Erfahrungen berichten möchten (wie gesagt auf Wunsch anonym). Da jeder Fall seine speziellen Aspekte hat und ich anhand der Berichte möglichst unterschiedliche Aspekte erfassen möchte, gibt es keine thematischen Doppelungen und sind alle Gesprächspartner willkommen!
Ich wette, dass fast alle jemanden kennen, der schon einmal diskriminierende Erfahrungen bei einem kirchlichen Arbeitgeber gemacht hat. Ob als Lehrerin, Kindergärtner, Pförtnerin, Krankenpfleger, Sozialpädagoge, Ärztin, Altenhilfe, Verwaltungskraft oder Putzhilfe: Alle sind betroffen und gefragt!
Frau Gekeler, danke für das Gespräch.
Die Fragen stellte Martin Bauer.
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Corinna Gekeler erstellt die Studie über die Loyalitätsobliegenheiten von Dienstnehmern in kirchlichen Einrichtungen im Rahmen der GerDiA-Kampagne und im Auftrag des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA). Wer Informationen über einschlägige Fälle hat oder selbst betroffen ist, kann sich bei ihr melden. Jede Kontaktaufnahme wird verschwiegen behandelt. Kontakt über gekeler@gerdia.de oder Telefon (01520) 71 21 395.