Prügel vom lieben Gott

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Alexander Homes als Heimkind im Kommunionskleid zeigt (Foto: privat)

(hpd) In den letzten Jahren wurde viel über das Schicksal von Kindern, die in kirchlichen Heimen aufwuchsen, bekannt. Die Öffentlichkeit zeigte sich betroffen. Doch das erste Buch, in dem von einem Betroffenen authentisch über die dortigen Zustände berichtet wird, erschien bereits 1981.

Es liest sich noch heute, obwohl literarisch verfremdet, wie eine Blaupause für all die folgenden Berichte. Nun wurde der Text, erweitert um ein ausführliches Vorwort, neu aufgelegt. hpd sprach mit dem Autor Alexander Markus Homes über Schwarze Pädagogik, seine Erinnerungen und die Erinnerungsfähigkeit von Kirchenfunktionären.

 

Ihr Buch ist ursprünglich 1981 erschienen und enthält alles, was nun herauskommt, Brutalität, sexuelle Übergriffe, Vertuschung. Ihre Geschichte ging damals groß durch die Medien – warum dauerte es noch mal über 20 Jahre, bis sich die deutsche Gesellschaft für das Schicksal der Heimkinder zu interessieren begann?

Alexander Markus Homes: Die Gesellschaft und die Medien waren offensichtlich erst in den letzten Jahren dazu bereit, sich mit dem Schicksal, dem Leid, der physischen, psychischen, verbalen und sexuellen Gewalt, die Hunderttausende ehemaliger Heimkinder in den letzten Jahrzehnten in konfessionellen und staatlichen Heimen erleben mussten, auseinanderzusetzen. Auslöser war das Buch von Peter Wensierski „Schläge im Namen des Herrn“. Plötzlich war das Thema quasi über Nacht in allen Medien vertreten. Der Kölner Stadtanzeiger beispielsweise schrieb vor einigen Jahren: Was Homes mit seinen Buchveröffentlichungen in über 30 Jahren nicht gelungen ist, hat der Spiegel-Redakteur Peter Wensierski mit seinem Buch geschafft: die Medien und Öffentlichkeit für das Schicksal der ehemaligen Heimkinder zu sensibilisieren.

Besonders beeindruckend fand ich Ihre Schilderungen, wie die Kinder nach Nähe suchten – kann es sein, dass die katholischen Nonnen gerade damit nicht umgehend konnten?

Alexander Markus Homes: Wir Kinder haben die Nonnen nur als gefühlskalt, aggressiv, dominant erlebt. Diese Frauen waren nicht in der Lage, uns so etwas wie Nähe, Zärtlichkeit, Geborgenheit zu geben. Es ist bekannt, dass gerade Frauen, die den Nonnenberuf wählen, keinerlei Gefühle und Empathie für Kinder entwickeln können. Sie wurden, anders formuliert, wie männliche Geistliche in ihrer Kindheit schwer geschädigt; sie sind unreif, einsam, angepasst, autoritätsgläubig, unsicher und durch massive sexuelle Repression geprägt. Sie kompensieren das lebenslang wirkende Trauma, indem sie nur mit Gewalt, Autorität, Macht, Gefühlskälte Kindern und Jugendlichen begegnen können. Ihre sexualfeindliche, rigide, repressive, autoritäre und religiös fundamentalistische Erziehung führt bei den meisten ihrer Schützlinge zu einem Trauma.

Worin sehen Sie das spezifisch Christliche an der Form der „Schwarzen Pädagogik“, die Sie erdulden mussten?

Alexander Markus Homes: Die konfessionelle Schwarze Pädagogik war geprägt von sadistischer militärischer Zucht und Ordnung, Disziplin, schlimmster repressiver psychischer, physischer Gewalt, Erniedrigung, Demütigung, Entmenschlichung, Entrechtung usw. Sie zeichnete sich aus durch Menschenverachtung und Menschenrechtsverletzung.

Das lässt sich aber auch von anderen Versionen der Schwarzen Pädagogik sagen...

Alexander Markus Homes: Es waren die beiden großen Kirchen in Deutschland, die am Anfang der Heimdebatte, als die ersten Medienberichte erschienen waren, großmäulig von Einzelfällen sprachen. Und davon, dass damals auch in den Familien Zucht, Ordnung und die Prügelstrafe herrschten. Der Mainzer Bischof und Kardinal Karl Lehmann verwahrte sich in den 90er Jahren ganz entschieden dagegen, dass ich in meinem Buch „Heimerziehung – Lebenshilfe oder Beugehaft“ und öffentlich die Terminologie Schwarze Pädagogik benutzte, um das zu beschreiben, was Heimkinder bis Mitte der 90er Jahre in katholischen Heimen an schlimmster Gewalt erdulden mussten. Was wurde mit dieser – klerikalen – Schwarzen Pädagogik verfolgt? Das Ziel war eindeutig: eine Zwangsmissionierung von jungen Menschen in kirchlichen Anstalten mit brutalster Gewalt in all ihren Facetten. Und zugegeben, sie hatten Erfolg: Das Christentum wurde hunderttausendfach in Kinderseelen hineingeprügelt, man kann auch sagen: implantiert.

Sie haben der Neuauflage Ihres Buches ein längeres Vorwort vorangestellt. Darin gehen Sie auch der Frage nach, wer wann was gewusst haben könnte. Haben Sie Indizien, dass Heimleiter oder andere Verantwortliche früher Bescheid wussten, als sie heute angeben?

Alexander Markus Homes: Der heutige Generalvikar des Bistums Limburg, Franz Josef Kaspar, war von Dezember 1970 bis Juni 2006 im St. Vincenzstift Stiftungsdirektor. Vor 1970 hatte er mindestens auf einer Heimgruppe an mehrwöchiges Praktikum absolviert, auf der Kinder malträtiert worden sind.

Ich frage mich: hat er möglicherweise die Anwendung von Gewalt durch Mitarbeiter beobachtet – oder wurde er durch Erzieherinnen entsprechend aufgeklärt? Oder hat er sie gesehen: die Kinder, ihre schmerzverzerrten Gesichter, mit Tränen in den Augen? Dafür könnte die Tatsache sprechen, dass er und die Leitungskonferenz veranlasst haben, dass kurz nach seiner Berufung zum Stiftungsdirektor „alle Mitarbeiter mit pädagogischen Aufgaben“ eine schriftliche Erklärung abgeben mussten. Eine Erklärung, in der sie sich verpflichteten, keine körperliche Gewalt gegenüber Betreuten anzuwenden. Es ist mittlerweile bekannt, dass sein Vorgänger, der Priester Rudolf Müller, sich nicht nur körperlich an Mädchen und Jungen vergangen hat; er hat auch einige von ihnen sexuell missbraucht und vergewaltigt. Anfang September 1970 nahm sich der Geistliche das Leben, nachdem Personal eine Unterschriftenaktion gegen ihn startete und das Bistum Limburg einschaltete. Mir gegenüber räumt der heutige Generalvikar über seine Anwälte immerhin ein, von der Unterschriftenaktion gewusst zu haben und von Vorwürfen, wonach sich Müller „unsittlich“ einer im Heim beschäftigten jungen Frau genähert haben soll. Er ließ über seine Anwälte weiter vortragen: „Diese Vorwürfe waren auch dem damaligen Direktor des Amtsgerichts Rüdesheim bekannt, der unserem Mandanten gegenüber ausdrücklich erklärt hatte, der Vorwurf reiche nicht für einen Anfangsverdacht einer strafbaren Handlung aus.“ Das kann nach meiner Meinung nur bedeuten, dass er zu Lebzeiten des Herrn Müller hierüber Kenntnis erlangt haben muss. Es macht keinen Sinn, nach dessen Tod sich mit dem Direktor des Amtsgerichts über diesen Fall zu unterhalten und sich quasi versichern zu lassen, dass kein Anfangsverdacht einer strafbaren Handlung vorliegt. Ich frage mich: wusste der heutige Generalvikar des Bistums Limburg nichts von den Gerüchten über sexuelle Übergriffe, die spätestens 1970, als Müller in Kur war, offenbar im St. Vincenzstift kursierten? Im Bischöflichen Ordinariat in Limburg wurde ein entsprechender Vermerk angefertigt.

Im Übrigen: Der heutige Generalvikar ließ in seiner Zeit als Stiftungsdirektor zwei Nonnen weiterarbeiten, die bereits damals von Ehemaligen wegen schwerer Misshandlungen von Schutzbefohlenen beschuldigt wurden; eine wurde sogar unter Kaspar Oberin. Erst im Sommer 2011 trennte man sich von diesen Nonnen!