Vom Preis der Ungleichheit

(hpd) Der Ökonomie-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz beschreibt in seinem Buch die Folgen eines kontinuierlich ansteigenden Auseinanderdriftens von Arm und Reich. Dabei verzichtet der Autor auf billige Polemik und bringt faktengesättigte Argumente, welche die Dimension der Entwicklung für die Ökonomie, aber auch die Politik überzeugend aufzeigen.

Im Mai 2011 erschien in dem Magazin „Vanity Fair“ ein Artikel des Ökonomie-Nobelpreisträgers Joseph Stiglitz mit dem Titel „Von dem einen Prozent durch das eine Prozent für das eine Prozent“, worin die starke Zunahme der sozialen Ungleichheit in den USA zugunsten der Reichsten kritisiert wurde. Kurz Zeit später entstand eine kapitalismuskritische Protestströmung, die sich Occupy-Wall-Street-Bewegung nannte. Sie nahm für sich in Anspruch, für die übrigen 99 Prozent der Bevölkerung zu sprechen. Das damit verbundene Schlagwort spielte auf den Artikel von Stiglitz an. Jetzt schickt der Autor dem Beitrag und der Bewegung noch ein Buch hinterher. Es erschien unter dem Titel „Der Preis der Ungleichheit. Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht“. Darin beschreibt einer der weltweit bedeutendsten Wirtschaftswissenschaftler die bedenklichen politischen und sozialen Folgen des dominierenden ökonomischen Entwicklungstrends, geht doch die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander.

Der ehemalige Chefvolkswirt der Weltbank und Wirtschaftsberater der Clinton-Regierung konzentriert sich in seinem Buch nach eigenen Worten „auf das unvertretbar hohe Maß an Ungleichheit, das die Vereinigten Staaten und einige andere fortgeschrittene Industrieländer kennzeichnet“ und erläutert, „inwiefern die genannten drei Tatbestände eng miteinander verflochten sind. Die Ungleichheit ist Ursache und Folge des Versagens des politischen Systems; sie trägt zur Instabilität unseres Wirtschaftssystems bei, die ihrerseits dazu beiträgt, dass die Ungleichheit zunimmt – ein Teufelskreis, in den wir geraten sind und aus dem wir nur durch konzertierte politische Maßnahmen ... wieder ausbrechen können“ (S. 11).

Stiglitz konfrontiert seine Leser zunächst mit empirischen Daten, welche die ansteigende soziale Ungleichheit veranschaulichen. Dabei macht er deutlich, dass die Reichsten der Reichen im Rahmen der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre noch reicher wurden. Das Einkommen der Mittelschicht sinke oder stagniere demgegenüber.

Er sieht in dieser Entwicklung auch ein Marktversagen, führt sie aber im Kern auf politische Entscheidung zurück. Denn: „Die Regierung hat die Macht, Geld von oben nach unten oder in die Mitte umzuverteilen, oder den umgekehrten Weg zu gehen“ (S. 62). Anstatt durch progressive Besteuerung und ausgabenpolitische Maßnahmen der sozialen Ungleichheit entgegen zu wirken, habe der Staat durch gegenteilige Handlungen die Not der Armen noch vergrößert.

Der Autor sieht in dieser Entwicklung aber nicht nur ein ökonomisches oder soziales Problem, gehe dieser Trend doch ebenso mit Gefahren für die Demokratie einher. Die Entmachtung, Entmündigung und Enttäuschung vieler Menschen habe in den USA zum Rückgang der Wahlbeteiligung geführt. Gleichzeitig spendeten die Reichen den Demokraten wie den Republikaner Millionensummen für den Wahlkampf, wodurch die Politik immer enger in Abhängigkeit von der Wirtschaft gerate. Eine Kritik daran habe nichts mit einer „Politik des Neides“, aber viel mit einer „Politik der Effizienz und Fairness“ (S. 344) zu tun.

Diese Kritik trägt Stiglitz mit der Fachkenntnis des engagierten Ökonomen und mit der Wucht des engagierten Streiters vor. Dabei meidet er Polemik, lässt vielmehr Fakten sprechen. Kurzum, der Autor moralisiert nicht mit der Stimme emotionaler Empörung, er argumentiert mit der Stimme der kritischen Vernunft. Allein 120 Seiten des Buchs bestehen aus Fußnoten, wo sich Belege für die jeweiligen Daten finden.

Stiglitz macht außerdem deutlich, dass die Entwicklung nicht das Ergebnis von Gesetzen des Marktes, sondern von Entscheidungen der Politik ist. Er bleibt auch nicht bei dieser Kritik stehen, finden sich doch im Buch zahlreiche Reformvorschläge zur Änderung der Zustände. Dass der Autor keine politischen Akteure dafür benennen kann, liegt nicht an ihm, sondern an den politischen Gegebenheiten. Kritikwürdig ist seine Ausblendung anderer Ländern und die Fixierung auf die USA. Ansonsten handelt es sich trotz mancher sperriger Ausführungen um ein lesenswertes und wichtiges Buch zur Problematik wachsender sozialer Ungleichheit.

Armin Pfahl-Traughber

Joseph Stiglitz, Der Preis der Ungleichheit. Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht. Aus dem amerikanischen Englisch von Thorsten Schmidt, München 2012 (Siedler-Verlag), 509 S., 24,99 €.