Camp 14

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SHIN / Foto : realfictionfilmfilm.de

NORDKOREA. (hpd). „Wir sind stolz auf unser ausgezeichnetes System zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte in unserem Land." So äußerte sich kürzlich Nordkoreas Delegierter Kim Song vor dem Menschenrechtsausschuss der UNO-Vollversammlung. Die Existenz von Arbeitslagern wird von der Regierung Nordkoreas geleugnet. Marc Wiese bringt nun mit „Camp 14“ das Ausmaß der dortigen Menschenrechtsverletzungen in unser Bewusstsein.

 

 

 

 

  • Wer die Flucht ergreift, wird sofort erschossen.
  • Wer jegliche Nahrungsmittel im Arbeitslager stiehlt oder versteckt, wird sofort erschossen.
  • Wer gegenüber dem Lehrer der Nationalen Sicherheitsbehörde Unzufriedenheit hegt oder tätlich wird, wird sofort erschossen.
  • Wer sich gegenüber den Anordnungen des Lehrers der Nationalen Sicherheitsbehörde unaufrichtig oder ungehorsam verhält, wird sofort erschossen.
  • Wer einen Außenstehenden versteckt hält oder beschützt, wird sofort erschossen.
  • Man muss die Worte und das Verhalten anderer Personen aufmerksam verfolgen und im Falle einer Merkwürdigkeit dies umgehend dem zuständigen Lehrer der Nationalen Sicherheitsbehörde melden.
  • Wer die ihm zugeteilten Aufgaben vernachlässigt oder nicht ausführt, dem wird Unzufriedenheit gegenüber den Regeln vorgeworfen und wird sofort erschossen.
  • Die Durchführung der einem gegebenen Aufgaben ist der einzige Weg, seine Schuld zu bereinigen und sich gegenüber den Gesetzen, die Gnade walten ließen, dankbar zu zeigen.
  • Wenn ohne Erlaubnis körperlicher Kontakt zwischen Männern und Frauen besteht, werden sie sofort erschossen.
  • Wer seine Schuld nicht einsieht und sich seiner Schuld nicht fügt oder gegenüber seiner Schuld eine eigene Meinung bildet, wird sofort erschossen.
  • Man muss gewissenhaft an der Versammlung zur ideologischen Auseinandersetzung sowie an der Sitzung zur Selbstkritik teilnehmen und aufrichtig an sich und an anderen Kritik üben.
  • Bei Missachtung der Regeln und Vorschriften des Arbeitslagers wird man sofort erschossen.

Dies sind einige der Regeln, die für Shin Dong-hyuk ab dem 19. November 1983 verbindlich waren, ab diesem Tag war er ein politischer Gefangener im politischen Umerziehungslager Kaechon (Camp 14). Es ist der Tag, an dem er als Kind zweier Häftlinge geboren wurde. Sein Vater hatte für gute Arbeitsleistung eine Frau zugeteilt bekommen, die von ihm schwanger wurde. Ab seinem sechsten Lebensjahr begann für ihn die Zwangsarbeit im Lager, die er nach seinen täglichen Besuchen der Lagerschule verrichten musste. Mit 23 Jahren gelang Shin schließlich die Flucht aus Camp 14, nach verschiedenen Stationen lebt er heute in Südkorea.

 

 

2009 gelang es dem Regisseur Marc Wiese, sich mit Shin Dong-hyuk zu treffen und ihn für die Verfilmung seiner Lebensgeschichte zu gewinnen. Diverse andere Angebote hatte Shin immer wieder abgelehnt. Eine vorherige Besprechung mit Shin war nicht möglich, er sagte dem Regisseur er könne seine Geschichte nicht zweimal erzählen. Auch die Dreharbeiten gestalteten sich schwierig, oft war es für Shin schon nach kurzem Gespräch nicht mehr möglich weiterzusprechen. „Nachdem er uns erzählte, wie er im Gefängnis war mit vierzehn und dann sieben Monate lang gefoltert wurde, da war er danach zwei, drei Tage verschwunden. Da war er einfach weg. Ich wusste nicht, wo er war“, berichtete Marc Wiese in einem Interview über die Dreharbeiten.

Die Umstände, unter denen die 40.000 Gefangenen im 500 Quadratkilometer großen Camp 14 leben müssen, sind unvorstellbar: Pro Tag erhält ein erwachsener Häftling 700 Gramm Mais, ein Kind 300, dazu ein wenig Chinakohl und Salz. Wenn allerdings ein Wärter mit der Arbeitsleistung nicht zufrieden ist, kann er diese Ration beliebig nach eigenem Ermessen reduzieren. Nach einer Schätzung von Amnesty International sterben ca. 40% der Insassen an Unterernährung. Shin beschreibt, dass er und seine Mutter, für die zum Schlafen nur der Betonboden ihrer ungeheizten Baracke zur Verfügung stand, Ratten fingen und aßen, um zu überleben. Erschießungen und Folter sind an der Tagesordnung; das gilt auch für Kinder. Die Zwangsarbeit müssen die Gefangenen in den im Lager befindlichen Textil-, Keramik- und Gummifabriken, in Kohlebergwerken oder landwirtschaftlichen Farmen verrichten. Die Sicherheitsstufe des Lagers wird von den Wärtern als „Total Control Zone“ bezeichnet. Wer in ein solches Lager deportiert wird, kann nicht mehr auf seine Entlassung hoffen.

„Vorrang gebührt der ideologischen Umformung“*

Die „progressive Ideologie spielt eine wichtige Rolle in der gesellschaftlichen Entwicklung“*, die Juche-ideologie beinhaltet ein philosophisches Menschenbild nach welchem „der Mensch Herr über alles ist und alles entscheidet. […] das bedeutet, daß der Mensch Herr der Welt und seines eigenen Schicksals ist.“*

Camp 14 liegt in einem Land, das immer noch unter einem stalinistischen System steht, einem „Sozialismus unserer Prägung“, wie es dort genannt wird. Der Staatsgründer Kim Il Sung begründete die  Juche-Ideologie (sprich: Dschutsche-Ideologie), die davon ausgeht, dass Leninismus und Marxismus nicht mehr zeitgemäß seien, die Juche-Ideologie durch ihre Weiterentwicklung aber ewig Geltung habe. Sie fordert absolute Autarkie für Nordkorea, sowohl wirtschaftlich als auch ideologisch und militärisch („Solange der Imperialismus existiert, kann solch ein Land ohne eine verteidigungsfähige Streitmacht das eigene Land vor inneren und äußeren Feinden nicht schützen und kein wahrhaft souveräner und unabhängiger Staat sein“)*.

* Zitate aus:  „Über die Dschutsche-Ideologie“, Kim Jong Il, 1987, Verlag für Fremdsprachige Literatur, Pjongjang [Nord-]Korea.