Solidaritätsaufruf Sterbehilfe

Die öffentliche politische Debatte über Patientenverfügungen und Sterbehilfe in Deutschland kommt in ihre entscheidende Phase.

Am 28. März 2007 wird im Deutschen Bundestag eine ausführliche "Orientierungsdebatte" zum Thema stattfinden. Diese soll vor Einbringung der (wahrscheinlich drei) Gruppenanträge dazu dienen, Fragestellungen und Probleme darzustellen.

Bisherige Debatten mit Abgeordneten zeigen leider eher das Bild uninformierter Beobachter, die ihre sehr persönlichen Ansichten in den Vordergrund stellen (z.B. in der Sendung von "Sabine Christiansen“ am 12. März).

Das Outing von über 2.000 französischen Ärztinnen und Ärzten, Sterbehilfe geleistet zu haben, ist in Deutschland weitgehend unbeachtet geblieben. Aus diesen Gründen haben sich zwanzig Erstunterzeichnende aus verschiedenen Lebensbereichen, vor allem aus der Medizin, der Medizinethik und der Sterbebegleitung, entschlossen, sich mit einem „Solidaritätsaufruf Sterbehilfe“ an die Öffentlichkeit zu wenden, um die Debatte in Deutschland zu befördern.

Die Unterzeichner/innen solidarisieren sich mit dem Anliegen der französischen Ärztinnen und Ärzte. Sie wenden sich zugleich gegen die Kriminalisierung dieses Anliegens und fordern Reformen. Sie bekennen aber nicht – wie die Franzosen – selbst illegal gehandelt zu haben. Und sie fordern nicht – wie die Franzosen – die Freigabe der Tötung auf Verlangen ähnlich dem Niederländischen und Belgischen Modell.

 

Solidaritätsaufruf Sterbehilfe

Liebe ärztliche Kolleginnen und Kollegen, liebe mögliche Unterstützer dieses Aufrufs!

Französische Ärztinnen und Ärzte haben sich – angesichts eines aktuellen Strafprozesses gegen eine Kollegin – in einer mutigen Unterschriftenaktion dazu bekannt, in einer Grauzone selbst schon so genannte aktive Sterbehilfe geleistet zu haben. Sie haben sich dagegen gewehrt, dass eine Haftstrafe wegen Mordes droht, wenn aus humanitären Gewissensgründen der Sterbeprozess eines schwerstleidenden, irreversibel todkranken Patienten auf dessen eindringlichen Wunsch hin ärztlicherseits auch nur geringfügig verkürzt wird.

In unserem Land, in welchem zwar die Freitodhilfe prinzipiell nicht verboten ist, herrschen vielerorts ähnliche unhaltbar gewordene und paradoxe Verhältnisse. Funktionäre und Vertreter aus Politik, den Kirchen und der verfassten Ärzteschaft wollen wegen eines von ihnen befürchteten vermeintlichen „Dammbruchs“ jede Form von Sterbehilfe rigoros verhindert, tabuisiert und bestraft sehen:

 

  • Rigorosen Sterbehilfe-Gegnern zufolge soll auch über einem heute schon möglichen assistierten Suizid, der ja die freiverantwortliche Tatherrschaft des Patienten voraussetzt, das strafrechtliche Damoklesschwert einer „Tötung durch Unterlassen“ gemäß ärztlicher Garantenpflicht bestehen bleiben – statt eine ärztliche, ggf. palliative Begleitung bis zum Tod zu ermöglichen.
  • Rigorosen Sterbehilfe-Gegnern zufolge soll die Reichweite von Patientenverfügungen auf ein Mindestmaß eingeschränkt werden – statt, wie es die überwältigende Mehrheit unserer Bevölkerung in Übereinstimmung mit allen namhaften juristischen Experten fordert, umgekehrt das Selbstbestimmungsrecht zumindest zum Behandlungsverzicht bzw. zur so genannten „passiven Sterbehilfe“ zu garantieren.

 

Wir fragen: Wo soll das noch enden? Sollen wir als Ärzte vom deutschen Staat genötigt werden, einen Patienten auch gegen seinen in einer Verfügung erklärten Willen oder sein nachvollziehbares Todesbegehren zwangsweise zu behandeln? Soll für uns als (potentielle) Patienten eine selbstverantwortliche Vorsorge für den Fall der eigenen Einwilligungsunfähigkeit ad absurdum geführt werden?

 

Wir fordern in Deutschland nicht die Freigabe der Tötung auf Verlangen bzw. der direkten aktiven Sterbehilfe. Wir bekennen uns jedoch zu der empirisch nachweisbaren Tatsache, dass Leidlinderung, Schmerztherapie, Sterbehilfe und -begleitung als ärztliche Aufgaben nicht schematisch voneinander abzugrenzen, sondern ineinander verwoben sind. Dabei ist Sterbehilfe nach Meinung von namhaften Ethikern, Ärzten (Klinikern und freiberuflich Tätigen), Juristen (Richtern, Bundesrichtern, Anwälten) und auch Theologen mit dem ärztlichen Ethos vereinbar und kann moralisch und ethisch darüber hinaus geboten sein.

 

  • Bitte unterstützen Sie, dass Sterbehilfe aus ärztlichen Gewissensgründen nicht länger verteufelt werden darf und soll.
  • Sie können Ihre Solidarität bekunden und diesen Aufruf unterschreiben, wenn Sie seinen Inhalt im Grundsatz teilen.
  • Ihre Solidarität ist ein Votum, dass wir unsere Patienten, die sich in verzweifelter Lage vertrauensvoll an uns wenden, am Ende nicht im Stich lassen dürfen – innerhalb und außerhalb palliativmedizinischer Versorgungsstrukturen.
  • Lassen Sie uns ein Zeichen setzen gegen Kriminalisierung, staatlich verordnete Entmündigung und Überreglementierung, wenn es sich um einzelfallbezogenes, gemäß dem Patientenwillen ethisch verantwortbares ärztliches Tun oder Unterlassen handelt.

 

 

Dieser Aufruf ist unabhängig von Verbänden, Organisationen oder sonstigen Zugehörigkeiten entstanden. Er richtet sich in erster Linie an Ärztinnen und Ärzte sowie an professionell Pflegende – aber da er jetzt öffentlich ist, auch an Einzelpersönlichkeiten und Vertreter aller Organisationen und Verbände, die ihn unterstützen möchten.

 

Zwanzig Erstunterzeichnerinnen und Erstunterzeichner:

  • Uwe-Christian Arnold, Arzt, Urologe, Berlin
  • Prof. Dr. phil. Dieter Birnbacher, Ethiker, Universitätsprofessor Düsseldorf
  • Dr. phil. Edgar Dahl, Bioethiker, Universität Giessen
  • Antje Fuhrmann-Simon, Deutschlandradio Kultur
  • Prof. Dr. med. Bodo Hoffmeister, Universitätsprofessor Berlin
  • Prof. Dr. med. Arne A. Kollwitz, Urologe, ehem. Chefarzt Berlin
  • Michael Lesch, Schauspieler, Köln
  • Dr. med. Anton Mayr, Chefarzt, Onkologe, Berlin
  • Winfried Mielenz, Dipl. Krankenpfleger, Berlin
  • Prof. Dr. med. Volker Misgeld, Dermatologe, Berlin
  • Leon Münster, Arzt, Berlin
  • Gita Neumann, Dipl. Psychologin, Ethikerin, Berlin
  • Prof. Dr. phil. Frank-Reiner Rupprecht, Berlin
  • Prof. Dr. med. Bettina Schöne-Seifert, Medizinethikerin, Universitätsprofessorin Münster
  • Jürgen Simon, Arzt, Urologe, Berlin
  • PD Dr. med. Johann F. Spittler, Psychiater, Datteln
  • PD Dr. med. Meinolfus W. M. Strätling, Arzt, Medizinethiker, Lübeck
  • Dr. med. Horst v. Stuckrad, Arzt, Abensberg
  • Dr. med. Martin Talke, Orthopäde, Rheumatologe, Berlin
  • Dr. phil. Christine Weinhold, Krankenschwester, Berlin

 

Stand: 20. März 2007

 

Wenn Sie dem Link folgen, können Sie sich direkt an der Unterschriftenaktion beteiligen.