Erschütterungen und vorsichtiger Optimismus

roerig01.jpg

Johannes-Wilhelm Rörig (Foto: F. Nicolai)

BERLIN. (hpd) Johannes-Wilhelm Rörig ist seit einem Jahr als "Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Missbrauchs von Kindern" im Amt. Gestern zog er in einer Pressekonferenz eine erste Bilanz dieses Jahres. Zwar sprach er von vorsichtigem Optimismus. Doch das, was er vorbrachte, gibt für die Missbrauchsopfer kaum Grund dazu.

Ein Jahr nach dem offiziellen Ende des Runden Tisches gibt es nur wenig Hilfe für die Betroffenen; die finanziellen Mittel, die der Bund und die Länder dort angekündigt haben, sind nur zu sehr geringen Anteilen tatsächlich geflossen. Der vom Bundesfamilienministerium, dem Bundesjustizministerium und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung versprochene 100-Millionen-Euro-Fonds ist noch immer nicht eingerichtet. Aus Sicht der Betroffenen sei das Schweigen der Bundesregierung und der Länder unerträglich, so Rörig. Seit Juni dieses Jahres harrt der Gesetzentwurf zur Änderung der Verjährungsfristen unbearbeitet im Rechtsausschuss des Bundestages.

Rörig appellierte an die Bundesregierung, sich zu beeilen, dieses Gesetz endlich auf den Weg zu bringen, denn "die Legislaturperiode ist bald zu Ende." Und eine neue Regierung würde das gesamte Gesetzesvorhaben neu aufrollen müssen.
Leicht optimistisch zeigte sich der Beauftragte jedoch deshalb, weil in der Zivilgesellschaft mit dem Thema inzwischen bedeutend sensibler umgegangen werde. Als Beispiel nannte er das sofortige und auch öffentliche Reagieren der Charité auf einen dort vermuteten Missbrauchsfall. "Wir stehen am Ausgangstor der Tabuzone" so Rörig dazu.

Doch noch immer werden dem Büro des Beauftragten Missbrauchsfälle gemeldet. Seit der Einrichtung des Büros gab es über 30.000 Kontakte mit Betroffenen und 40.000 Beratungsgespräche. Das sind etwas mehr als zehn Gespräche, Mails, Faxe und Briefe täglich. Im kommenden Jahr soll eine Webseite eingerichtet werden, auf der sich Betroffene informieren können.

Dringend forderte er die Länder und Kommunen auf, endlich die Fachberatungsstellen zu stärken. Dazu gehört vor allem die gesicherte "finanzielle Absicherung und eine ausreichende Personalausstattung." Der Missbrauchsbeauftragte forderte, die Versorgungslücken vor allem im ländlichen Bereich zu schließen und besondere, spezialisierte Angebote für von sexueller Gewalt betroffene Jungen und Männer, sowie für Behinderte und Migranten. Die derzeit etwa 300 auf den sexuellen Missbrauch spezialisierten Fachberatungsstellen seien viel zu wenig. Manche Betroffene müssten aus einem Umkreis von 200 Kilometern anreisen.

Doch trotz aller Erfolge ist "für Missbrauchsopfer im letzten Jahr definitiv zu wenig erreicht worden", so die letztlich eher ernüchternde Bilanz von Johannes-Wilhelm Rörig.

F.N.