BERLIN. (hpd) In der Diskussion um die Bewertung des geplanten Beschneidungsgesetzes spielt auch eine Rolle, welche Komplikationsrate bei diesem Eingriff besteht. Manipulierte Studien verharmlosen das Risiko, während unabhängige Studien erheblich höhere Komplikationsraten nennen. Die aktuelle Studienlage mit Literaturverweisen.
Bereits seit den 1980er Jahren ist durch den Philip Morris Nitrosamin-Skandal bekannt, dass Studienfinanzierung auch in Deutschland zu den möglichen Methoden der Einflussnahme gehört (1). Neu ist, dass der Gesetzgeber solch manipulierte Studien zur Rechtfertigung in einem Gesetzgebungsverfahren verwendet, obgleich er über eine Einflussnahme durch Interessensgruppen Kenntnis hat.
So regt eine kürzlich erschienene Studie des Jewish People Policy Institute an, weitere neue Studien die eine Nützlichkeit der Beschneidung belegen sollen zu finanzieren, sowie die Operation mit Impfvergleichen zu verniedlichen (2). In den Rechtsausschüssen wurde seitens des Zentralrates der Juden in der Anhörung eine Komplikationsrate unter Verweis auf eine israelische Studie von 1 Prozent genannt. In der nachgereichten schriftlichen Stellungnahme wird das Komplikationsrisiko ohne Quellenverweis nur noch mit 0,13 - 0,19 Prozent beschrieben. Noch niedriger bewertet der Zentralrat der Muslime das Risiko (0,09 %). Sexuelle Beeinträchtigungen werden verneint.
Tatsächlich belegen große neue Studien erheblich höhere Risiken. Es sollen nun nochmals unabhängige Studien vorgestellt werden, die eine hohe Aussagekraft haben. Wert wurde auf das Design gelegt, also das den wirtschaftlichen Interessen der Forscher entgegenstehende Ergebnis, die vergleichbaren medizinischen Standards, die große Teilnehmerzahl, den adäquaten Studienaufbau, sowie auf die Herkunftsländer.
Die medizinische Fachgesellschaft in Deutschland beschreibt in den Leitlinien die Komplikation der Nachblutung mit bis zu 6 Prozent (3). Eine große Studie einer pädiatrischen Urologie aus Boston belegt, dass von allen insgesamt knapp 9.000 durchgeführten Operationen allein 4,7 Prozent Nachoperationen waren, die aufgrund schwerer Komplikationen der Säuglingsbeschneidung notwendig wurden (4). Eine weitere US-Studie mit über 300 Zirkumzidierten belegt, dass allein aufgrund der Komplikation in Form der Meatusstenose bei 7,29 Prozent der Kinder eine Nachoperation notwendig wurde (5). Vergleichend soll noch auf die Komplikationsrate für die Meatusstenose im Iran verwiesen werden, die laut einer Studie bei 20,4% liegt (6).
Studien aus Afrika belegen Komplikationsraten von über 50 Prozent, insbesondere verursacht durch rituelle Beschneider, gefolgt durch weiteres schlecht geschultes Personal, sowie Todesfälle (7) (8) (9) 10). Diese Bedenken haben in Zimbabwe neuerdings im Zusammenhang mit dem Kölner Urteil zu Widerständen bei der HIV Politik geführt (11).
Auch in den USA sind Todesfälle bekannt geworden (12) (13). Eine neue große Studie mit über 5.500 Erwachsenen aus Dänemark belegt Störungen der Sexualität bei beschnittenen Männern und deren Partnerinnen in Form von Orgasmusstörungen und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr (14). Gestützt wird die Studie durch weitere Ergebnisse aus Südkorea, wonach bei 68 Prozent später Schwierigkeiten bei der Onanie auftraten, sowie bei 20 Prozent eine Verschlechterung des Sexuallebens (15).
Weitere Studien belegen, dass Säuglinge gegenüber dem Erwachsenen ein erhöhtes Schmerzempfinden haben, zumindest jedoch kein geringeres (16). Die bereits im Uterus beim Ungeborenen empfundenen Schmerzen wurden schon vor Jahrzehnten seitens der Bundesärztekammer bestätigt (17). Die Schmerzbehandlung durch lokale äußerliche Applikation (z.B. EMLA Salbe) ist obsolet (18), zudem werden post- operative Schmerzustände durch eine Anästhesie während der Operation nicht abgedeckt, obgleich diese mehrere Tage bis Wochen andauern. Diese neuen Studienergebnisse bestätigen frühere Studien (19) (20).
Guevara K.
Forschender Arzt am Zentrum für Allgemeine Pädiatrie und Neonatologie einer Universitätsklinik in Deutschland
Anmerkungen
(1) Kyriss T, Schneider NK., The development of scientific consultants: how the tobacco industry creates controversy on the carcinogenicity of tobacco-specific nitrosamines. 2012 http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22940678
(2) Dov Maimon & Nadia Ellis, The Circumcision Crisis: Challenges for European and World Jewry, 2012
(3) Phimose und Paraphimose, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, 2010
(4) Pieretti RV, Goldstein AM, Pieretti-Vanmarcke R., Late complications of newborn circumcision: a common and avoidable problem, Pediatr Surg Int. 2010 May; 26 (5) : 515-8. Epub 2010 Feb 14. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20155423
(5) Van Howe RS.,Incidence of meatal stenosis following neonatal circumcision in a primary care setting. Clin Pediatr (Phila). 2006 Jan-Feb;45(1):49-54. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16429216
(6) Joudi M, Fathi M, Hiradfar M., Incidence of asymptomatic meatal stenosis in children following neonatal circumcision.J Pediatr Urol. 2011 Oct;7(5):526-8. Epub 2010 Sep 18 http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20851685
(7) Osifo OD, Oriaifo IA, Circumcision mishaps in Nigerian children. Ann Afr Med. 2009 Oct-Dec;8(4):266-70. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20139551
(8) Crabb C., Male circumcision to prevent heterosexual HIV transmission gets (another) green light, but traditional circumcision in Africa has ‘shocking’ number of complications, AIDS 2010, Vol 24 No 1
(9) Ahmed A, Kalayi GD., Complications of traditional male circumcision, Ann Trop Paediatr. 1999 Mar;19(1):113-7 http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/10605531
(10) Dieth AG, da Silva-Anoma S., Accidents of circumcision in children in Abidjan, Côte d'Ivoire Bull Soc Pathol Exot. 2008 Oct;101(4):314-5. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18956813
(11) Circumcision: People have a right to choose, December 2012, The Standard http://www.thestandard.co.zw/2012/12/02/circumcision-people-have-a-right...
(12) CDC, Neonatal Herpes Simplex Virus Infection Following Jewish Ritual Circumcisions that Included Direct Orogenital Suction — New York City, 2000–2011, June 8, 2012 / 61(22);405-409 http://www.cdc.gov/mmwr/preview/mmwrhtml/mm6122a2.htm
(13) Lost Boys: An Estimate of U.S. Circumcision-Related Infant Deaths, Thymos: Journal of Boyhood Studies, Volume 4, Number 1 / Spring 2010
(14) Frisch M, Lindholm M, Grønbæk M., Male circumcision and sexual function in men and women: a survey-based, cross-sectional study in Denmark.Int J Epidemiol. 2011 Oct;40(5):1367-81. Epub 2011 Jun 14. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21672947
(15) Kim D.,Pang M., The effect of male circumcision on sexuality, 2006 http://www.mgmbill.org/kimpangstudy.pdf
(16) P J Mathew, J L Mathew, Assessment and management of pain in infants, Postgrad Med J 2003;79:438–443 http://pmj.bmj.com/content/79/934/438.full.pdf
(17) Vilmar, K. (Präsident BÄK), Bachmann, Pränatale und perinatale Schmerzempfindung http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/Praenatalpdf.pdf
(18) Paix BR, Peterson SE., Circumcision of neonates and children without appropriate anaesthesia is unacceptable practice. Anaesth Intensive Care. 2012 May; 40 (3) : 511-6. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22577918
(19) Taddio A, Koren G., Combined analgesia and local anesthesia to minimize pain during circumcision. Arch Pediatr Adolesc Med. 2000 Jun;154(6):620-3. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/10850512
(20) Taddio A, Koren G., Effect of neonatal circumcision on pain response during subsequent routine vaccination.Lancet. 1997 Mar 1;349(9052):599-603. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/9057731