(hpd) Achteinhalb Jahre hat Jörg Schnückel auf einer Waldorfschule verbracht. Die Lektüre des Buches von Irene Wagner war insofern auch ein Blick zurück auf die eigene Biographie. Nachhaltig beeinflusst hat ihn diese Zeit offenbar nicht, denn das heutige Vorstandsmitglied des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) blickt zwar ohne Zorn zurück, aber doch aus gehöriger Distanz.
1973, meine Grundschulzeit hatte ich erfolgreich hinter mich gebracht und es stand der Schulwechsel an. Die Entscheidung meiner Eltern fiel für ihren Erstgeborenen auf die Waldorfschule. Als Profiteure der Wirtschaftswunderjahre und wohl mangels ausreichender Auswahl in der näheren Umgebung und vielleicht auch aus Gründen, die mir nie bekannt wurden, lag die Entscheidung nahe, den Filius auf ein Waldorfinternat zu schicken.
Schloss Hamborn in der Nähe von Paderborn musste mich die nächsten vier Jahre ertragen. Da sich zwischenzeitlich auch in Dortmund eine Waldorfschule etablierte und aus einem Baracken-Provisorium in ein eigenes stumpfeckiges, in Omas-Schlüpfer-Farben gestaltetes Schulgebäude umgezogen war und ein Schulbusnetz in weitem Umkreis die Delinquenten einsammelte, stand für mich nach der achten Klasse ein weiterer Schulwechsel an und ich konnte wieder zu Hause wohnen.
Die zweite Fremdsprache war nun nicht mehr Latein, sondern es galt, ab jetzt „sieben“ Jahre Russisch nachzuholen, etwas anderes wurde nicht angeboten. Dies verfolgte mich bis ins dreizehnte Schuljahr. Da unsere Klasse die Gründungsklasse der Dortmunder Waldorfschule war, es nie eine Klasse über uns gab und an uns sozusagen jeder „Quatsch“ ausprobiert wurde, bekam die Schule dann die Quittung. Externe, unabhängige Prüfer attestierten der gesamten Klasse keine ausreichenden Leistungen in den Fremdsprachen, vor allem in Russisch. Zum Ende der zwölften Klasse waren plötzlich Englisch- und Russischlehrerin von der Bildfläche verschwunden und wurden durch neue, bisher an der Schule nicht bekannte Lehrer ersetzt. Kurz vor den Weihnachtsferien, in der Dreizehnten, musste dann die ganze Klasse zur Russischnachhilfe ans Dortmunder Auslandsinstitut. Es stand wohl generell die Abiturabnahme für die Schule auf der Kippe. Mit vier Mitschülern beendete ich im Februar vor den Abiprüfungen unter Protest meine waldörfliche Schulkarriere und verließ somit, lediglich mit einer Bescheinigung über eine bestandene Fachhochschulreife, die Stätte der Gymnastikschlappen und Eurythmiekittel.
Vor diesem Hintergrund ist es also auch nicht verwunderlich, dass ich mich hin und wieder mit waldorf- und anthrokritischer Lektüre auseinandersetze.
„Rudolf Steiners langer Schatten“ von Irene Wagner, dieses Jahr im Alibri Verlag erschienen, bietet einen, wie ich meine, umfassenden Ein- und Überblick in die absurde, esoterisch-okkulte Welt der anthroposophischen Umtriebe. Die Autorin, selbst Diplom-Pädagogin mit praktischen Erfahrungen als Lehrerin und im Umgang mit Lernbehinderten sensibilisiert, schafft es wunderbar, einen Bogen über die geschichtlichen Wurzeln der Anthroposophie, die Verhältnisse unter und zu den Nazis, die Waldorfpädagogik an sich, die anthroposophische Medizin und die biologisch-dynamische Landwirtschaft zu schlagen.
Persönlich betroffen war sie aber lediglich als „Waldorfkindergartenmutter“ und das auch nur für einen kurzen Zeitraum. Im Laufe des Buches wird aber deutlich, dass Irene Wagner mit „vollem Körpereinsatz“ recherchiert hat und so aus einigen Lehrerseminaren, Schulveranstaltungen und Gesprächen mit Waldorfianern zu berichten weiß.
Auch wenn meine (Waldorf-) Schulzeit nun mehr als dreißig Jahre her ist, und die Erkenntnisse im Buch sich doch auf wesentlich jüngere Erfahrungen stützen, so konnte ich nicht umhin, schmunzelnd, aber auch bestürzt, vieles wiederzuerkennen. Natürlich habe ich mich damals gefragt ,warum wir in der 6. oder 7. Klasse nahezu ein ganzes Schuljahr mit nordischen Götter- und Heldensagen, Parzival und dem Nibelungenlied verbrachten. Auch die mir schon damals sehr suspekt vorkommenden Geschichten von Atlantis fanden sich nicht im Lehrstoff meiner ein Jahr jüngeren Schwester, die ein Gymnasium besuchte, wieder. Wenn einem dann aber, wie im Buch recht sachlich und in der nötigen Kürze dargelegt, die Hintergründe, Steiners Philosophie, seine darauf begründete Wurzelrassenlehre und seine „vier Leiber Theorie“ einschließlich anthroposophischer Karmalehre bewusst werden, dann dämmert es, dass hier, auf subtile Art und Weise, schon im Kindesalter die Voraussetzungen für ein Leben in einer weltfremden Parallelgesellschaft geschaffen werden.
Fairerweise muss gesagt werden, dass im Buch sowohl Waldorfeltern mit negativen, als auch mit positiven Erfahrungen zu Wort kommen. Natürlich weiß auch ich von vielen positiv beeindruckten Eltern und Schülern zu berichten. Diese positive Einschätzung setzt aber auch ein entsprechend hohes Maß an Assimilation in die Waldiwelt voraus. In der Regel bedeutet das parallel eine Abnabelung von der normalen Realität. Sektenähnlich bleibt man dann doch lieber unter sich, denn die Anderen verstehen einen ja sowieso nicht.
Mir hat das Buch, trotz der Lektüre anderer kritischer Werke zur Steinerschen Welt, neue und interessante Sichten eröffnet. An einigen Stellen im Buch verlässt die Autorin dann auch mal den Pfad der sachlichen Betrachtung und sie kommt nicht umhin, hier und dort ein wenig Sarkasmus und Häme zu zeigen. Das wiederum sollte aber keinen stören, denn bei der Menge an Absurditäten ,die offenbart werden, muss man einfach auch mal Druck ablassen können.
Ob nun als Kontrastprogramm zum waldorftypischen Friede, Freude, Eierkuchen-Singsang oder für kritische Außenstehende, das Buch bietet einige erhellende Einblicke ins, von unseren Steuergeldern geförderte, Absurdistan der Waldorfschulen.
Jörg Schnückel
Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.