Notizen aus Polen (3)

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Polnische Flagge (Ausschnitt) / Abb. dgap

POLEN. (hpd) Bemerkenswertes aus säkularer Sicht (Zeitraum 14.01. – 03.02.13). Eine transsexuelle Ab­ge­ordnete erhält möglicherweise eine führende Rolle im Parlament, der Homokaust in deutschen Konzentrations­lagern auf polnischem Boden, ein Gericht entscheidet, dass Opus Dei keine Geheim­organisation ist und die polnische Regierung geht im Fall „Agata“ nicht in Berufung.

Transsexuelle Abgeordnete erhält führende Rolle im Parlament?

Seitdem die linksliberale Palikot-Bewegung (RP) Ende 2011 nach einem über­raschend guten Wahlergebnis von 10 Prozent als neue Kraft ins polnische Parlament einzog, fühlen sich konservative Kreise regelmäßig von dieser Partei provoziert. Denn RP vertritt äußerst liberale Positionen in Bezug auf viele gesell­schaftlich relevante Themen wie weiche Drogen, Abtreibung, gleich­geschlecht­liche Partner­schaften und Kirchen­­finanzierung. Diese Ansichten manifestieren sich nicht nur in der parla­men­ta­rischen und gesellschaft­­lichen Diskussion, sondern auch in sogenannten Happenings. Zum Beispiel hat der Gründer der Partei Janusz Palikot mit seinen Anhängern Anfang 2010 in unmittelbarer Nähe des Parlaments­­gebäudes etwas geraucht, was die Form eines Joints hatte.

Nun spaltet die Kandidatur der Parlaments­­abgeordneten der Palikot-Bewegung Anna Grodzka als Vize-Marschallin die politische Szene. Dieses Amt entspricht in Deutschland dem Stell­vertreter des Bundestags­­präsidenten. Zurzeit ist Wanda Nowicka von der Palikot-Bewegung Vize-Marschallin – sie soll jedoch abberufen werden aufgrund eines Skandals über Bonus­­zahlungen, die sie aufgrund des Amtes erhalten hat.

Führende Vertreter der Palikot-Bewegung einigten sich Ende Januar auf Anna Grodzka als Nachfolgerin für Wanda Nowicka. Grodzka ist die erste Frau nach einer Geschlechts­­umwandlung im polnischen Parlament; allein diese Wahl hat in einigen konservativen Kreisen der polnischen Politik und Gesellschaft für Aufschrei und Empörung gesorgt. Schon seit Tagen wird eine intensive Debatte in den polnischen Medien über ihre Kandidatur als Vize-Marschallin geführt.

Besonders sticht in der Debatte die Abgeordnete der Partei Rechte und Gerechtigkeit (PiS) Prof. Krystyna Pawlowicz heraus. Die Abgeordnete hatte mehrfach im Parlament und in Fernseh­interviews die Illegitimität dieses Vorschlags betont. Sie sagte unter anderem, dass Grodzka „das Gesicht eines Boxers“ hätte und es ist ihrer Meinung nach nicht so, dass „jemand der Hormone frisst und sich etwas operiert, zu einer Frau wird“. Auch der polenweit bekannte konservative Kommentator Tomasz Terlikowski schrieb auf einem Internet­portal, dass es „Grenzen der Peinlich­keiten gibt, die man nicht über­schreiten darf.“ Denn laut Terlikowski wird die Autorität dieses Amtes durch einen „Mann, der sich für eine Frau ausgibt“ untergraben. Pawlowicz und Terlikowski sind keine Einzelfälle, sondern vertreten die Meinung einer großen Gruppe von Menschen in der polnischen Gesellschaft.

Die Palikot-Bewegung hingegen verteidigt die Kandidatur von Grodzka und weist drauf hin, dass die Partei selbst entscheidet, wen sie für dieses Amt vorschlägt. Rücken­deckung erhält die Abgeordnete vom Premier­minister Donald Tusk, der „keine Problem darin sieht, dass Frau Grodzka Funktionen im Staat oder Parlament inne hat.“

Ob die Kandidatur der Abgeordneten die Zustimmung des Parlaments erhält, ist mehr als fraglich. Entscheidend wird sein, wie viele konservative Abgeordnete der regierenden liberal­konservativen Bürger­plattform (PO) ihr die Zustimmung verweigern. (Quelle 1), (Quelle 2), (Quelle 3), (Quelle 4) und (Quelle 5). (Alle Polnisch)

Homokaust in deutschen Konzentrationslagern auf polnischem Boden

Das Internetportal Racjonalista.pl berichtete Ende Januar vom Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, der am 27. Januar begangen wird. Der Gedenktag wurde 1996 in Deutschland eingeführt, aber erst 2005 von den Vereinten Nationen zu einem inter­nationalen Gedenktag erklärt. Gewählt wurde das Datum, da an diesem Tag 1945 die Rote Armee das deutsche Konzentrations­lager Auschwitz-Birkenau auf polnischem Boden befreite. Erinnern soll der Gedenktag an alle durch den National­sozialismus ermordeten und geschädigten Menschen verschiedenster Nationalitäten und Religionen.

Der Beitrag auf der Seite Racionalist.pl möchte insbesondere an die Zehntausenden von Homosexuellen erinnern, die durch National­sozialisten ermordet wurden. Bezeichnet wird die systematische Ermordung dieser Gruppe als Homokaust und ferner wird berichtet, dass dieses Thema noch immer ein Tabu darstellt. Menschen homosexueller Orientierung sollen demnach nie den Status von vollwertigen Opfern des NS-Regimes erhalten haben, da sie nicht nur von den National­sozialisten, sondern unter anderem auch von den Kommunisten dis­krimi­niert wurden. Auch sollen diese nach der Befreiung des Konzen­trations­lagers in andere Gefängnisse gebracht worden sein, um weiter ihre Strafe abzusitzen.

Das Internetportal weist ferner darauf hin, dass in Osteuropa und Russland immer stärkere Bestrebungen erkennbar seien, homophobe Ansichten in der heutigen Zeit zu propagieren sowie Homo­sexualität zu kriminalisieren und zu verbieten. Eine ähnliche Entwicklung sehe man in dem krisen­geschüttelten Westeuropa, wo Mechanismen der Sünden­bock­theorie greifen sollen.

In Polen rückt das Thema Homosexualität gerade durch zwei Debatten in den Fokus der Öffentlich­keit. Zum einen wird über gesetzliche Regelungen in Bezug auf eingetragene Partner­schaften debattiert und zum anderen über ein mögliches Mitglied des Präsidiums des polnischen Parlamentes Anna Grodzka von der Palikot-Bewegung, die erste Abgeordnete nach einer Geschlechts­umwandlung im Sejm. (Quelle) (Polnisch)

Gericht entscheidet: Opus Dei ist keine Geheimorganisation

Anfang Februar berichteten die liberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza und die katholische Wochenzeitung Gosc Niedzielny über ein Gerichts­urteil bezüglich eines Artikels des Wochenmagazins Newsweek über Opus Dei.

Im November 2011 hatte das Magazin einen Leitartikel zu der Laien­organi­sation der katholischen Kirche verfasst, in dem diese als Geheim­organi­sation beschrieben wurde. In dem Artikel sind ferner wichtige Menschen aus der Politik genannt worden wie Außen­­minister Radoslaw Sikorski und Justiz­minister Jaroslaw Gowin, die Verbin­dungen zu dieser Organisation haben sollen, obwohl sie das abstreiten.

Dagegen klagte Opus Dei – die Organisation beschreibt sich selbst als nicht geheim handelnd. Jeder kann sich demnach um eine Mit­glied­schaft bemühen. Auch habe sie kein Netz von Schulen in einigen Städten Polens, sondern nur eine kulturell-informative Einrichtung.

Vor einigen Tagen entschied das zuständige Gericht zugunsten der Laien­organisation und verurteilte Newsweek zur Publikation einer Richtig­­stellung und einer Erklärung von Opus Dei. Das Urteil ist nicht rechtskräftig; Newsweek hat angekündigt, in Berufung gehen zu wollen. (Quelle 1) und (Quelle 2). (Beide Polnisch)

Polnische Regierung geht im Fall „Agata“ nicht in Berufung

Im Jahr 2008 wurde ein 14-jähriges Mädchen aus Lublin nach dem Geschlechts­verkehr mit ihrem Freund schwanger. Das Mädchen entschied sich für eine Abtreibung, die ihr jedoch massiv erschwert wurde, obwohl in diesem Fall der Schwanger­schafts­abbruch rechtlich zulässig ist.

Die 14-Jährige traf in ein Krankenhaus in Lublin mit einer Bescheinigung der Staats­­anwaltschaft ein, die ihr die Abtreibung ermöglichen sollte. Das Krankenhaus verweigerte jedoch den Eingriff, genauso wie ein weiteres Kranken­haus in Warschau. Letztendlich hatte die damalige Gesundheits­ministerin Ewa Kopacz ein Kranken­haus in Danzig angewiesen, die Abtreibung durchzuführen. Der Fall wurde unter dem Namen „Agata“ polenweit bekannt – katholische Medien hatten dazu aufgerufen, dem Mädchen die Abtreibung zu verweigern.

Das Mädchen klagte daraufhin mit ihrer Mutter zusammen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschen­rechte (EGMR). Dabei bemängelt sie nicht nur die massive Erschwerung der Durchsetzung ihres Rechts auf Abtreibung, sondern auch die Informations­politik des ersten Krankenhauses in Lublin. Dieses soll den Fall „Agata“ publik gemacht haben.

Ende Oktober 2012 wurde das Urteil zugunsten der Klägerin gefällt – eine Entschädigung von 45.000 Euro muss nun vom polnischen Staat an das Mädchen und ihre Mutter gezahlt werden, da die Berufungs­frist abgelaufen und das Urteil somit rechtskräftig ist. Weitere 16.000 Euro muss der Staat aufgrund der entstandenen Ver­fahrens­kosten zahlen. (Quelle 1), (Quelle 2) und (Quelle 3). (Alle Polnisch)

Lukas Plewnia

Notizen aus Polen (2) (14.1.2013)

Notizen aus Polen (18.12.2012)