Lost Property Wasted Life

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Fotos: Andrea Krizsai

UNGARN. (hpd) "Gib mir die Kontrolle über die Währung einer Nation, dann ist es für mich gleichgültig, wer die Gesetze macht." Das sagte einst Amschel Meyer Rothschild, der Schöpfer der Rothschilddynastie, eine Bankerfamilie, die sich im Laufe der Zeit zu einer europäischen Finanzinstitution entwickelt hat. Diese Anschauung scheint sich bis in die heutige Gegenwart durchgesetzt zu haben.

Viele Sektoren der Geldpolitik sind in jedem einzelnen Staat unterschiedlich defniert. Auch was die Vergabe von Hypotheken und unter anderem auch von Fremdwährungskrediten anbelangt, so gibt es keine allgemeine, klar determinierte Regelung, die international oder innerhalb der Eurozone greift. Gerade im Osten Europas existieren viele Länder, die nicht der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) angehören. Ausländische Banken, beispielsweise aus Österreich, der Schweiz und Deutschland müssen sich in deren Länder an streng ausgearbeitete Gesetze und Regelungen halten. Demzufolge nutzen sie ihre "Freiheiten" im Rest von Europa, vor allem im Osten, um so mehr aus. Besonders in den letzten Jahren wurden in Ländern wie Kroatien, Polen, Rumänien und Ungarn Hypotheken an Staatsbürger vergeben, die die Banken unter dem Namen "Fremdwährungskredite" anpriesen.

Ein Fremdwährungskredit ist ein Kredit, der in einer anderen als der eigenen Währung aufgenommen wird. Es handelt sich dabei um reine Spekulationsformen, bei der die gewährte Summe und der Kreditzins in Abhängigkeit von dem fexiblen Währungswechselkurs sinken, sich aber auch erhöhen können.

In Ungarn wurde diese Art von Darlehen seit 2004 massenweise in der einheimischen Währung Forint (HUF) vergeben. Die Bankschulden werden ebenfalls in Forint beglichen. Sie sind lediglich in einer Fremdwährung registriert, nämlich in Euro oder Schweizer Franken. Dementsprechend handelt es sich bei den in Ungarn gewährten Krediten nicht um Fremdwährungskredite, wie von den Banken behauptet. Die Risiken für den Kreditnehmer sind jedoch die selben.

In Ungarn heißt es: "Man kann keinen Ziegelstein werfen, ohne jemanden zu treffen, der keinen sogenannten 'Fremdwährungskredit' genommen hat." Ungarische Experten und auch die aus den umliegenden Ländern verkündeten damals, wie sicher diese Art von Darlehen sei. Die Banken warben enorm für diese Form von Hypothek und versuchten sie an den Mann zu bringen. Andere Kreditformen wurden den Kunden so gut wie nie vorgeschlagen, teilweise wurde ihnen sogar davon abgeraten.

Die Ungarn glaubten diesen Hypothesen und nahmen reihenweise Fremdwährungskredite auf. Doch die einheimische Währung verlor, entgegen dieser Prophezeiungen, unaufhörlich an Wert. Somit stiegen die Tilgungsraten innerhalb ein paar Monate um bis zu 40 Prozent. Bereits seit 2001 warnen Finanzberichte aus Österreich vor den Gefahren der Fremdwährungskredite. Aufgrund des akuten Anstieges der Risiken für die Finanzstabilität stellte die österreichische Finanzmarktaufsicht erste minimale Forderungen für die Kreditvergabe innerhalb des Landes. Von diesem Maßstab waren lediglich die Banken betroffen, die diese Art von Kredit vergaben. Es handelte sich dabei unter anderem um die Begrenzung der vergebbaren Kreditsumme, um eine verschärfte Überprüfung der Sicherheiten und um die fnanzielle Situation der Kreditnehmer.

In Ungarn kamen erste Regelungen im Jahr 2009. Zu spät, wie es schien, da zu diesem Zeitpunkt kein ungarischer Bürger mehr diese Art von Kredit aufnehmen wollte.

Die Vergabe der Anleihen verlief nicht so, wie man es in Deutschland kennt – das Einkommen des Kreditnehmers spielte dabei keine Rolle und wurde deshalb nicht überprüft. Die einzige Voraussetzung bestand darin, Eigentümer einer Immobilie zu sein, die als Sicherheit dienen sollte.

Während des kommunistischen Regimes von 1956 bis 1989 wurden staatliche Kredite ohne Zinsen vergeben. Vor allem in dieser Zeit kamen mehr und mehr Ungarn in den Besitz einer Eigentumswohnung oder eines Eigentumshauses. Somit erfüllte ein großer Prozentsatz der ungarischen Bürger die von den Banken gestellte Prämisse.

Die Immobilien wurden vor der Vergabe des sogenannten Fremdwährungskredites von Gutachtern des kreditgebenden Finanzinstitutes geschätzt. Meist handelte es sich dabei um eine Überbewertung der Immobilien.

Im Falle des Platzens einer solchen Hypothek, aufgrund einer Zahlungsunfähigkeit der Kunden wurde der Kreditvertrag seitens der Banken gekündigt, die Kreditnehmer hafteten mit ihren Eigenheimen und die Restschuld wurde zur sofortigen Fälligkeit gestellt. Die Gutachter beurteilten das Eigentum erneut und kamen zu dem Entschluss, dass die Eigenheime doch nicht dem zunächst geschätzten Wert entsprachen und unterbewerteten sie.

Die ungarische Familie M., aus Szolnok, hat im Jahr 2004 ebenfalls eines dieser ominösen Darlehen bei der Raiffeisenbank aufgenommen. Mit dem Geld der Bank wollten sie ihr renovierungsbedürftiges Eigentumshaus sanieren, welches als geforderte Sicherheit für den Kredit diente. Vor der Kreditnahme wurde das Haus auf zwölf Millionen HUF geschätzt. Das entspricht ca. 40.000 Euro. Als im Laufe der Jahre die Tilgungsraten immer mehr in die Höhe schossen, konnte die Familie die monatliche Rechnung nicht mehr bezahlen. Somit wurde der Vertrag durch die Bank gekündigt. Anschließend wurde das Haus einer erneuten Schätzung unterzogen. Das Ergebnis der zweiten Schätzung lag nur noch bei sieben Millionen HUF (ca. 23.000 Euro) und das obwohl die Renovierungsarbeiten bereits abgeschlossen waren. Dass die Familie in das Haus investiert und durch die Sanierung aufgewertet hatte, wurde bei der Schätzung nicht berücksichtigt.

Durch die falschen Kalkulationen der Banken entstand bei den meisten Betroffenen ein doppelter Schaden. Trotz der zunächst beteuerten Sekurität verloren sie nicht nur ihr Zuhause, sondern hatten noch zusätzliche Schulden, die den Geldinstituten zurückgezahlt werden mussten.

Es stellt sich die Frage, wie die Regierungen dieser Länder auf die Entwicklung der Situation reagiert haben, um den Bürgern zu helfen. Die polnische Regierung war die einzige, die noch rechtzeitig eingegriffen hat. Dort wurden die Kredite unverzüglich auf die nationale Währung Zloty umgeschrieben. Infolgedessen konnten sich weder der Kredit selbst noch die Zinsen weiter erhöhen.

In Ungarn dagegen wurde seitens der Regierung nicht ausreichend gehandelt. Die Kredite und Zinsen sind kontinuierlich gestiegen und demnach auch die Schulden der Betroffenen. Es wurde einzig und alleine mit dem Bankenverband verhandelt, das "Végtörlesztés"-Gesetz zu verabschieden. Es führt die Möglichkeit ein, den Restbetrag zu einem festen Kurs auf einmal zurück zu bezahlen. Dies ist aber nur vor der Kündigung des Kreditvertrages machbar. Die Mehrheit der Betroffenen hatte allerdings bereits Schwierigkeiten, die monatlichen Raten zu bezahlen. Deshalb stand diese Lösung für die meisten erst gar nicht zur Diskussion. Andere Bürger versuchten ihre Immobilien zu verkaufen, doch sie wurden von den Banken nicht aus dem Vertrag gelassen, obwohl teilweise sogar Käufer gefunden werden konnten.

Bis heute machen sich die Folgen der Misere bemerkbar. Es warten nach wie vor schätzungsweise 200.000 Haushalte auf die Zwangsräumung. Da es in Ungarn üblich ist, dass mehrere Generationen zusammen leben, ist auch ein großer Teil der Bevölkerung betroffen. Immer mehr Menschen sind mittlerweile obdachlos, aufgrund der massiven Anzahl von Räumungen. Zwar können einige Unterschlupf bei Freunden und Bekannten fnden, doch ändert das letzten Endes nichts an ihrer Situation. Mit dem Geld, dass sie verdienen, müssen sie einerseits ihre Familie versorgen, andererseits in monatlichen Raten die Bankschulden begleichen. Dabei noch Geld für eine neue Unterkunft aufzubringen scheint schier unmöglich. Die Situation dieser Menschen ist ausweglos. Viele Familien werden getrennt – sobald es zur Obdachlosigkeit kommt werden den Eltern ihre Kinder genommen und in Heimen untergebracht.

Laut Aussagen der Aktivisten ist die Selbstmordrate in Ungarn enorm angestiegen. Die Verzweifung reicht ins Unermessliche. Zusätzlich zu dem Verlust ihres Zuhauses erdrückt sie die Last der Schulden. Die Sicherheiten, die ihnen versprochen wurden, waren keine. Sie stecken in einem Teufelskreislauf, aus dem sie ohne fremde Hilfe keine Chance haben zu entkommen.

Friederike Thieme

Weitere Fotos aus dem Projekt von Andrea Krizsai auf der Folgeseite.