Neue Formen von Diktatur

(hpd) Der renommierte Journalist William J. Dobson macht in seinem Reisebericht „Diktatur 2.0“ deutlich, dass sich heutige autoritäre Regime keineswegs immer mit brutalen Repressionen durchsetzen müssen. Seine anschauliche, aber unsystematische Beschreibung veranschaulicht am Beispiel von Ägypten und China, Russland und Venezuela die neuen Legitimationstricks solcher undemokratischen Systeme.

Anfang der 1990er Jahre kursierte die Formel „Ende der Geschichte“, womit ein endgültiger Sieg des politischen Modells westlicher Demokratie gemeint war. Argumente hierfür gab es seinerzeit schon, brachen doch die kommunistischen Diktaturen in Osteuropa zusammen. Außerdem lösten sich andere repressive Regime wie etwa das der Apartheid in Südafrika auf. Und die anderen autoritären und totalitären Systeme gerieten zumindest außenpolitisch in eine Legitimationskrise. Gleichwohl hat sich die mit der Formel „Ende der Geschichte“ einhergehende Hoffnung auf eine „Ende der Diktaturen“ nicht erfüllt. Man muss vielmehr von einem Strukturwandel solcher politischer Herrschaftssysteme ausgehen, welche eben nicht nur auf offenkundige Repression setzen. Darauf macht der Asienwissenschaftler und Jurist William J. Dobson, der als Journalist für so renommierte Publikationsorgane wie „Foreign Affairs“ und „Newsweek International“ schreibt, in einer Art politischem Reisebericht mit dem Titel „Diktatur 2.0“ aufmerksam.

Die erwähnte politische Gesamtsituation einerseits und die Möglichkeiten des Internets andererseits führten zwar heute dazu, dass den Despoten der Welt größerer Widerstand als jemals zuvor in der Geschichte entgegen gebracht wird. Gleichwohl reagierten sie sehr wohl auf solche Veränderungen. Nicht die Diktatur an sich, sondern ihr Wesen habe sich geändert: „Die heutigen Diktatoren und autoritären Herrscher sind weitaus raffinierter, gerissener und wendiger als früher. ... Heutige Diktatoren wissen, dass in einer globalisierten Welt die brutaleren Formen der Einschüchterung – Massenfestnahmen, Exekutionskommandos und gewaltsames Vorgehen – durch subtilere Formen des Zwangs ersetzt werden sollten“. (S. 16f.)

Nach außen wirkten viele autoritäre Regierungen fast demokratisch, was einen genauen Blick in ihre inneren Gegebenheiten notwendig mache. Dabei könne man etwa feststellen, dass die Benachteiligungen und Schikanen die Verbotsmaßnahmen und Verhaftungen mit ähnlichen Folgen abgelöst hätten.

Dies macht Dobson in seinem „Frontbericht“ – so der Untertitel – deutlich: Der Autor reiste um die Welt und sprach mit Journalisten, Oppositionellen und Regimevertretern in Ägypten, China, Russland und Venezuela. Herausgekommen ist dabei ein politischer Reisebericht, kein politikwissenschaftliches Werk. Die formale Präsentation vermittelt indessen einen tiefen Einblick in die jeweilige politische Situation in bestimmten Ländern.

Besonders interessant und spannend wirkt die Schilderung zur Herrschaft von Hugo Chávez in Venezuela, da es sich hier um ein formal durch Wahlen legitimiertes Regime handelt. Dobson kommentiert: „Chávez’ wichtigste politische Strategie besteht darin, die Venezolaner gegeneinander auszuspielen. Er mobilisierte das gewonnene Segment der Gesellschaft aktiv gegen die übrigen Segmente“ (S. 146). Das wichtigste Instrument dazu seien gerade die Wahlen, wobei mit bestimmten Manipulationen und Tricks gearbeitet würde. Diese führten in Verbindung mit einer einschlägigen Personalpolitik zur Konzentration der Macht im Staat.

Diese Mechanismen macht Dobson mit den Schilderungen seiner Eindrücke von Gesprächen und Reisen deutlich. Er idealisiert dabei nicht den Gegensatz von autoritären Regimen und westlichen Demokratien, heißt es doch etwa: „Bei Wahlen griff Chávez auch zu den schmutzigen Tricks, die in allen Demokratien bekannt sind. So betrieben seine Wahlfachleute mit Vorliebe Wahlkreisverschiebungen, wie sie einst im tiefen Süden der USA eingesetzt worden waren, um afroamerikanische Kandidaten von den von Weißen dominierten gesetzgebenden Kammern fernzuhalten“ (S. 154).

Solche Sätze sensibilisieren nicht nur bezüglich der neuen Tricks in den Diktaturen 2.0, sondern auch gegenüber Gefahren für die Demokratie in westlichen Gesellschaften. Hierin liegen die Stärken des Bandes, der aber mehr als Reisebericht daher kommt. Insofern fehlt es dem Inhalt an Systematik und Zuspitzung. Die Schlüsse bezüglich des Verständnisses von Demokratie und Diktatur in unserer Zeit muss man selbst ziehen. Genügend wichtige Anregungen dazu findet man bei Dobson.

Armin Pfahl-Traughber

William J. Dobson, Diktatur 2.0. Ob Russland oder Ägypten, China oder Syrien: Diktaturen sind kein Auslaufmodel. Doch nichts fürchten sie mehr als das eigene Volk. Ein Frontbericht. Aus dem Englischen von Enrico Heinemann und Karin Schuler, München 2012 (Karl Blessing Verlag), 495 S., 19,95 €.