Patientenverfügungen im Gesetzgebungsverfahren

BERLIN. Von Altbundeskanzler Helmut Kohl soll die Weisheit stammen,

dass die Familiendebatten unter dem Tannenbaum kommende Wahlen entscheiden. Die jetzige Regierung steht vor keinen Wahlen. Wohl deshalb haben führende Vertreter der Koalitionsparteien sich entschieden, dieses Jahr sehr körperbetonte Gesprächsstoffe ins Fest zu geben.

 

So geht es um das Rauchverbot, die Gesundheitsreform, Körperpflege und Barttrachten, speziell bei Arbeitslosen und Politikern, die anderen das Rasieren empfehlen, aber selbst mitunter Dreitagestoppeln schätzen.

 

Körperbetont, wenn auch in einem etwas andren Sinne und nicht so in den Vordergrund gestellt ist die aktuell begonnene gesetzliche Verankerung des Patientenwillens in einem möglichen Patientenverfügungsgesetz oder per Verankerung im BGB. Der <hpd> berichtete darüber in den Meldungen 69, 531 und 557. Debatten von Experten im Fernsehen und in Internetforen zum Thema nehmen inzwischen zu, so auch als Internetvideo via <switchX> . Wer (die technischen Voraussetzungen im eigenen PC vorausgesetzt) dort unter November 2006 an- und sich dann zu Bildung und Wissenschaft vom 28.11. durchklickt, bekommt „Patientenverfügung – Medizin am Ende?“ zu sehen.

 

Das Deutsche Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften <(drze)>  ist unverdächtig, religiös oder weltanschaulich motivierte Botschaften in die Welt zu setzen. Hier findet sich die wohl ausführlichste Einführung in die gesamte Problematik der Patientenverfügungen in ihrem Bezug zum Thema Sterbehilfe und mit entsprechenden weiterführenden Links zu Gesetzestexten und diversen Urteilen wie Gutachten.

 

Im politischen Bereich (im Deutschen Bundestag) ist das Vorspiel zum Gesetzgebungsverfahren „aus der Mitte des Hauses“ nun in Gang gekommen, wie es am 29. Juni die CDU-CSU-Abgeordnete <Ute Granold> angekündigt und die <SPD-Fraktion>  bestätigt hat. Damit war der Weg in den Koalitionsparteien klar. Die ersten <Presseberichte> über Positionen liegen vor.  Danach hat es den Anschein, es käme zu einem Duell Joachim Stünker (SPD) versus Wolfgang Bosbach (CDU). <Radio Vatikan>  hat das sofort kolportiert.

 

Stünker, so heißt es, gibt dem Selbstbestimmungsrecht im Prinzip Vorrang. Danach dürfte ein Patient auch dann den Abbruch von Behandlungen festlegen, wenn die Erkrankungen noch heilbar sind. Bosbach hingegen vertritt die Meinung, dass in jedem Fall das Vormundschaftsgericht eingeschaltet werden müsse, auch wenn der Patient eine Verfügung zum Behandlungsabbruch niedergelegt habe. Das Vormundschaftsgericht müsste danach immer ermitteln, ob der Wille, den der Patient früher geäußert hat, noch aktuell ist. Das muss man sich dann praktisch vorstellen und weiß, das wird nichts.

 

Vielleicht berichtet deshalb <dpa>  von drei Positionen. Die dritte wolle Bosbach ebenfalls selbst formulieren. Er wolle vor allem eine Regelung für den Fall erreichen, dass ein Mensch ins Wachkoma fällt und zuvor das Abschalten der lebenserhaltenden Apparaturen verfügt hat.

 

Das sind aber doch schon Debatten über Spezialfälle, was zumindest zeigt, dass die Fronten in den Fraktionen noch offen, keineswegs abgesteckt sind. Zum einen handelt es sich hier um eine Gewissensentscheidung, für die der Fraktionszwang nicht gelten soll. Zum anderen müssen die meisten Abgeordneten ja selbst noch lernen, um was es hier eigentlich geht. Sie sind genauso voreingenommen oder offen und genauso ver- wie gebildet durch ideologische Kämpfe um „Sterbehilfe“ wie Liesbeth und Hans Normalbürger auch. Und wenn Rechtspolitiker wie Bosbach und Stünker das Thema verhandeln, geht es eben juristisch-sachlich zu. Aber Vorsicht: Es geht ums Eingemachte, Grundsätzliche, den „letzten Willen“ und damit um Gesinnungen und <Religion>.  Das öffnet das Thema hin zum Glauben und zu dem, was in der Kultur für existenziell gehalten wird.

 

Es beginnt eine Zeit, da wird in der veröffentlichten Meinung Familie Normalbürger und Berufspolitiker gleichermaßen immer mal wieder gewarnt. Es nimmt die Veröffentlichung hastig erstellter <Studien>  ebenso zu wie (hoffentlich) die Kenntnisnahme lang vorliegender <Befragungen>  und langjähriger Erfahrungen mit Patientenverfügungen, z.B. bei der Medizinethik an der <Ruhr-Uni in Bochum>,  beim Humanistischen Verband <HVD>  und bei anderen Organisationen wie der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben.

 

Im Prinzip scheint es letztlich um drei Entscheidungen zu gehen:

 

Die erste ist die wohl einfachste Frage, ob nämlich die Schriftform nötig ist, was allgemein bejaht wird. Der Patientenwille soll klar und mit Unterschrift bezeugt werden. Offen bleibt dann noch zum einen, ob es eines bestimmten formellen Muster-Schriftsatzes bedarf, was wohl verneint werden wird, und zum anderen, was aus dem bisher berücksichtigten „mutmaßlichen Patientenwillen“ wird. Bezieht sich die Patientenverfügung nicht auf die eingetretene Behandlungssituation, was ja der Fall sein kann, so sollte der Betreuer oder Bevollmächtigte die Entscheidung unter Beachtung des mutmaßlichen Willens des Betreuten treffen – aber das ist strittig.

 

Die zweite Frage ist die der Entscheidungsgewalt. Hier geht es darum, ob der Wille unmittelbar gelten oder ob ein Vormundschaftsgericht dazwischen geschaltet werden soll. Bei einer eindeutigen Erklärung der Patienten sollte allein der Wille des Betroffenen entscheiden. Ganz der Materie ferne „Experten“ schlagen ein ärztliches Konsil zur Ermittlung des Patientenwillens vor. Mit dem Problem befasste Juristen wiederum meinen, dass ein Vormundschaftsgericht eingeschaltet werden soll, wobei einige dies nur in den Fällen für nötig halten, wo zwischen Arzt und Betreuer unterschiedliche Auffassungen über den Patientenwillen herrschen. Eine mögliche Lösung wäre hier, dass jede dritte Person die gerichtliche Kontrolle durchsetzen kann, um Missbrauch vorzubeugen.

 

Ein problematisches Feld ist drittens die so genannte Reichweitenbegrenzung. Hier geht es darum, ob Patienten unabhängig von der Krankheitsphase, in der sie sich befinden, über den Einsatz lebenserhaltender Maßnahmen bestimmen können sollen oder ob dies nur in denjenigen Fällen gelten soll, in denen ein Arzt prognostiziert, dass trotz ärztlicher Maßnahmen der Krankheitsverlauf unumkehrbar zum Tod führt? Hier wird die Antwort letztlich von der Haltung zum Selbstbestimmungsrecht abhängen.

Eigentlich ist die Rechtslage klar, denn schon jetzt darf gegen den Willen eines Patienten kein Eingriff vorgenommen werden. Jede Regelung, die eine Behandlungsentscheidung – auch über die Einleitung, die Begrenzung oder den Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme – anderen überlässt, wird sich fragen lassen müssen, wo diese Verfügungsgewalt über andere Körper dann ihre Grenze findet.

Insofern passt das Thema direkt in die Körperbetontheit diesjähriger Weihnachtsfeiertagsthemen – obwohl es vielleicht angebrachter ist, in einer Woche die Völlerei zu preisen und sich nicht über die mögliche Berücksichtung fetten Essens bei der Abfassung von Patientenverfügungen den Kopf zu zerbrechen.

 

GG