Die Flucht in den Glauben

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Filmplakat / © Ulrich Seidl Film

(hpd) Anna-Maria und Jesus (so meint sie) sind in inniger Liebe miteinander verbunden und so teilt sie seine Schmerzen, dient ihm ergeben, befindet sich in ihrem Paradies des Glaubens und der unabdingbaren Liebe, bis sie diesen Kokon verlassen muss und sich zeigt, dass es – für Außenstehende - eher ein unbarmherziges Wahnsystem ist.

Der Horror beginnt in Hollywood am ehesten in der Idylle der Vorstädte. Das legt der Regisseur Ulrich Seidl in seinem zweiten Teil der ‚Paradies-Triologie‘ jedoch erst in den dritten Handlungsschritt.

Der Film „Paradies: Glaube“ beginnt mit der masochistischen Selbstauspeitschung der sich selbst entblößenden, halbnackten  Anna-Maria in Anbetung eines großen Kruzifixes in ihrer Wohnung, die sie mit ihrem Leitthema beendet: „Danke, Jesus!“. Dann folgt ihre sachbezogene Arbeitssituation als Medizinisch-Technische Assistentin in der medizinischen High-Tech-Abteilung einer Klinik, wo sie dann Urlaub hat, den sie, wie sie sagt, daheim verbringt, in einem Vorort Wiens mit Ein- und Mehrfamilienhäusern in gepflegten Gärten.

Schon nach wenigen Minuten fällt auf, dass der Film zwei Eigenheiten hat. Zum einen bleibt die Kamera unbewegt in der Aufnahmesituation stehen, nur die Darsteller bewegen sich. Das schafft für den Zuschauer die Optik einer anwesenden aber teilnahmslosen Betrachtung wie durch Guckfenster, vor denen sich chronologisch eine Szene an die andere reiht. Zum anderen hat der Film keinerlei untergelegte Musikspur, sondern der Zuschauer hört nur die Geräusche der Situation, wenige Male auch Musik, wenn die Darsteller selber singen oder Anna-Maria auf ihrer Heimorgel Kirchenlieder spielt und singt.

In diesem Kosmos ihres Paradieses, endlich hat sie den Glauben an Jesus gefunden, den sie innig liebt, dessen Bild sie küsst und dem zu Ehren sie sich die Knie wund rutscht durch die Zimmer der Wohnung. Wenn sie nicht die Wohnung rauf und runter putzt, fährt sie mit ihrer Wandermadonna in verschiedenste Bezirke Wiens, klingelt sich durch die Wohnungen und, wenn man nicht gleich die Türe schließt, wird man sie so leicht nicht wieder los.

Es sind groteske Szenen, wenn sie mit ihren Botschaften vor allem ausländische Mitbürger beglücken will und die Zuschauer der Filmvorstellung, Mitte Zwanzig bis Mitte Dreißig, haben anfangs einiges zu Lachen – über den Aberwitz und die Weltfremdheit ihrer Froh- und Drohbotschaften. Andere berichteten anschließend an die Filmvorführung, sie wären im Kinosessel erstarrt.

Anna-Maria selbst ist eingebettet in einen Gebetskreis, der sich regelmäßig neben der Garage in ihrem Haus trifft und deren Mitglieder, neben gemeinsamen Singen und Hallelujas, ihrem Jesus versprechen: „Wir schwören dir, dass Österreich wieder katholisch wird!”

Das Ganze könnte man als traurig belächeln, wie eine alleinlebende Frau sich in ihrer Einsamkeit ein unbedingtes Paradies des Glaubens baut, mit dem sie manch anderem Menschen zwar auf die Nerven geht, aber sonst eher harmlos ist. Das ändert sich, als ihr ägyptischer Ehemann überraschend in das Haus zurückkehrt.

Er hat keinen Platz mehr, weder in ihrem Herzen, noch in ihrem Bett und schon gar nicht in ihrem Missionsalltag, diesen Platz haben Jesus und Maria eingenommen. Und Anna-Maria ist keinen Millimeter und keine Sekunde bereit, das zu ändern. Zuerst ist ihr Mann - durch einen Unfall ab der Hüfte querschnittsgelähmt – noch sehr höflich, versucht rührend, sie von ihrer Verbohrtheit abzubringen, spricht mit ihr, auch von seinem Wunsch nach ihrer Nähe, von seinem Leid, dass er sie nicht mehr nach seinem Unfall sexuell befriedigen kann – was sie mitfühlend kommentiert, er solle doch den Unfall und die Lähmung „als Geschenk Gottes“ betrachten.

Der Mann reagiert auf ihre abweisende Kälte, ihre Niedertracht und Hingabe an Jesus mit stärker werdenden Forderungen, will seine, auch in beiden Religionen religiös begründeten Rechte als Ehemann durchsetzen, scheitert, flüchtet sich immer mehr in seine muslimische Religion und das tägliche Miteinander eskaliert zu einem gnadenlosen Ehekrieg, in dem Anna-Maria schließlich auch Jesus auf dem großen Kruzifix mit unter ihre Bettdecke nimmt.

Die unbewegte Kamera und die übergangslose Schnitt-auf-Schnitt-Technik, in der nichts anderes die Szene begleitet als die normalen, natürlichen Geräusche, verleiht dem Geschehen eine kompromisslose Realität, die faszinierend ist. Für die zentralen Elemente einer verbogenen Sexualität bei Anna-Maria und ihrer Überzeugung der innigsten Sündhaftigkeit alles dessen, was ihrer Ansicht nach nicht von Gott gewollt sei, findet Ulrich Seidl aussagestarke Szenen sowie überzeugende Darstellerinnen und Darsteller.

Insbesondere Maria Hofstätter, als Anna-Maria, auf deren Glaubwürdigkeit der Darstellung der Film maßgeblich beruht, ist beeindruckend.

Und was Papst Franz in seiner Einführungsmesse vor zwei Tagen auf dem Petersplatz sagte: „An ihm [Josef] sehen wir, liebe Freunde, wie man auf den Ruf Gottes antwortet: verfügbar und unverzüglich; aber wir sehen auch, welches die Mitte der christlichen Berufung ist: Christus!“, das kann man, in einer konsequent verabsolutierenden Form, ebenso dem Handeln von Anna-Maria zugrunde legen, auch wenn es manchem aufgeklärten Katholiken dabei grauen mag. Jesus Christus ist die Mitte ihres Lebens, ihr Ziel, ihre wortwörtliche und auch körperlich Hingabe, an der sie schließlich beinahe verzweifelt, aber schließlich doch keinen Ausweg findet.

Insofern zeigt der Film schließlich die Verzweiflung einer Frau, deren in der Einsamkeit gebautes eigenes Paradies sich zu einem Schlachtfeld und Zwängen verwandelt, wenn sie tatsächlich Menschen begegnet.

Dabei instrumentalisiert Anna-Maria nicht die Religion, sondern sie ist eine wahre, absolute Gläubige, die ihre Bibel ernst nimmt. Das mag man als Problem betrachten, aber das Angebot dazu hat sie sich nicht selbst erfunden, es wurde ihr dargereicht, von ihr gefordert, dem Rufe Gottes zu folgen.

Carsten Frerk.

Paradies: Glaube, Österreich/D/F 2012, 113 min, FSK 16. Darsteller: Maria Hofstätter, Nabil Saleh. Regie: Ulrich Seidl , Kamera: Wolfgang Thaler, Ed Lachmann. Kinostart, Deutschland: 21.03.13

Fotos © Ulrich Seidl Film