Macht Religion die Menschen moralisch besser?

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Philosoph Norbert Hoerster / Foto: SRF

ZÜRICH. (hpd) In der „Sternstunde Religion“ des Schweizer Fernsehens wurde die Streitfrage gestellt: Brauchen wir Menschen Gott, um gut zu sein? Brauchen wir für die Moral Religion? Pro und Contra - wer hat die besseren Argumente? Fazit: Der Philosoph Norbert Hoerster machte aus der Sternstunde Religion eine Sternstunde Philosophie und entzauberte die Theologie.

„Macht Religion die Menschen moralisch besser?“ lautete das angekündigte Thema der SRF-Sternstunde Religion vom letzten Sonntag. Der Philosoph Norbert Hoerster und der Theologe Georg Pfleiderer diskutierten unter der Leitung von Judith Hardegger.

Taugt die christliche Religion zur Begründung der Moral?

Das angekündigte Thema wurde nur kurz gestreift. Dann übernahm Hoerster die faktische Gesprächsleitung zum revidierten Thema: „Taugt die christliche Religion zur Begründung der Moral in einer aufgeklärten Gesellschaft?“ Dabei drängte er den Theologen Pfleiderer immer mehr in die Enge. In der Regel diskutieren in der Sternstunde Religion die Theologen und Gläubigen unter sich und genügen sich oft mit gemütlichen Plaudereien. Diesmal hingegen sollte es ganz anders werden.

Dem berühmten Diktum Dostojewskis „Wenn es keinen Gott gibt, dann ist alles erlaubt“ setzte Hoerster eine Moralbegründung in „säkularer, aufklärerischer Weise“ entgegen. Auch Pfleiderer zog die Evidenz dieses Diktums in Zweifel und gab erstaunlicherweise zu, „dass Regeln sich auch ohne ausdrücklich theologische und religiöse Begründung einleuchtend machen lassen“, insbesondere bei kleinen Kindern. Das sei doch ein „relativ evidenter Sachverhalt“. Der Mensch könne „auch ohne Gott Sinn erfahren“.

Der Philosoph lockte den Theologen aufs theologische Glatteis

Diesen Steilpass nahm der Philosoph Hoerster dankbar an und setzte zu seiner ersten Frage an: „Sie würden also sagen, wir brauchen die Religion und auch das Christentum nicht, um unsere Werte und die Moral plausibel zu begründen?“ Doch, antwortete Pfleiderer, man sollte darauf nicht verzichten, „weil der christliche Glaube gute Begründungen für Moral hat“. Während Hoerster die Moral mit dem „menschlichen Wohlergehen“ begründete und daraus die Menschenrechte ableitete, war Pfleiderer der Meinung, dass „Nützlichkeitserwägungen“ keine Grundlage für die Moral seien. Nutzenfragen seien „in ihrer Wurzel nicht zwingend moralische Fragen“.

In der Rolle des sokratisch Fragenden lockte nun der Philosoph den Theologen weiter aufs theologische Glatteis: „Wie kann man denn moralische Werte erkennen und begründen, ganz unabhängig davon, ob sie dem Wohl des Menschen zuträglich sind?“ Durch die „Menschenwürde“, erklärte Pfleiderer, und durch die Überzeugung, dass der Mensch einen „intrinsischen, absoluten Wert“ habe.

Der Begriff der Menschenwürde ist eine „Leerformel“

Hierauf stellte Hoerster seine dritte Frage: „Würden Sie diesen Wert in der Gottebenbildlichkeit des Menschen sehen oder in der Beseelung des Menschen oder worin? Wo kommt da die Religion ins Spiel?“ Pfleiderer wich aus: „Ich glaube, es ist wichtig, dass man nicht sofort gewissermaßen nach den Eigenschaften des Menschen - wie die Vernunft - fragt, die als Kriterien herangezogen werden. Es ist gut, dass der Gedanke der Menschenwürde gerade diese Frage nach den Kriterien zurückstellt“.

Ob soviel theologischer Unklarheit platzierte Hoerster seine vierte Frage: „Was verstehen Sie unter Menschenwürde? Das ist doch ein wahnsinnig vager Begriff, der einer Leerformel gleichkommt. Da kann man alles hineinpacken, was immer man will“. Darauf brachte Pfleiderer ein weiteres, theologisches Konstrukt ins Spiel: „Gerade im Christentum liegen gute Möglichkeiten vor, zur Begründung der Menschenwürde. Denken Sie nicht nur an die Gottebenbildlichkeit des Menschen, sondern – und das ist sogar wichtiger – an die Gotteskindschaft, welche in der Bibel eine größere Rolle spielt.“

Pfleiderer lieferte den Beweis für die „Leerformel“ gleich selbst

Hoerster liess nicht locker und setzte zur fünften Frage an: „Aber was folgt daraus? Das ist doch so vage und allgemein. Sind da nicht zum Beispiel die neuzeitlichen Menschenrechte viel aussagekräftiger? Damit kann man doch etwas anfangen und die haben Folgen“. Damit leitete Hoerster die Diskussion auf die praktische Ebene: Der Begriff der Menschenwürde sage nichts darüber aus, wie man konkret handeln solle. Zum Beispiel bei „schwierigen Grenzfragen am Anfang des Lebens. Wann beginnt das Leben? Mit der Befruchtung oder im Verlauf der Schwangerschaft?“

Dazu verwies Hoerster auf „eine Erklärung, die vor etwa 20 Jahren vom Rat der evangelischen Kirche in Deutschland gemeinsam mit der deutschen Bischofskonferenz erlassen wurde, wo ausdrücklich gesagt wird, das Recht auf Leben beginnt mit der Befruchtung. Damit ist jede Abtreibung verbots- und auch strafwürdig. Und warum beginnt das Leben mit der Befruchtung? Weil dann das Entscheidende, was den Menschen ausmacht, die Gottebenbildlichkeit und die unsterbliche Seele, dem Menschen gegeben wird. Das ist die Meinung der christlichen Kirche.“

Auf diese Kritik musste Pfleiderer zugeben: „Es ist völlig richtig, dass sich aus dem ethischen Grundbegriff der Menschwürde nicht zwingend und mit eindeutiger Konsequenz bestimmte Schlussfolgerungen für den Umgang mit dem anfänglichen menschlichen Leben ziehen lassen. Ich fand es keine Sternstunde der Religion, dass die beiden großen Kirchen in Deutschland sich so eindeutig zu dem bestimmten Zeitpunkt auf die Zeugung festgelegt haben. Gerade die evangelischen Kirchen sind in der Folgezeit auch wieder differenzierter geworden“. Damit bestätigte Pfleiderer gleich selbst den Vorwurf Hoersters, dass die Menschwürde eine „Leerformel“ ist.

Übertriebene Höllenstrafen für vorehelichen Sexualverkehr

Dann griff Hoerster das absurde Bestrafungskonzept der christlichen Religionen an: „Es gibt im Christentum die Lehre von den ewigen Höllenstrafen. Die Hölle und der Teufel spielt im Neuen Testament eine ganz grosse Rolle. Luther spricht sehr oft vom Teufel und der Hölle. Der letzte Papst hat in mehreren Veröffentlichungen eindeutig gesagt, dass die Lehre von den ewigen Höllenstrafen unaufgebbar ist.“ Da stelle sich natürlich die Frage, welche Handlungen bestraft würden. Etwa nach traditioneller katholischer Morallehre „jeglicher vorehelicher oder ausserehelicher Sexualkontakt“. Und Hoerster fragte sarkastisch: „Ist das nicht etwas übertrieben - ewige Höllenstrafen für einen vorehelichen Sexualakt?“

Einen Lobgesang auf die Hölle wollte freilich auch Pfleiderer in der heutigen Zeit nicht anstimmen. Dabei tanzte er auf Eiern: „Die Hölle ist erstens repressiv. Das hängt mit diesem sanktionierenden Gott zusammen. Die Glaubenden sollten eigentlich aus freien Stücken und gerne und weil sie sich von Gott angenommen wissen, moralisch handeln, und nicht aus Furcht vor Höllenstrafen“. Das andere Problem mit der Höllenvorstellung sei, „dass die Glaubenden auch keine Schadenfreude haben sollten, dass andere in der Hölle schmoren“. Das seien „im Kern problematische und unchristliche Vorstellungen.“

Aber der Ton liege in der christlichen Jenseitslehre „nicht auf der Gleichberechtigung von Himmel und Hölle". Die Hölle sei „der Kontrast, mit dem sich die Glaubenden nicht so intensiv beschäftigen sollten". Wie intensiv die Beschäftigung mit der Höllenqual im Idealfall zu sein hat, ließ der Theologe wohlweislich offen. Vielleicht ergibt sich daraus ein zukünftiges Forschungsthema für den Schweizerischen Nationalfonds.