Gorilla Fritz ist tot

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Gorilla Fritz im Nürnberger Tiergarten.
Gorilla Fritz im Nürnberger Tiergarten.

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Gorilla Fritz im Nürnberger Tiergarten.
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Gorilla Fritz im Nürnberger Tiergarten.
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Gorilla Fritz im Nürnberger Tiergarten.
Gorilla Fritz im Nürnberger Tiergarten.

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Gorilla Fritz im Nürnberger Tiergarten.
Gorilla Fritz im Nürnberger Tiergarten.

Gorilla Fritz, seit fast einem halben Jahrhundert vermarktet als "Wahrzeichen" und "Publikumsliebling" des Nürnberger Tiergartens, ist tot. Nach langem und schwerem Leiden wurde er auf Beschluss der Zooleitung hin am 20.8.2018 eingeschläfert.

Fritz, geboren 1963 im Urwald von Kamerun, wurde als Dreijähriger seiner Heimat und seinen Eltern entrissen – diese waren vermutlich vor seinen Augen erschossen worden – von Tierhändlern nach Europa verschifft und an den Münchner Tierpark Hellabrunn verkauft. 1970 wurde er als "Zuchtmännchen" an den Tiergarten Nürnberg weiter verschubt, wo er mit zwei kurzen Unterbrechungen bis zu seinem Tod in einem als "Menschenaffenhaus" bezeichneten Betonbunker aus den 1930ern untergebracht war. Von 1984 wurde er für einige Zeit zu "Zuchtzwecken" an den Zoo Berlin ausgeliehen, 1986 ein weiteres mal an einen Zoo in Tschechien.

Ansonsten vebrachte er den größten Teil seines Lebens hinter den Panzerglasscheiben des Nürnberger "Menschenaffenhauses", angegafft und blitzlichtfotografiert von den tagtäglich an ihm vorüberziehenden Menschenhorden. Zusammen mit den ihm wechselweise zugesellten Gorillafrauen hockte er die meiste Zeit des Jahres auf engstem Raum und nacktem Beton herum. Nur bei günstiger Witterung durften er und seine Frauen stundenweise auf eine Außenanlage, die allerdings erst 1997 angebaut wurde. Zuvor saß Fritz fast dreißig Jahre (!) seines Lebens in dem vollverfliesten Innenbunker herum, ohne jemals Gras unter den Füßen oder die Sonne auf seiner Nase gespürt zu haben. Die Außenanlage wurde erst auf Druck bundesministerieller Vorgaben eingerichtet, gegen die sich das Zoowesen nach Kräften zur Wehr gesetzt hatte.

Zur Frage, wie Fritz das alles aushielt und bis zu einem für gefangengehaltene Gorillas relativ hohen Lebensalter überhaupt am Leben, lassen sich nur Mutmaßungen anstellen. Die meisten Wildtiere überleben die Gefangenhaltung im Zoo nur aufgrund regelmäßiger Medikation mit Antibiotika, Antimykotika, Hormonpräparaten, Immunstimulantia, Präparaten gegen Magen-/Darmgeschwüre, Schmerzmitteln und unzähligen anderen Medikamenten, mit denen sie vollgestopft werden; nicht zuletzt auch aufgrund der Verabfolgung von Psychopharmaka zur Eindämmung des Dauerstresses, dem sie ausgesetzt sind. Bekannt ist jedenfalls, dass Fritz aufgrund der jahrzehntelangen Haltung auf nacktem Beton unter schwerster Gelenkarthritis litt und sich zuletzt praktisch nicht mehr bewegen konnte.

Zur Geschichte der Gorilla-Haltung im Zoo

1876 wurde der erste lebende Gorilla Europas im Berliner "Aquarium unter den Linden" gezeigt, einem von dem Wildtierjäger und Enzyklopädisten Alfred Brehm geleiteten Zoo. Es handelte sich um ein Jungtier namens M’Pungu, das Brehm für 20.000 Goldmark aus dem Trophäenbestand der sogenannten Loango-Expedition erworben hatte. Während M’Pungu immerhin eineinhalb Jahre überlebte, betrug die Überlebenszeit in den Folgejahrzehnten massenhaft nach Europa verschleppter Menschenaffen in der Regel nicht mehr als ein paar Wochen. Die meisten starben bereits während der oft monatelangen Schiffspassage.

Plakat des Nürnberger Zoos, auf dem Fritz als Werbung vermerktet wird. (Foto: © Archiv GAP)
Plakat des Nürnberger Zoos, auf dem Fritz als Werbung vermerktet wird. (Foto: © Archiv GAP)

Schon seinerzeit gab es Stimmen, die sich gegen die Gefangennahme und Zurschaustellung gerade von Gorillas aussprachen. Sie wurden aber ebenso ignoriert wie die ersten wissenschaftlichen Erkenntnisse, wie sie seit Mitte der 1920er durch den amerikanischen Forschungsreisenden Carl Ethan Akely vorlagen, der freilebende Gorillas in Belgisch-Kongo beobachtet und ihre große Ähnlichkeit zum Menschen festgestellt hatte. Auch die Beobachtungen des amerikanischen Forscherehepaares Osa und Martin Johnson, die 1932 einen Dokumentarfilm über das Leben dieser Gorillas gedreht hatten, wurden ignoriert: die Bilder des friedlichen und fürsorglichen Umganges der Tiere miteinander passten nicht zum überkommenen – und in Zirkussen und Zoos vortrefflich vermarktbaren – Bild der "blutrünstigen Urwaldbestie".

Seit den 1960ern wurden Unmengen etologischer Befunde und Erkenntnisse über das Leben Großer Menschenaffen in ihren natürlichen Lebenszusammenhängen gesammelt. Forscherinnen wie Jane Goodall, Dian Fossey und Biruté Galdikas zeichneten ein völlig neues Bild unserer "engsten Verwandtschaft"; viele der Vorstellungen, wie sie bis dahin in Umlauf waren, mussten revidiert werden, manche in ihr komplettes Gegenteil. Auch außerhalb des akademischen Diskurses fanden die neuen Erkenntnisse Verbreitung: in zahllosen Büchern und Dokumentarfilmen wurde auf eindrucksvolle Weise gezeigt, dass die Großen Menschenaffen tradierte Formen von Kultur haben, einschließlich der Fähigkeit, Werkzeuge herzustellen oder bei Krankheiten bestimmte Heilkräuter einzusetzen, dass sie über Ich-Bewusstsein verfügen, samt einer Vorstellung von Vergangenheit und Zukunft, dass sie vorausschauend denken und planen können, Freude, Trauer, Leid und Mitgefühl empfinden und einen ausgeprägten Sinn für Humor haben, kurz: dass sie über kognitive, emotionale, soziale und kommunikative Fähigkeiten verfügen, die sich von denen des Menschen allenfalls graduell unterscheiden.

Erst vor dem Hintergrund der systematischen Feldforschung, die ab den 1960ern betrieben wurde, und den bahnbrechenden Erkenntnissen, die sich daraus ergaben, änderte sich der bis dahin kultivierte Blick auf die Großen Affen; allerdings nicht so weit, dass es nicht weiterhin als unhinterfragbar richtig und völlig normal gegolten hätte, sie in ihren Heimaten einzufangen und nach Europa oder in die USA zu verschiffen, um sie für pharmazeutische oder klinische Experimente zu missbrauchen oder sie in Zirkussen und Zoos zur Schau zu stellen.

In der Tat war es bis herauf in die 1970er auch hierzulande völlig legal, auf der ganzen Welt Wildtiere einfangen und an Zoos, Zirkusse oder Labore verkaufen zu lassen. Namhafte Zoodirektoren wie etwa Bernhard Grzimek (Frankfurt) oder Wolfgang Gewalt (Duisburg) begaben sich höchstpersönlich auf Wildtierfang nach Afrika, Asien oder Südamerika. Erst mit dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen (CITES) von 1973, das die bis dahin völlig unkontrollierte Einfuhr von Wildtieren erheblich beschränkte, wurde die rücksichtslose Ausplünderung der Natur gerade durch die Zoos etwas eingedämmt.

Heute gibt es 66 Zoos quer durch Europa – 15 davon in Deutschland –, in denen Gorillas zur Schau gestellt werden; in der Mehrzahl dieser Einrichtungen, auch in Deutschland, sind die Haltungsbedingungen keinen Deut besser als die in Nürnberg.

Nach Gutdünken irgendwelcher Zuchtkoordinatoren werden immer wieder gewachsene Familien- und Gruppenstrukturen auseinandergerissen, wenn Tiere von einem Zoo in einen anderen verschubst oder untereinander ausgetauscht werden. Auch und gerade Jungtiere werden schon in frühem Kindesalter, spätestens aber mit Eintritt in die Pubertät, von ihren Familien getrennt und an andere Zoos abgegeben, ungeachtet der Frage, welche Traumatisierung das für sie bedeutet; viele zeigen ein Leben lang Symptome von Depression, Angst und/oder posttraumatischer Belastungsstörung. Nicht selten überleben Tiere den ungeheueren Stress, aus ihrem vertrauten Familienverband herausgerissen und mit fremden Tieren zwangsvergesellschaftet zu werden, nicht: trotz entsprechender Medikation erliegen sie Herzversagen, Kreislaufzusammenbrüchen etc.

Rückläufige Besucherzahlen in den Zoos

Silberrücken Fritz, Foto: © Archiv GAP
Silberrücken Fritz, Foto: © Archiv GAP

Trotz flächendeckender Bewerbung der Zoos in sämtlichen Medien finden immer weniger Menschen Gefallen daran, gefangengehaltene Wildtiere zu besichtigen. Und immer weniger fallen auf die Propagandasprüche von Bildung, Forschung und Artenschutz herein, mit denen Zoos ihre Existenz zu rechtfertigen suchen. Tatsächlich ist die Zurschaustellung von Tieren in Zoos gesellschaftlich keineswegs (mehr) in dem Maße akzeptiert, wie die Betreiber derartiger Einrichtungen immer behaupten. Wie eine repräsentative Erhebung des YouGov-Marktforschungsinstituts von Dezember 2015 ergab, ist für knapp die Hälfte der deutschen Bevölkerung (49 %) die Zurschaustellung exotischer Tiere im Zoo moralisch nicht in Ordnung. Nur ein gutes Drittel (37 %) sieht dies anders, der Rest (14 %) hat dazu keine Meinung. Würde die Erhebung heute wiederholt und auf kognitiv hochentwickelte Tiere wie Elefanten, Delfine oder Menschenaffen zugespitzt, sähe es für die Zoos vermutlich noch sehr viel düsterer aus. Die Besuchszahlen sind seit Jahren massiv rückläufig, was die Zoos mit künstlich nach oben manipulierten Zahlen zu kaschieren suchen.

Der Tiergarten Nürnberg hat sich nach dem Tod von Fritz – und vermutlich schon lange Zeit davor – einen neuen Silberrücken bestellt: die Zucht muss weitergehen, so dass das Geschäftsmodell "Zoo" am Laufen bleibt.