NS-Funktionsträger in der DDR – Ein Lexikon

(hpd) Der Historiker und Publizist Harry Waibel legt mit seinem Buch ein Personenlexikon zu einschlägigen Karrierewegen vor. So interessant die allgemeine Einsicht in die fehlende personelle „Entnazifizierung“ ist, so bedauerlich ist das Fehlen von genauen Belegen und näheren Gesamteinschätzungen.

Auch die entschiedensten Kritiker der DDR-Diktatur anerkannten in der Regel, dass es ebendort eine entschiedenere „Entnazifizierung“ in gesellschaftlichen und staatlichen Bereichen als in Bundesrepublik Deutschland gegeben habe. Dies mag in der Gesamtschau und im Vergleich so auch zutreffend sein. Immerhin konnte in der DDR kein ehemaliges NSDAP-Mitglied allerhöchste Ämter im Staat einnehmen.

Gleichwohl gelang auf einer mittleren und niedrigeren Ebene sehr wohl nicht wenigen früheren NS-Funktionsträgern eine Fortsetzung ihrer politischen Karriere in einem diktatorischen Staatsapparat ideologisch ganz anderer Ausrichtung. Insofern darf die Rede von einer personellen „Entnazifizierung“ in größerem Ausmaß keine Gültigkeit beanspruchen. Erwiesen sich frühere NS-Funktionsträger als anpassungsbereit, konnten sie mitunter schnell auch SED-Funktionsträger werden. Dies macht der von dem Historiker und Publizisten Harry Waibel vorgelegte Band „Diener vieler Herren. Ehemalige NS-Funktionäre in der SBZ/DDR“ deutlich.

Er enthält um die 1.500 Kurzbiographien ausgewählter Personen, die als Ärzte, Journalisten, Kulturschaffende, Militärs, Politiker oder Wissenschaftler mit einschlägiger Vergangenheit mitunter sogar im gleichen Tätigkeitsbereich weiter wirkten. Verhielten sie sich konformistisch, belangte man sie weder juristisch noch politisch, es sei denn, einschlägige Taten wurden öffentlich.

Waibels Buch stellt demnach eine Art Lexikon über entsprechende Personen da. So lesen sich dann auch die Einträge über Max Elten: „Von 1934 bis 1970 war er als Chefbühnenbildner an der Städtischen Oper in Leipzig. Seit 1935 war er Mitglied der NSDAP. Er war Teilnehmer am Zweiten Weltkrieg und er war in britischer Kriegsgefangenschaft. Nach 1945 war er an der Leipziger Oper als Bühnenbildner und Maler“ (S. 79) oder über Gerhard Winkler: „Er war SS-Rottenführer. Er wurde 1945 Mitglied der KPD bzw. SED. Er war von 1969 bis 1975 Rektor der Universität Leipzig. Er war von 1964 bis 1974 Mitglied der SED Bezirksleitung Leipzig“ (S. 372).

Bilanzierend bemerkt Waibel: „Anhand der beruflichen und politischen Kurzbiografien werden die immanenten Widersprüche des ‚realsozialistischen’ Anti-Faschismus sichtbar und sie beleuchten die fatalen Auswirkungen dieser falschen theoretischen Konzeption anhand ihrer eigenen widersprüchlichen Praxis“ (S. 9). Und weiter heißt es über den Karriereweg entsprechender Personen: „Dazu war es nach 1945 erforderlich, Tausende ehemaliger Nazis als nur ‚nominelle’ Parteimitglieder (Pg) einzuordnen. Wenn sie sich dazu bereit erklärten, für die Ziele des neuen Staates einzutreten, dann stand ihren Karrieren nichts mehr im Weg. Wer z.B. Mitglied der SED wurde, konnte sich in der Regel ab sofort als vollständig entnazifiziert darstellen. Trotz aktiver Beteiligung am NS-System sind ihnen in der DDR Karrieren ermöglicht worden, ohne dass sie jemals politisch oder juristisch zur Verantwortung gezogen worden wären. Einzelne Beispiele von verurteilten NS-Tätern fallen, gegen die große Zahl von unbehelligt gebliebenen NS-Tätern kaum ins Gewicht“ (S. 10).

Waibels Nachschlagewerk - denn im Kern handelt es sich um eine Art „Personenlexikon“ zum Thema - macht anhand der zahlreichen Einzelbeispiele deutlich, dass es sich bei der Auffassung von der konsequenten personellen „Entnazifizierung“ in der DDR um eine historische Legende zur Selbstlegitimation der SED-Diktatur handelte. Darin besteht sicherlich das Verdienst dieses Werks.

Gleichwohl dürfen auch kritische Aspekte nicht verschwiegen werden: Für die einzelnen Angaben zu den jeweiligen Personen liefert der Autor keine genauen Belege, sondern verweist im Vorwort und im Anhang pauschal auf genutzte Archive und andere Publikationen. So kann man entweder gar nicht oder nur schwerlich die Angaben prüfen. Darüber hinaus belässt er es in der Einleitung auch bei den erwähnten allgemeinen Aussagen. Die Frage, handelt es sich um politisch nur schwach belastete Personen oder auch um mehrfach schuldhafte Kriegsverbrecher, hätte schon genauer erörtert werden können und müssen.

Armin Pfahl-Traughber

Harry Waibel, Diener vieler Herren. Ehemalige NS-Funktionäre in der SBZ/DDR, Frankfurt/M. 2011 (Peter Lang-Verlag), 390 S., 49,80 €.