Gott als Alien

BERLIN (hpd) Lange bevor Raumschiffe ins All aufbrachen, erst in der Phantasie und dann als technische Meisterleistungen, gab es schon die Himmelfahrt – nämlich mit den Engeln und allerlei anderen Geistwesen in den Religionen. Seit den 1940er-Jahren hat sich wiederum die Science Fiction gedanklich in überirdische Sphären begeben.

Sie kennt keine Grenzen, und so hat sie auch Religion und Theologie zu einem literarischen Gegenstand gemacht – mit originellen göttlichen Pointen.

Wie kurios religiöse Vorstellungen und Bräuche sind, erschließt sich am besten aus der Distanz. Das geht auch literarisch. Und die Science Fiction hat hier zahlreiche originelle Exempel statuiert.

Davon handelt das gerade erschienene PERRY RHODAN-Journal Nr. 145 im PERRY RHODAN-Roman Nr. 2706. Das Journal ist eine zweimonatliche populärwissenschaftliche Beilage, und diese Woche geht es darin um das Thema "Gott als Alien".

Technoreligion und das Leben Jesu

Der Autor ist GBS-Beirat Rüdiger Vaas, der auch viel über Religion und Wissenschaft publiziert hat, beispielsweise im Verhältnis zur Evolutionstheorie oder zur Kosmologie.

Er beginnt seinen Überblicksartikel mit Überlegungen von Ludwig Feuerbach und Sigmund Freud. Dann diskutiert er kurz, ob Religion zum Aussterben verurteilt ist. Und gibt dann eine ausführliche Einführung in die diversen Religions- und Gottesvorstellungen der Science Fiction. Dabei werden auch literaturwissenschaftliche Analysen berücksichtigt und zitiert.

Im Kapitel "Technoreligion und virtuelle Kathedralen" geht es um Kurzzeit-Entwicklungen. "Ähnlich wie man sich früher um ein Lagerfeuer versammelte oder um einen Röhrenfernseher, werden sich unsere Nachfahren vielleicht in virtuellen Kathedralen einfinden. Verbunden über das Internet sowie über Elektroden in den emotionalen Hirnzentren, werden sie dort möglicherweise einem globalen Großrechner huldigen", spekuliert Vaas.

In "Paradoxe Gebete und religiöse Diktaturen" werden Roboterreligionen, extraterrestrische Theokratien und das berühmte "Gebet eines Agnostikers" gestreift.

Das Kapitel "Unbarmherziger Gott und übernommener Jesus" behandelt spekulative Erklärungsversuche der Religion. So entdeckt in Arthur C. Clarkes Story "Der Stern" ein Jesuit, dass der Stern von Bethlehem eine Sternexplosion war, bei der ein ganzes friedliches, hochentwickeltes Volk ausgelöscht wurde – was sich schwer mit der Güte und Barmherzigkeit eines Gottes vereinbaren lässt, wenn er einen Massenmord begehen muss, um die vermeintlich lebensspendende Ankunft seines Sohns auf Erden zu markieren. Und diverse Zeitreise-Geschichten beschreiben, was es "wirklich" mit dem Leben Jesu auf sich hatte.

Wenn Gott die grünen Aliens bevorzugt

Das Kapitel "Eine neue Geschichte der Menschheit" beschreibt Romane, in denen Götter, Engel und Dämonen außerirdische Wesen aus einer Zeit vor dem Urknall sind oder Religionen gewaltige Täuschungsmanöver. In Harry Harrisons "Welt im Fels" (1970) werden Menschen angehalten, an Aztekische Götter zu glauben, wodurch eine intellektuelle Elite verhindert, dass die Wahrheit ans Licht kommt – dass die Menschen nämlich seit Jahrhunderten in einem Generationenraumschiff leben, dessen Reise nach Alpha Centauri sonst gefährdet wäre.

Auch reale oder erfundene Religionen auf der Erde und anderswo werden nicht selten als korrupt und verlogen dargestellt, als Täuschungen entlarvt oder als überholte Entwicklungsstadien beschrieben. Es gibt allerdings auch religiöse Science Fiction, überwiegend christliche, die oft als Allegorie und Inspiration geschrieben ist oder zum Zweck der Missionierung und Propaganda.

Zuweilen bilden religiöse Themen nicht nur einen Teil der Kulisse, sondern sind Gegenstand des eigentlichen Plots. So lässt in "Black Easter" von James Blish ein Schwarzer Magier im Auftrag eines Waffendealers den Teufel aus der Hölle frei und initiiert damit Armageddon, den großen Endkampf. In "For I Am a Jealous People" von Lester del Rey kehrt sich der Gott Jehova von der Menschheit ab und unterstützt eine Invasion der Erde durch grüne Aliens. Und in "The Man" von Ray Bradbury verfolgt ein Raumfahrer den auferstandenen Christus von einem Planeten zum nächsten.

Erlösungsbedürftige Aliens?

Weitere Kapitel heißen "Paradies ohne Religion?",  "Interstellare Missionierung", "Mutanten und Massensuizid", "Kollektivintelligenzen und Unsterblichkeit" sowie "Erlösung für ET?".

Darin geht es um irdische Priester, die ins All hinaus ziehen. Um UFO-Religionen und die Scientology-Sekte (die von einem Science Fiction-Autor gegründet wurde). Um kollektive Superintelligenzen, die wie Götter werden, und den Stachel des Todes. Und um einen kosmischen Katholizismus, der mit seinen Dogmen und Riten die Galaxis überschwemmt, sodass die Menschen in ferner Zukunft nur eine Minderheit der Gläubigen sind und ein Alien als Papst gewählt wird.

Übrigens haben selbst Theologen seit langem über erlösungsbedürftige extraterrestrische Intelligenzen spekuliert. Zum Beispiel mittelalterliche Denker wie der Kardinal Nikolaus von Kues und der – aufgrund seiner Häresien auf dem Scheiterhaufen verbrannte – Priester, Mönch und Philosoph Giordano Bruno.

Galaktischer Kreuzzug

Zum Schluss spekuliert Vaas über echte, nicht nur literarische Kontakte mit Außerirdischen. Seiner auch in Fachpublikationen veröffentlichten Hypothese zufolge hätte eine Ankunft von Besuchern aus dem All, die sich aufgrund ihres Glaubens rapide vermehren, verheerende Konsequenzen: Die Aliens wären höchstwahrscheinlich religiöse Fanatiker, die die Menschen unterjochen oder massakrieren würden.

"Falls extraterrestrische Invasoren zu uns kommen, dürften sie kaum an den irdischen Rohstoffen oder an menschlichen Sklaven interessiert sein. Wer die Lichtjahre messenden Abgründe zwischen den Sternen zu überwinden vermag, ist technologisch darauf wohl nicht angewiesen! Vieles spricht dafür, dass Außerirdische als interstellare Missionare unterwegs sind oder mit einem galaktischen Kreuzzug ihrem Gott huldigen. Dann wäre die Erde eine leichte Beute in den ewigen Jagdgründen der Aliens."

Hirnwurm und Horizonterweiterung

Im Journal sind auch Leserzuschriften abgedruckt. Sie enthalten Antworten auf eine frühere Umfrage zum Thema "Was sagt Science Fiction über Gott oder Religion?" – mit Beispielen aus der Literatur.

So schrieb Martin Schmauder: "Science Fiction ist – wie der Roman allgemein – ein Kind der Aufklärung, und die braucht keinen Gott! Götter, die in SF-Romanen auftauchen, erweisen sich immer als fehlbare Wesen, gleich welcher Evolutionsstufe."

"Religion ist von Grunde auf schädlich, ausschließlich zur Machtausübung und Unterdrückung konzipiert", meinte Steffen Hopf. "Menschliches und soziales Handeln von Kirchenfunktionären erfolgt in der Regel gegen die Intention ihrer Vorgesetzten, wird dann jedoch aus PR-Gründen geduldet."

Und Christian Brandes betonte: "SF bietet die Möglichkeit, die Perspektive zu ändern, die Frage "Was wäre wenn?" zu stellen und – genau wie die moderne Astronomie und Kosmologie – den Horizont zu erweitern, sowohl räumlich als auch zeitlich. Betrachtet man die Religionen der Welt aus dieser Distanz, erscheinen sie als der Vernunft zuwider laufender, schädlicher "Hirnwurm" (Michael Schmidt-Salomon)."

Roland Walter