Rechte für Wale und Delfine

(hpd) Seit Jahrzehnten hat die Bewegung für mehr und besseren Tierschutz weltweit erheblichen Zulauf erfahren. Dabei ist festzustellen, dass neben der (traditionellen) Orientierung auf verbesserte Tierschutzgesetze und verbesserte Haltungsbedingungen von Tieren in Gefangenschaft auch die Position einer Zuerkennung bislang dem homo sapiens vorbehaltener Rechte verstärkt in die Öffentlichkeit drängt.

Seit bereits den 1990er Jahren wird diese Auffassung vom Great-Ape-Project vertreten; gefordert wird die Zuerkennung der Rechte auf Leben, auf Freiheit und auf körperliche Unversehrtheit für Große Menschenaffen (Bonobo, Gorilla, Orang-Utan und Schimpanse), wobei allerdings diese Position innerhalb der Tierschutzszene nicht unumstritten ist. Bei der Kritik spielt eine nicht unwesentliche Rolle durchaus auch, dass die Bereitschaft zu einem speziesübergreifenden Denken nicht gegeben ist.

Seit 2010 gibt es ähnliche Forderungen zur Zuerkennung von Rechten auch hinsichtlich von Walen und Delfinen.

Für Wale und Delfine weltweit weiterhin unzureichender Schutz

Weltweite Auseinandersetzungen um den Schutz von Walen und Delfinen, um Walfangquoten, die (weitere) Tötung dieser Meeressäugetiere aus kommerziellen Gründen, aber auch die Einrichtung von Walschutzgebieten sowie die Forderung nach Einrichtung eines "Weltparks für Wale statt Fangquoten" haben in den letzten Jahren Schlagzeilen gemacht. Auch wenn die offiziellen Quoten zur Tötung von Walen auf unter zweitausend Tiere pro Jahr vermindert werden konnten, ist ein nachhaltiger Durchbruch noch lange nicht erzielt und bleibt auch die ("versehentliche") Tötung als "Beifang" ein zentrales Problem; geschätzt wird, dass auf diese Weise etwa dreitausend Wale, Delfine und Tümmler pro Jahr ums Leben kommen. Außerordentlich stark sind die kommerziellen Interessen einiger Länder, die weiterhin unbehindert Jagd auf die Meeressäugetiere machen wollen. Und in der vorvergangenen Woche ist die Einrichtung zweier Meeresschutz-Zonen in der Antarktis durch das Veto nur eines Landes verhindert worden.

Ganz andere – und viel dramatischere - Tötungszahlen gibt es nach wie vor bei Delfinen. Die Tötungen pro Jahr gehen in die Tausende und diese Spezies unterliegt nicht einmal dem ohnehin nur eingeschränkten Schutz der IWC (Internationale Walfangkommission). In Europa sind derzeit Bemühungen auf der EU-Ebene zum Schutz von Delfinen in der Diskussion.

Und: bedroht sind Wale und Delfine nicht allein aufgrund der gezielten oder in Kauf genommenen Tötungen, sondern auch durch die zunehmende Verschmutzung der Weltmeere und durch Lärm.

Eine Reihe von Organisationen engagieren sich für den globalen Schutz von Walen und Delfinen.

"Whale and Dolphin Conservation": Rechtspositionen für Individuen

Die "Whale and Dolphin Conservation" fordert mit der Kampagne "Walheimat – Sichere Schutzgebiete jetzt!" die Schaffung eines effektiven Netzwerkes von Meeresschutzgebieten. Sie verlangt darüber hinaus – und das ist das historische Element in ihrer Tätigkeit - Walen und Delfinen Rechte zuzuerkennen. Mit der Helsinki-Deklaration werden grundlegende Rechte für Wale und Delphine gefordert, darunter die Rechte auf Leben, auf Freiheit und auf Freizügigkeit, der Schutz ihrer natürlichen Umgebung und, - was von ebenso großer Bedeutung ist - der Schutz ihrer Kulturen vor Zerstörung.

Den Initiatoren der Deklaration gehören international anerkannte Biologen und Philosophen wie etwa Lori Marino, Hal Whitehaed, Sudhir Chopar, Thomas White an, aber auch die Italienerin Paola Cavalieri, die bereits führend beim Great-Ape-Projekt tätig ist. Cavalieri äußerte 2010: "Walen und Delfinen, wie auch Menschenaffen, ein Recht auf Leben einzuräumen, stellt eine konsequente Weiterentwicklung unserer moralischen Grundsätze dar."

Das Thema einer Internationalen Tagung an der Universität in Helsinki im Mai 2010 war, ob Wale und Delfine ein Status als "nicht-menschliche Personen" zuzuerkennen sei. "Experten aus unterschiedlichen Bereichen, darunter aus der Verhaltensbiologie, der Philosophie, dem Internationalen Recht und der Internationalen Umweltpolitik, kamen zu dem Schluss, dass Wale und Delfine Anspruch auf das Recht auf Leben, Freiheit und Wohlbefinden haben.", so eine Erklärung zum Abschluss der Konferenz.

Erkenntnisse über Wale und Delfine

Grundlage hierfür war u.a. ein aufgrund langjähriger Beobachtungen und Forschungen bei Walen und Delfinen festzustellendes Ich-Bewusstsein (den sog. Spiegel-Test bestehen sie allemal), kulturelle Vielschichtigkeit (u.a. Verwendung von Werkzeugen, gruppenspezifische Begrüßungsrituale, unterschiedliche Essenskultur), strategisches Denken und planvolles Handeln (etwa beim Fischefangen, sogar im Zusammenwirken mit menschlichen Fischern, wobei die Initiative von den Delfinen ausging) sowie uneigennütziges Verhalten.

Wale und Delfine leben oft in Gruppen, praktizieren umfassend Sozialverhalten, können trauern, unterstützen und retten verletzte Artgenossen, leisten aber auch anderen Arten von Meeressäugetieren sowie Menschen in Not (etwa vor dem Ertrinken und vor Haien) Hilfe. Berichtet worden ist sogar von der "Adoption" eines behinderten Delfins durch eine Gruppe von Pottwalen. Bereits aus der Antike existieren Berichte über die Hilfsbereitschaft von Delfinen.

Zum Sozialverhalten gehört die Kommunikation untereinander mit "Gesängen", aber auch Klicklauten, die regional oder je nach Gruppe unterschiedlich sein können. Mittlerweile gehen die wissenschaftlichen Erkenntnisse dahin, dass beispielsweise der Große Tümmler eigene "Namen" der Individuen kennt, mit denen sie untereinander kommunizieren, wobei dies als ein weiteres Indiz dafür zu werten ist, dass sie sich über ihre eigene Identität und die ihres Kommunikationspartners bewusst sind.

Sind Wale und Delfine Personen?

Der Biologe Karsten Brensing von der "Whale and Dolphin Conservation", der kürzlich die Webseite www.walrecht.de online gestellt hat, weist in einem jüngst erschienenen Interview auf die Argumentation des US-amerikanischen Wirtschaftsethikers White hin: "Im juristischen Sinne schützen Menschenrechte nicht nur Menschen, sondern Personen überhaupt. Wenn es nun aber Tiere gibt, die die Merkmale einer Person erfüllen, dann muss man auch ihnen diese Rechte zugestehen."

White argumentiert nicht mit einer stammesgeschichtlichen Nähe von Walen und Delfinen zu homo sapiens, sondern mit deren kognitiven Leistungen. Brensings Folgerungen: "Wir wissen heute genug, um davon auszugehen, dass Wale und Delfine, Menschenaffen und Elefanten so etwas wie eine Persönlichkeit entwickeln. Dass sie sich ungefähr so empfinden, wie wir uns empfinden. Auch sie haben ein Selbstbewusstsein und eine theory of mind, wissen also, dass auch andere neben ihnen existieren und ihr eigenes Selbstbewusstsein haben."

Im Interview mit dem Deutschland-Radio äußerte er sich konsequent: "Ich denke, dass Tiere, die sich kognitiv so hoch entwickelt haben, ein Recht darauf haben, ihr Leben selbst zu bestimmen und nicht einfach mal so, weil es irgendjemand gefällt und weil er damit vielleicht wirtschaftliche Interessen hat, getötet zu werden. Ich denke, die Tiere haben ein Recht auf sich selbst, sie sind von einem Etwas zu einem Wer geworden, und ein Wer hat Rechte."

Argumentiert wird auch, dass von der Seite der Tierrechte her stets nur die Population als solche, deren Bestand zu sichern sei, einen Schutzstatus erhalte, dass dies aber den einzelnen Wal oder Delfin immer nur als Teil einer Population definiere und damit keinen individuellen Schutz gewährleisten könne; deshalb sei die Zuerkennung persönlicher Rechte erforderlich.

Erste Erfolge

Hat sich die Helsinki-Gruppe zunächst für die Art ihres Vorgehens auf Erfolge aufgrund des Great-Ape-Projekts bezogen, so zeitigt ihre Initiative jetzt ebenfalls erste Erfolge. Im Sommer dieses Jahres etwa hat die indische Regierung das Aus für Delfinarien in Indien erklärt und sich argumentativ darauf bezogen, dass Delfine außergewöhnlich intelligent und sensibel seien, so dass eine Haltung in Gefangenschaft inakzeptabel sei. "Die indische Regierung berief sich nach Informationen des WDC auf die Erkenntnisse zahlreicher, internationaler Verhaltensforscher, denen zufolge die Meeressäuger den Status 'nicht-menschlicher Personen mit eigenen Rechten' genießen sollten." (Bereits 2010 hatte die indische Regierung den (vollständig blinden) Ganges-Flussdelfin zum "Nationalen Wassertier" ernannt, um dessen besseren Schutz zu erreichen.)

Religiöses Denken hinter sich lassen

Durch die zunehmenden und vertieften Erkenntnisse etwa über kognitive Leistungen von Tieren, über deren Kommunikation untereinander und über ihr soziales Verhalten wird die überkommene (ideologische) Vorstellung einer Teilung der Lebewesen in Menschen auf der einen und in "Tiere" auf der anderen Seite zunehmend zertrümmert und durch eine auf Tatsachen gegründete Vorstellung ersetzt. Durch diese genauere Kenntnisse des "Lebens der Tiere" wird auch, wie Karsten Brenning es sinngemäß formuliert, der Mensch von seinem Sockel heruntergeholt, auf dem er seit dem "Herrschaftsbefehl" der Schöpfungsgeschichte steht. "Und Gott sprach: Laßt uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht." (1. Mose)

Es eröffnet sich mit der Entwicklung und Vertiefung des menschlichen Wissens über andere Lebewesen und auch den Menschen selbst ein anderer Blick. Die bisherige undifferenzierte Position, wonach "Tiere" eine Art lebender Maschinen und der Mensch etwas qualitativ Anderes sei, ist nicht mehr haltbar. Eine Position, die (subjektive) Rechte für Tiere, etwa für Menschenaffen, Wale, Delfine und auch für andere fordert, lässt das bisherige allemal noch in letzter Instanz religiös geprägte Denken weit hinter sich und eröffnet neue Horizonte, auch im Umgang mit "den Tieren".

Ein beeindruckendes Beispiel für das Verhalten eines Wales

Viele Beispiele für kognitives und empathisches Verhalten von Walen und Delfinen werden in den wissenschaftlichen Untersuchungen berichtet. Sie können hier nicht dargestellt werden. An ihrer aller Stelle nur ein Beispiel, das von dem renommierten Primatenforscher Frans de Waal stammt:

In seinem 2009 erschienenen Buch "Das Prinzip Empathie" berichtet er von einer Rettungsaktion bezüglich einer Walkuh, die im Dezember 2005 vor der kalifornischen Küste gesichtet wurde, und "die sich in zum Krebsfang verwendeten Nylonleinen verfangen hatte. Das Tier war gut sechzehn Meter lang. Beim Anblick der etwa zwanzig Leinen - einige hatten sich um die Schwanzflosse gebunden, eine hatte sich sogar im Maul des Wals festgesetzt – verlor das Rettungsteam fast den Mut. Die Leinen gruben sich in den Speck und hinterließen tiefe Schnitte. Es gab nur eine Möglichkeit, die Wale zu befreien: zu tauchen und die Leinen wegzuschneiden. Die Taucher brauchten dazu etwa eine Stunde. Es war eine mühsame Arbeit und angesichts der Kraft einer Wal-Schwanzflosse ganz sicher auch nicht ungefährlich."

De Waal beschreibt dann das Ende der Rettungsaktion: "Das Erstaunlichste aber geschah, als die Wahlkuh bemerkte, dass sie befreit war. Statt sich vom Ort des Geschehens zu entfernen, blieb sie dort. Das Riesentier beschrieb einen Bogen, schwamm vorsichtig zu jedem einzelnen Taucher. Sie stupste einen an und schwamm dann zum nächsten, bis sie mit allen Körperkontakt gehabt hatte." De Waal zitiert einen der Helfer mit folgender Bemerkung: "Mir kam es vor, als bedankte sie sich bei uns, weil sie wusste, dass wir ihr zur Freiheit verholfen hatten. Sie machte etwa auf halber Armeslänge vor mit halt, schob mich ein bisschen herum und hatte ihren Spaß dabei. Es wirkte irgendwie liebevoll, wie wenn sich ein Hund freut, einen wiederzusehen. Ich fühlte mich zu keiner Zeit bedroht. Ein wunderbares, unglaubliches Erlebnis."

Nun sind Experimente mit Walen schon aufgrund deren Größe nicht einfach machbar, so dass, wie De Waal dann ausführt, wir niemals erfahren werden, "was die Walkuh sagte und ob sie wirklich dankbar war." Aus der Beobachtung und Kommunikation mit beispielsweise Primaten und Delfinen ergibt sich jedoch, dass eine solche Gefühlswelt existiert und auch Menschen mitgeteilt werden kann.

Unterstützung für die Helsinki-Deklaration

„Whale and Dolphin Conservation“ wird weiter aktiv sein und sammelt auch Unterschriften zur Unterstützung der Deklaration.

Eine bahnbrechende Initiative, bei der jede Unterschrift ein Bekenntnis zu einer auf Fakten beruhenden empathischen Einstellung gegenüber einer anderen Spezies darstellt, und auch ein Bekenntnis gegen deren Diskriminierung, nur weil sie nicht zur Spezies homo sapiens gehört.

Walter Otte

 

Anm. 1

In Deutschland sind aufgrund einer Initiative der GRÜNEN im Deutschen Bundestag erstmals auch kritische Stimmen zur Haltung von Delfinen in sog. Delfinarien in der Anhörung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (!) im Mai dieses Jahres gehört worden. Der erwähnte Biologe Karsten Brensing sowie andere, jedoch nicht alle Experten, lehnten die artwidrige Haltung von Delfinen in derartigen Einrichtungen ab. Die Stellungnahmen geben einen guten Einblick in die "Welt der Delfine" und auf deren Bedürfnisse.

Anm. 2

Als Lektüre sehr zu empfehlen ist das 2013 erschienene Buch von Karsten Brensing "Persönlichkeitsrechte für Tiere", in der er mit reichlich Belegmaterial seinen Thesen begründet. Der hpd berichtete über das Buch.

Zum Schluss: Interessant ist, worauf Brensing hinweist, dass bei Walen und Delfinen, ebenso wie bei Menschen, Menschenaffen und Elefanten Spindelneuronen (Van-Economo-Neuronen) vorhanden sind, die aufgrund ihrer Beschaffenheit Reize von einem Gehirnareal in ein anderes übertragen und die der Verarbeitung sozialer Aspekte dienen. Nicht festgestellt worden sind hingegen bei Delfinen die sog. Spiegelneuronen, die der Emotionserkennung dienen und eine erhebliche Rolle für die Fähigkeit zu empathischem und sozialem Verhalten spielen. Brensing macht deutlich, dass Delfine jedoch so agieren, als ob sie diese Neuronen besäßen. Die weiteren Erkenntnisse der Zukunft dürften noch manche Überraschung bringen. Womöglich ist es falsch, "Tiere" und ihr Leben danach zu beurteilen, ob sie die gleichen oder ähnliche Neurone besitzen wie Menschen. Nicht auszuschließen, dass da ganz andere bislang unbekannte Zelltypen vorhanden sind. Die Realität hält noch viele spannende Erkenntnisse bereit.