Wie unverschämt muss man sein?

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Corinna Gekeler, Foto: (c) E. Frerk

BERLIN. (hpd) In diesen Tagen wurde vom Alibri-Verlag das Buch "Loyal dienen" von Corinna Gekeler veröffentlicht. Darin stellt sie die Ergebnisse der im Zuge der Kampagne "Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz" (GerDiA) gewonnenen Ergebnisse vor. Das Buch zeigt, wer von einer solchen Diskriminierung alles betroffen ist und wie weit die Eingriffe ins Privatleben reichen.

Der hpd sprach mit der Autorin über das Buch.

hpd: Im Buch behandeln Sie die Situation von kirchlichen Angestellten unter arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten. Wie sind zu diesem Thema gekommen?

Corinna Gekeler: Als Politologin und Publizistin beschäftige ich mich schon lange mit Menschenrechtsfragen, seit 1990 hauptsächlich im Zusammenhang mit HIV und Aids. Ich dokumentierte die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Antidiskriminierung aus 2000.

Zunächst staunte man über die späte Umsetzung durch Deutschland, quasi als Schlusslicht im Jahre 2006. Dann löste die deutsche Abweichung bei der sogenannten Kirchenklausel Entsetzen aus, da diese den Kirchen diskriminierende Sonderrechte einräumte. Doch niemand schien sich mit deren Anwendung und den Folgen für die Betroffenen zu beschäftigen. Also fing ich mit Recherchen an. Im Zuge der Interviews mit Betroffenen, Rechtsexperten und Politikern tauchte immer wieder die Frage "Dürfen die das?" auf. Dass die Antwort so umstritten ist und es in der Rechtsprechung so aktuelle Entwicklungen gibt, machte das Thema natürlich umso reizvoller – schließlich ergeben sich dadurch dringend benötigte Veränderungsmöglichkeiten.

Wie schwer war es, Betroffene zur Mitarbeit und zu Auskünften zu "überreden"?

Also "überreden" musste ich zum Glück keinen der letztendlich über 50 interviewten Betroffenen. Allen, die sich nach Aufrufen bei mir meldeten oder mit denen ich direkt oder via Bekannte in Kontakt kam, war es wichtig, zur Sichtbarkeit der Problematik beizutragen.

Viele schauten jedoch sehr genau hin, ob sie mir vertrauen können. Schließlich geht es nicht selten um die berufliche Existenz, "wenn das jemand erfährt"! Meine Erfahrungen mit Interviews im HIV-Bereich waren da teilweise hilfreich. Außerdem schloss ich mit allen Verträge ab und entfremdete die Angaben. Deshalb sind die meisten Berichte ohne Namen, Ortsangaben oder Namen der betreffenden kirchlichen Einrichtungen.

Wie viele Betroffene wurden befragt und ausgewertet? Kann man das als repräsentativ bezeichnen? Immerhin sind allein bei der Diakonie fast 500.000 Menschen beschäftigt und bei der Caritas sogar noch einige mehr (507.000).

Also bislang hörte ich nur aus Kirchenkreisen, dass es so schlimm wie von mir dargestellt ja nicht sei.

Dank der bestimmt 200 Einzelgesprächen, den über 50 Interviews, den zahlreichen Angaben von Beratungsstellen und den Recherchen nach Urteilen und Medienberichten ist es zunächst gelungen, zumindest die Spitze des Eisbergs freizulegen. Wie viele Leute tatsächlich nur wegen einer Stelle in der Kirche bleiben oder erst (wieder) eingetreten sind, kann ich natürlich nicht sagen. Manche erleben die Sonderrechte erst als diskriminierend, wenn sie zum Beispiel durch eine Wiederheirat davon betroffen sind. Konfessionsfreie und Andersgläubige sind von vorneherein ausgeschlossen und haben auch ein entsprechend stärkeres Unrechtsbewusstsein.

Aber auch, wenn die Diskriminierungen nur wenige betreffen sollten (was aber definitiv nicht der Fall ist), so wäre ich prinzipiell gegen diese Menschenrechtsverletzungen. Bei der Einschränkung von Grundrechten geht es nicht um Quantität, also weder bei der Einschränkung der Glaubens- und Gewissensfreiheit, dem Recht auf Privatleben und dem Recht auf eine freie Berufswahl noch bei dem Recht auf Diskriminierungsschutz.

Welche Erkenntnisse aus der Studie sind für Sie selbst neu? Was ich meine: Sie haben sich mit diesem Thema ja schon im Vorfeld der Studie beschäftigt. Haben Sie trotzdem für sich selbst Erkenntnisse gewonnen, die sie so nicht vorausgesehen haben?

Es gab eine ganze Menge zu entdecken und zu staunen. Ganz allgemein war es die Vielfalt der Anwendung der Sonderrechte: Von den evangelischen Putzfrauen, die nicht bei der katholischen Kirche arbeiten dürfen, über die schwangere Lehrerin, die zur Heirat gedrängt wird bis zur fristlosen Kündigung wegen Kirchenaustritt.

Von den eindrücklich geschilderten Erpressungsversuchen ganz zu schweigen! Wie kleingeistig und verbissen, aber auch unverschämt muss man sein, einer Bewerberin die Taufe im Nebenzimmer durch den Diakonie-Chef, der Pfarrer ist, "anzubieten" oder um Integrationsfachleute aufgrund ihres muslimischen Glaubens auszugrenzen?

Oder um das Privatleben der Angestellten auszuspionieren, um Beweise für Ehebruch oder Homosexualität zu sammeln? Ich mag naiv gewesen sein, aber die Begriffe Konkubinat und Bigamie hätte ich in Kündigungsschreiben unseres Jahrhunderts nicht erwartet.

Die Systematik der Ausgrenzung von Handwerkern und anderen Freiberuflern, die nicht Kirchenmitglied sind, war mir so nicht bekannt. Ebenso der Umgang der Arbeitsagenturen mit "unpassenden" Bewerbern und wegen Kirchenaustritt Gekündigten – da ergab sich, dass Recht und Praxis noch recht abweichend sind.

Fast schon faszinierend waren die Schilderungen über die Einflussnahme der Kirchenvertreter auf die deutschen Gesetzgeber. Ein Beispiel: In ihre eigenen kirchlichen Arbeitsverordnungen unterscheiden sie sehr wohl nach Art der Tätigkeit, also nach Verkündigungsnähe und schreiben entsprechend andere Loyalitätspflichten vor. Was der EU-Vorgabe zum Diskriminierungsschutz entsprechen würde. Trotzdem konnten die Kirchen-Lobbyisten bei der deutschen Politik erreichen, dass ihnen die Ausgrenzung gegenüber allen Beschäftigten eingeräumt wurde – und das ohne Not, also ohne jede zwingende Vorgabe und als Bestandteil des Antidiskriminierungsgesetzes!

Ernsthaft empört hat mich die herablassende Haltung der Kirchenvertreter in parlamentarischen Anhörungen und in Gerichtssälen, immer nach dem Motto "Wir müssen uns diese Fragen nicht stellen lassen" und als ginge es um Fragen der Barmherzigkeit gegenüber den eigenen Schäfchen.

Aber auch die Unverfrorenheit, mit der sich Politiker hinter der nachweislich falschen Schutzbehauptung verstecken "Wir können da nichts ändern, das steht so im Grundgesetz".

Da war es natürlich eine erfrischende Überraschung, dass zum Beispiel ein ehemaliger Verfassungsrichter die Unhaltbarkeit der Sonderrechte ganz klar benannte.

Was wünschen Sie sich im Ergebnis des Buches? Glauben Sie, dass die teilweise unglaublichen Berichte von Betroffenen zu einem Umdenken führen werden?

Zumindest wird man nicht länger wegschauen und relativieren können, schließlich gibt es die Beweise für die massive Anwendung der Sonderrechte und für die diskriminierenden Auswirkungen jetzt "Schwarz auf Weiß". Auch die Beweise für die juristische Unhaltbarkeit der Kirchenprivilegien und die Lobbyarbeit der Kirchen dürfte erbracht sein. Ich hoffe, damit die säkularen Kräfte in den Parteien unterstützen zu können, die sich gegen ihre kirchennahen Parteioberen für Veränderungen einsetzen. Wobei "Kirchennähe" in vielen Fällen leider untertrieben ist und "Ämtervermischung" passender wäre.

Ein weiteres zentrales Anliegen ist mir, die Betroffenen zu stärken, damit sie sich zumindest im Bedarfsfall gut beraten lassen oder gar eine Klage in Erwägung ziehen.

Herzlichen Dank.

Das Interview führte Frank Nicolai für den hpd.

Das Buch ist auch im Denkladen zu bestellen.